GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 20.12.1994



* Bundesbank sagt Aufschwung voraus
* SPD kritisiert Aeusserungen der Arbeitgeber
* Scharping bestreitet Zustimmung zu "Tornado"-Einsaetzen
* Regierung offenbar zu Hilfe bei Blauhelmabzug bereit
* Post-Aktiengesellschaften gegruendet
* "Swatch-Auto" wird in Lothringen gebaut
* Lotto-Jackpot geht an Tippgemeinschaft
* Bayern schafft Buss- und Bettag als gesetzlichen Feiertag ab
* Teuerung in Bayern stabil
* Erste starke Scheefaelle im Alpenvorland und im Bayerischen Wald
* Boerse: uneinheitlich, aber stabil
* Kommentar: Das Kreuz des Kosten-Weltmeisters



Bundesbank sagt Aufschwung voraus

Frankfurt. Nach dem Muenchener IFO-Institut fuer Wirtschaftsforschung hat auch die Bundesbank der Konjunktur in Deutschland einen langanhaltenden Aufschwung vorausgesagt. Das IFO-Institut hatte der deutschen Wirtschaft bis ins Jahr 2000 jaehrliche Wachstumsraten von 2,5 % im Westen und von 8,5 % im Osten vorhergesagt. Die Rezession sei trotz einiger Nachwehen weggesteckt. Auf den Arbeitsmarkt wirke sich dies aber noch nicht aus: Obwohl bis zum Jahr 2000 etwa 1,7 Mio. Arbeitsplaetze neu geschaffen werden, werde ein hoher Anteil von Menschen ohne Arbeit bleiben. Nach Ansicht der Bundesbank leidet der Arbeitsmarkt unter tiefgreifenden Funktionsstoerungen. Als Gruende werden unter anderem die hohen Loehne und Lohnnebenkosten sowie mangelnde Mobilitaet und Qualifizierungsdefizite genannt.


SPD kritisiert Aeusserungen der Arbeitgeber

Bonn. Die SPD hat die juengsten Vorstoesse der Arbeitgeber zur Tarifpolitik scharf zurueckgewiesen. Parteichef Scharping sagte, damit sollten Kosten einseitig auf die Arbeitnehmer abgewaelzt werden. Dem Arbeitgeberpraesident Murmann warf Scharping vor, mit der Forderung nach regelmaessiger Samstagsarbeit nur das Ziel zu verfolgen, die bisherigen Zusatzkosten dafuer einzusparen. Mit den Vorschlaegen solle offensichtlich die gewachsene Arbeitskultur in der Bundesrepublik beseitigt werden. Den Praesidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Stihl, forderte der SPD-Vorsitzende zu mehr Zurueckhaltung auf. Die Mitgliedschaft im DIHT sei nicht freiwillig und die Zwangsbeitraege der Unternehmen seien nicht zur Finanzierung von Parteipolitik da. Stihl hatte unter anderem verlangt, die Hoehe des Urlaubsgeldes von der Zahl der Krankheitstage abhaengig zu machen. Auch Forschungsminister Ruettgers, CDU, kritisierte die Aeusserungen. Der Vorsitzende der Sozialausschuesse der CDU, Eppelmann, erklaerte, die Arbeitnehmer haetten schon in der Vergangenheit ihren Beitrag durch Lohnverzicht und Arbeitslosigkeit getragen. Der Vorschlag verhaerte die Fronten, anstatt sie aufzubrechen. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer kuendigte an, dass die Gewerkschaften zu Streiks aufrufen wuerden, sollten diese Vorschlaege verwirklicht werden.


Scharping bestreitet Zustimmung zu "Tornado"-Einsaetzen

Bonn. SPD-Chef Scharping hat klargestellt, dass er der Bundesregierung keine Zustimmung zum Einsatz von deutschen "Tornado"-Kampfflugzeugen in Bosnien signalisiert habe. Scharping sagte, die SPD trete zwar dafuer ein, dass humanitaere Einsaetze im Kriegsgebiet geschuetzt wuerden, auf welche Weise dies aber notwendig und sinnvoll sei, muesse aber noch geklaert werden. Der SPD-Chef betonte, gegenwaertig stehe auch aus der Sicht der NATO nur eine allgemeine Bereitschaftserklaerung der Bundesregierung zur Debatte, sich an den Planungen fuer einen moeglichen Rueckzug der UN-Truppen aus Bosnien zu beteiligen. Wenn die Koalition hierueber hinausgehen wolle, dann muesse sie ihre Beweggruende dafuer offenlegen. Er fuegte hinzu, die Koalition blase sich auf wegen der moeglichen Entsendung von "Tornado"-Kampfflugzeugen. Stattdessen muesse sie durch entsprechende Kontakte mit den USA einen Beitrag dazu leisten, dass das Waffenembargo gegen Bosnien nicht aufgehoben werde.


