GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
So, 06.08.1995



* Kohl lehnt Aufnahmestop fuer Fluechtlinge aus Ex-Jugoslawien ab
* Wieder Krawalle bei den Chaostagen in Hannover
* Berliner SPD will nicht mit der PDS zusammenarbeiten
* Qualifizierte Krankenschwestern sollen Medizin studieren koennen
* Auch gesetzliche Krankenkassen rechnen mit hoeheren Beitraegen
* Ozonsituation in Baden-Wuerttemberg
* Brandanschlaege auf tuerkische Geschaefte in Essen und Siegen
* Brand in Neu-Ulmer Hotel
* Brand in Altersheim fordert ein Todesopfer
* Ammoniak aus Brauerei ausgelaufen
* Leichenfund im Kleinhesseloher See
* Spaghetti a la Verdi (Suedwest Presse)
* Das Streiflicht (Sueddeutsche Zeitung)



Kohl lehnt Aufnahmestop fuer Fluechtlinge aus Ex-Jugoslawien ab

Hamburg. Bundeskanzler Kohl lehnt einen Aufnahmestop fuer Fluechtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien ab. In einem Zeitungsinterview betonte der Kanzler, Deutschland koennte nicht alle Fluechtlinge aufnehmen, doch sei es auch unsinnig zu sagen, das Boot ist voll, hier kommt keiner mehr rein. Kohl widersprach damit Bundesinnenminister Kanther, der keine weiteren Fluechtlinge mehr aufnehmen will. Der Bundeskanzler kuendigte zugleich an, dass er auf der naechsten EU-Konferenz eine gerechtere Verteilung der Fluechtlinge in Europa fordern werde. Eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Bosnien lehnte der Kanzler ab. Er habe nicht die Absicht, ueber das Beschlossene hinauszugehen. Dies habe nichts mit Feigheit zu tun sondern nehme Ruecksicht auf die deutsche Geschichte und die Angehoerigen der Soldaten. Ausserdem gebe es fuer den Balkan nur eine Verhandlungsloesung. Er werde das Thema in Kuerze mit Russlands Praesident Jelzin besprechen. Dieser habe von allen auslaendischen Staatsmaennern den groessten Einfluss auf die Serben.


Wieder Krawalle bei den Chaostagen in Hannover

Hannover. Gewalttaetige Punker haben sich in der Nordstadt von Hannover in der vergangenen Nacht wieder schwere Strassenschlachten mit der Polizei geliefert. Dabei wurden mindestens 40 Menschen zum Teil schwer verletzt. Nach Augenzeugenberichten zuendeten die Randalierer Strassenbarrikaden an und bewarfen die Polizei mit Steinen, Flaschen und Molotowcocktails. Die Sicherheitskraefte gingen mit Wasserwerfern, Schlagstoecken und schwerem Raeumgeraet gegen die Punker vor. Rund 450 jugendliche Randalierer wurden voruebergehend festgenommen. Nach der dritten Krawallnacht in Folge haben am Morgen viele Punker Hannover verlassen. Ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes sagte, rund 700 Punker seien mit der Bahn abgereist. Nach einer vorlaeufigen Polzeibilanz wurden bei den Chaostagen in Hannover mindestens 170 Beamte zum Teil schwer verletzt. Die Zahl der verletzten Punker wird ebensohoch eingeschaetzt. Die Polizei nahm 220 Straftaeter fest und mehr als 1000 Punker in vorlaeufigen Gewahrsam. Insgesamt seien mehr als 3000 Beamte von Polizei und Bundesgrenzschutz im Einsatz gewesen.


Berliner SPD will nicht mit der PDS zusammenarbeiten

Die SPD-Spitzenkandidatin fuer das Amt des Regierenden Buergermeisters in Berlin, Stamer, hat sich erneut gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der PDS ausgesprochen. In Rundfunkinterviews sagte die Sozialsenatorin der gegenwaertigen grossen Koalition, Berlin lasse sich nicht mit Sachsen-Anhalt vergleichen, wo die PDS die rot-gruene-Regierung unter Ministerpraesident Hoeppner toleriere. Sachsen-Anhalt sei ein reines Ostland, erklaerte Stamer. Dagegen seien viele Westberliner Fluechtlinge aus der frueheren DDR und haetten dort grosses Unrecht unter der SED erlitten. Die PDS sei deren schlichte Nachfolgepartei, betonte die Sozialdemokratin im Deutschlandfunk. Eine Koalition mit den Gruenen nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Oktober schloss Stamer jedoch nicht grundsaetzlich aus.


Qualifizierte Krankenschwestern sollen Medizin studieren koennen

Bonn. Bildungsminister Ruetgers will besonders qualifizierten Krankenschwestern und Pflegern auch ohne Abitur das Medizinstudium ermoeglichen. Ruetgers forderte die Laender auf, sich ueber einheitliche Kriterien fuer die Studienzulassung von Nichtabiturienten zu verstaendigen. Bisher werden nach den gueltigen Approbationsordnungen fuer Aerzte und Pharmazeuten nur diejenigen zu Staatspruefungen zugelassen, die auch das Abitur haben.


Auch gesetzliche Krankenkassen rechnen mit hoeheren Beitraegen

Bonn. Auch die gesetzlichen Krankenkassen rechnen offenbar mit hoeheren Beitraegen wegen der steigenden Lebenserwartung. Das erklaerte der Geschaeftsfuehrer der Angestellenkrankenkassen Fiedler gegenueber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Anders als bei den Privaten wuerden aber hoehere Lasten bei den gesetzlichen Kassen sofort umgelegt. Aus diesem Grund wuerden die Beitragssaetze nicht sprunghaft sondern schleichend ansteigen. Wann Erhoehungen faellig werden koenne er nicht sagen.


Ozonsituation in Baden-Wuerttemberg

Im Bundesland Baden-Wuerttemberg hat es am Wochenende seit Inkrafttreten des neuen Ozongesetzes die bisher hoechsten Werte gegeben. Nachdem gestern Spitzenwerte von 235 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft in Freiburg gemessen wurden, wurde heute in Mannheim der Hoechstwert mit 210 Mikrogramm festgestellt. Entgegen ersten Befuerchtungen musste jedoch kein Fahrverbot ausgesprochen werden. Es gilt dann, wenn 240 Mikrogramm erreicht werden. Die Ozonlage soll sich zum Wochenanfang deutlich entspannen.


Brandanschlaege auf tuerkische Geschaefte in Essen und Siegen

Essen. Auf ein tuerkisches Lebensmittelgeschaeft in der Naehe von Essen ist in der vergangenen Nacht ein Brandanschlag veruebt worden. Der Sachschaden wird auf rund 50.000 DM geschaetzt. Verletzt wurde niemand. In Siegen warfen die Attentaeter Molotow-Cocktails und einen Benzinkanister in ein tuerkisches Vereinsheim. Die Brandsaetze zuendeten jedoch nicht. Hintergruende und Motive der Brandanschlaege sind bisher unklar. Die juengste Serie der Brandanschlaege auf tuerkische Einrichtungen in Deutschland wird militanten Kurden zur Last gelegt.


Brand in Neu-Ulmer Hotel

Neu-Ulm. Bei einem Hotelbrand in Altenstadt haben am Abend vier Gaeste leichte Rauchvergiftungen erlitten. Sie wurden zur Beobachtung ins Krankenhaus eingewiesen. Die Polizei vermutet nach Angaben von heute morgen vorsaetzliche Brandstiftung, da fuenf Brandstellen entdeckt wurden. Es entstand rund 50.000 DM Sachschaden.


Brand in Altersheim fordert ein Todesopfer

Freudenstadt. Beim Brand in einem Altenheim in Alpirsbach im Schwarzwald ist heute ein 71jaehriger Mann getoetet worden. Vier weitere Personen wurden verletzt. Der Sachschaden betrage rund 500.000 DM berichtete die Polizei.


Ammoniak aus Brauerei ausgelaufen

Marburg. Aus einer Brauerei ist am Morgen aus bisher ungeklaerter Ursache aetzendes Ammoniak ausgetreten. Verletzt wurde nach ersten Angaben bisher niemand. Die Gaswolke zog ueber das Stadtgebiet von Marburg in Richtung Giessen. Polizei und Feuerwehr forderten die Buerger auf, Tueren und Fenster zu schliessen. Beim Einatmen von Ammoniak kann es zu Erstickungsanfaellen und Krampfhusten kommen.