Regierung offenbar zu Hilfe bei Blauhelmabzug bereit

Bonn. Die Bundesregierung ist offenbar grundsaetzlich bereit, im Falle eines Abzugs der UN-Truppen aus Bosnien militaerische Hilfe zu leisten. Das beschloss nach Angaben aus Regierungskreisen das Bundeskabinett am Abend. Die Bundeswehr werde voraussichtlich acht "Tornado"-Kampfflugzeuge, etwa zehn Transall-Maschinen, ein Minensuchgeschwader und Schnellboote zur Verfuegung stellen. Ausserdem solle in Kroatien ein Feldlazarett errichtet werden. Kanzleramtsminister Bohl sagte nach der Kabinettssitzung, Deutschland duerfe seine Partner in einer solchen Situation nicht im Stich lassen. Morgen sollen die Bundestagsausschuesse fuer Auswaertiges und Verteidigung informiert werden; danach sollen Einzelheiten erlaeutert werden. Ueber den Einsatz von "Tornados" zum Schutz der Hilfsfluege nach Bosnien soll erst im Januar entschieden werden.


Post-Aktiengesellschaften gegruendet

Koeln. Die groesste Privatisierung in der Geschichte der Bundesrepublik ist heute offiziell eingeleitet worden. In Koeln wurden die drei neuen Post-Aktiengesellschaften gegruendet, und zwar die Deutsche Post AG, die Deutsche Postbank AG und die Deutsche Telekom AG. Postminister Boetsch aeusserte sich nach der nichtoeffentlichen Gruendungssitzung zuversichtlich, dass sich die Postunternehmen in einem weiter liberalisierten Umfeld gut behaupten wuerden.


"Swatch-Auto" wird in Lothringen gebaut

Stuttgart. Der Kleinwagen "Swatch-Mobil" von Mercedes-Benz und dem Schweizer Unternehmer Hayek wird in Frankreich produziert. Der Vorstand der Daimler-Benz AG beschloss, die Fabrik fuer den Zweisitzer im lothringischen Hambach zu errichten. Als Gruende wurden unter anderem das guenstigere Lohnkostenniveau und die gute logistische Lage genannt. Die Investitionen belaufen sich auf 750 Mio. DM. Mit dem Bau der Fabrik soll im Sommer 1995 begonnen werden. Um den Standort hatten sich ueber 70 Laender und Regionen beworben. Die Verlagerung der Produktion des "Swatch-Autos" nach Frankreich hatten zahlreiche fuehrende Politiker, unter ihnen Bundeskanzler Kohl und Unions-Fraktionschef Schaeuble, verhindern wollen. Insgesamt sollen durch den Bau etwa 9.000 Arbeitsplaetze entstehen, davon aber nur etwa 1.700 in dem Werk selbst. Die meisten Arbeitsplaetze in der Zulieferindustrie sollen auf deutsche Standorte entfallen. Die Entscheidung ist in Deutschland scharf kritisiert worden. Der baden-wuerttembergische Ministerpraesident Teufel und und der Praesident des DIHT, Stihl, bezeichneten die Entscheidung als Alarmsignal. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Bregger (sp?), sprach von einem nationalen Skandal. Auch der baden-wuerttembergische Wirtschaftsminister Spoehri bedauerte die Entscheidung, warnte aber vor einer "Standortpsychose". Der Betriebsrat von Daimler-Benz hatte schon letzte Woche angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des Standortes Lahr, der sich ebenfalls beworben hatte, von einem verheerenden Signal fuer den Standort Deutschland gesprochen.


Lotto-Jackpot geht an Tippgemeinschaft

Wiesbaden. Der Lotto-Jackpot in Hoehe von 20,4 Mio. DM geht an eine Tippgemeinschaft im Rhein-Main-Gebiet. Die vier Teilnehmer wollen anonym bleiben.


Bayern schafft Buss- und Bettag als gesetzlichen Feiertag ab

Muenchen. Mit grosser Mehrheit hat der Bayerische Senat der Umwandlung des Buss- und Bettages von einem gesetzlichen in einen staatlich geschuetzten Feiertag zugestimmt. Damit kann die vom Landtag beschlossene Aenderung des Feiertagsgesetzes am 1. Januar in Kraft treten.


Teuerung in Bayern stabil

Muenchen. In Bayern ist die Teuerungsrate im Dezember stabil geblieben. Wie schon im November stiegen die Lebenshaltungskosten gegenueber dem Vorjahresmonat um 2,6 % an.