Leichenfund im Kleinhesseloher See

Mit einem Tretbot von Bootsverleih hat sich die Muenchener Polizei gestern im Englischen Garten auf die Suche nach einem Ertrunkenen gemacht. Spaziergaenger hatten von einem nackten Mann berichtet, der unter Wasser trieb. Obwohl die Polizei den Mann noch lebend aus dem Wasser fischen konnte kam jede Hilfe zu spaet. Der Tote wurde als 53jaehriger Muenchner identifiziert. Wie es zu dem Unfall kam soll jetzt die Obduktion klaeren.


Spaghetti a la Verdi (Suedwest Presse)

Wer in Bayreuth sechs Stunden "Parisfal" absitzt oder am heimischen Radio dem dauerhaften Wagner lauscht, zaehlt zur vom Aussterben bedrohten Art der geduldigen Zuhoerer. Dass Beethoven einst, im Dezember 1808, in einem einzigen endlosen Konzert in Wien seine 5. und 6. Sinfonie und noch eine masslose Anzahl weiterer Werke urauffuehrte? Keiner haelt das heute mehr aus, sagt Klassik Radio und laesst hoechstens mal, leichtverdaulich das Schicksalsmotiv der Fuenften pochen: dadada-daa. Mit den einsamen Klassikfans, die vor dem CD-Player ausharren, sich Opernraritaeten auflegen, die es geniessen, wenn Helmuth Rilling oder John Eliot Gardiner die Matthaeuspassion unterschiedlich interpretieren, will die Plattenindustrie allein nicht mehr leben muessen. Sie draengt auf Umsatz, den lukrativen Pop-Markt vor Augen, und schielt auf die Ahnungslosen, die Verdis Opernschlager nur aus der Pasta- und Pizzawerbung kennen. Weg vom Bildungsbuerger, hin zum Normalverbraucher. Das Ziel heisst: kein deutscher Haushalt ohne die "Kleine Nachtmusik" auf CD.

Halbgott Karajan sicherte als erstes profitables Terrain jenseits der Klassikgrenzen, die drei Tenoere sahnten zuletzt bei der Hoerermasse ab. Das Sympathie-Maskottchen der Musikindustrie heisst jetzt Justus Frantz, ein Missionar mit der Partitur als Evangelium, ein Mini-Bernstein, der das Volk aufklaert: Achtung, Klassik! Er zeigt ein "Herz fuer Umwelt" und dirigiert Saint-Saens' "Karneval der Tiere" mit dem Erzaehler-Arbeitsminister Norbert Bluem. Wenn Frantz spielt, dann "fetzige" Klassik. Ueberhaupt verpacken die Marktstrategen nur ein schmales Repertoire in immer neue Sampler-Aufmachung: Klassik zum Schmusen, zum Kochen (noch nicht fuers Klo), und selbst die Fussballshow "ran" praesentiert Klassik-Hits aus Italien fuer den deutschen musikalischen Tifoso: naturgemaess mit dem "Aida"-Triumphmarsch.

Applaus dafuer, dass da eine breite Hoererschicht von Maria Hellwig und James Last abgeworben werden, dass Richard Claydermanns Geklimper am Klavier durch Evgenij Kissins filigranes Spiel ersetzt werden soll. Aber mit Haeppchenklang zerstueckelter Musikware und immer nur Vivaldis "Vier Jahreszeiten" bekommt der unbedarfte Klassikkonsument keinen Appetit auf mehr, er wird nur billig abgespeist. Und die Plattenfirmen verkalkulieren sich: Zu schnell ist jeder mit den ueblichen Schlagern, Carl Orffs "O Fortuna" darf nicht fehlen, auf diversen "Best of"-CD's gesaettigt. Und die Vermarkter schaffen es im Verein mit Privatsendern, dass durch ewiges Abdudeln des Immergleichen die raren Klassik-Hits keiner mehr ertraegt.