Erste starke Scheefaelle im Alpenvorland und im Bayerischen Wald

Muenchen. Kurz vor dem kalendarischen Winteranfang zeigen sich das Alpenvorland und die Hoehenlagen des Bayerischen Waldes jahreszeitlich. Von dort wurden teils heftige Schneefaelle gemeldet. Am heftigsten schneite es im Allgaeu. In den Wintersportorten dort liegt erstmals in dieser Saison eine geschlossene stabile Schneedecke, die sich in der Nacht um bis zu 20 cm erhoehte.


Boerse: uneinheitlich, aber stabil

Die Boerse tendierte uneinheitlich bei geringen Umsaetzen, da externe Impulse
fehlten.
DAX            2.080     (+ 4)
Umlaufrendite  7,43 %    (+ 0,03 %)
US-$           1,5729 DM , NY 20.30 MEZ: 1,5707 DM



Kommentar: Das Kreuz des Kosten-Weltmeisters

Auszuege aus dem Leitartikel der Sueddeutschen Zeitung Muenchen vom 20.12.1994: Die Einstimmung auf das Weihnachtsfest will in diesem Jahr gar nicht so recht gelingen. In Kaufhaeusern und Fachgeschaeften hat die Zurueckhaltung der Kunden die Vorfreude ganz gehoerig getruebt. (...) Die widerspenstigen Verbraucher wiederum sehen sich beinahe taeglich mit Vorstellungen konfrontiert, die an ehernen Besitzstaenden ruetteln. Dabei gehoert die juengst geaeusserte Forderung des Arbeitgeber-Praesidenten Klaus Murmann, der Samstag muesse wieder staerker in die Produktionswoche mit einbezogen werden, eher zu den kleineren Kalibern. (...) Wer die sozialen Demontage-Absichten in dieser Massierung vor Augen hat, der muss annehmen, dass die Existenz des Wirtschafts-Standortes Deutschland akut gefaehrdet ist. Dies freilich steht im krassen Widerspruch zu den positiven Konjunkturprognosen, die einmuetig einen sich verstaerkenden Aufschwung registrieren, der sich zudem ueber Jahre erstrecken und eine nicht unerhebliche Zahl neuer Arbeitsplaetze schaffen wird. (...) Freilich sollten die Umstaende nicht den Blick fuer das Wesentliche verstellen, was in der Tat bei wieder besser laufender Konjunktur ins Hintertreffen zu geraten droht. Das aber heisst, dass die deutsche Wirtschaft ihre Strukturschwaechen noch nicht bereinigt hat, wenngleich sie auf dem Weg dorthin in der Rezession ein gutes Stueck vorangekommen ist. Und das Rezept dafuer lautet schlicht: Weil die Arbeit in Deutschland teurer ist als sonst nirgendwo auf der Welt, muessen die Unternehmen, um wettbewerbsfaehig zu bleiben, die Arbeitskraft so produktiv wie irgend moeglich einsetzen. Was aber schlimmer ist: Die Tatsache, dass die deutschen Loehne Weltspitze sind, zwingt die im internationalen Konkurrenzkampf stehende Wirtschaft, Arbeitskraefte so sparsam wie moeglich einzusetzen. Dieses Bemuehen hat uns bis heute vier Millionen offen ausgewiesene und weitere zwei Millionen verkappte Arbeitslose eingebracht und dazu gefuehrt, dass selbst in diesem Jahr, in dem die Wirtschaft um gut zweieinhalb Prozent waechst, die Beschaeftigung weiter abgenommen hat. (...) Dass in einer solchen Situation nicht alle in den Jahrzehnten des Aufbluehens erworbenen Besitzstaende unangetastet bleiben koennen, ist eigentlich selbstverstaendlich. Typisch erscheint unter diesen Aspekten die Diskussion um das sogenannte Swatch-Auto. Als Mercedes kuerzlich erklaerte, man habe sich fuer einen Produktionsstandort in Lothringen entschieden, erhob sich ein Sturm um den geplanten "Landesverrat". (...) Gerade bei dem relativ guenstigen Swatch-Auto zaehlt jeder Pfennig in der Produktion. (...) Der Sturm auf die Wohlstandsfestungen in Europa hat begonnen. Die Abwehr-Waffen der Belagerten sind Hochtechnologie und Hoeherqualifizierung, aber auch Flexibililaet und eine gewisse Bereitschaft, auf Besitzstaende zu verzichten.


Quellen

SDR3    08:00 MEZ    11:00 MEZ    16:00 MEZ    17:00 MEZ    20:00 MEZ
B5    12:45 MEZ    15:15 MEZ    17:45 MEZ    20:45 MEZ
Leitartikel der Sueddeutschen Zeitung Muenchen vom    20.12.1994