Aber die Musikindustrie zaubert immer neue Verkaufstricks aus dem Hut: auch ein geigendes Haeschen. "Ein Segen fuer die Klassik", schrieb eine gewisse Dana in "Bild" ueber Vanessa Mae, dem Violinteenie aus Asien. Warum? Weil sie im durchsichtigen Miniroecken Bach mit Pop mischt. Wo's auf den Ton nicht mehr ankommt, zaehlt die Waesche. Ein Riesengeschaeft.

Und TV-Zar Leo Kirch traeumt derweil von einem Klassikkanal vergleichbar MTV oder Viva. Dann geigt Vanessa Mae im Wasser und wird am Land abgeloest von Sergiu Celibidache, der Bruckner (angezogen) mit den Muenchner Philharmonikern (ebenfalls angezogen) zelebriert. Zwischen den sinfonischen Saetzen, praesentiert vom niederoesterreichischen Fremdenverkehrsverband, senden die Bierbrauer Werbespots. Zum Abschalten.


Das Streiflicht (Sueddeutsche Zeitung)

Ein Raetsel ist die Welt. Gestellt hat es die Sphinx vom Prinzregentenplatz, Buehnenvereinspraesident August Everding, der im Deutschlandfunk "die ausufernde Festivalitis aufgespiesst" (dpa) hat. Heutzutage werde jede Kirmes zum Festival erklaert, sagte er, und noch jede Grillbraterei auf irgendeiner Strasse sei ein zum Festival hochstilisiertes Ereignis. Ein Raetsel ist dieses Statement deswegen, weil keiner genau weiss, ob das gegen die Grillbratereien geht oder gegen die Festivals, und weil Everding selbst weder das eine noch das andere auslaesst. Vor Jahren soll er sogar gleichzeitig hier wie dort gesehen worden sein. Damals teilte er in Bayreuth ungefragt mit, dass der "Ring" im Grunde ein unheimlich modernes Werk sei, waehrend er zur selben Stunde beim Siedlerfest Pullach-Nord als Alberich auftrat und mit folgendem Gstanzl sehr ankam: "Heute back ich, morgen brat ich, und uebermorgen servier ichs bruehwarm dem Sawallisch."

Tatsaechlich sind die beiden Sphaeren naeher beieinander als man vermuten moechte. Was insbesondere die Bayreuther Festspiele angeht, so muss man deren Hausvater Wolfgang Wagner nicht zweimal erlebt haben, um zu ahnen, dass er auch beim Wuerstlbraten irgendwo draussen in Heinersreuth oder Gesees eine gute Figur abgaebe, eine bessere vielleicht als auf dem Huegel. Den grossen Festspielen wird ja nicht nur von denen, die keine Karten bekommen haben (von denen aber besonders und mit dem sicheren Instinkt der Verlierer), der Vorwurf des rein Kulinarischen gemacht. Dabei werden dann auch die Opern gern als "Schinken" bezeichnet, und die Zukurzgekommenen behaupten nicht selten, dass fuer die Premierengaeste eine "Extrawurst" gebraten werde, was bei Wagners "Ring" natuerlich sofort die Assoziation "Weisse im Ring" oder "Lyoner im Ring" wachruft. Die Anspielung ist zugegebenermassen wohlfeil. Als Denkhilfe aber sei sie willkommen: Dass erst der Braten kommt und dann die Musi, daran sollte man sich gelegentlich erinneren. Wer im Salzburger "Jedermann" sitzt und den Duft von Bosnawuersten in die endzeitlich gesenkte Nase bekommt, der ahnt etwas von der Ordnung der Dinge und davon, wo die guten Werke all zu finden sind.

Freilich, der gesellschaftliche Rahmen! Darin unterscheiden sich Grillpartys und Festspiele schon, obwohl auch hier die Grenzen verschwimmen. Nehem wir einen beliebigen Wortwechsel. Frau zu Mann: Unerhoert, dass er mit seinem Schlitten bis hierher fahre. Daraufhin er: Sie mit ihrem komischen T-Shirt muesse ueberhaupt still sein. Der Dialog passt auf jede Kirmes, und doch ereignete er sich in etwas feineren Worten, bei den Salzburger Festspielen und zwar zwischen der Fuerstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn ("Mannie") und dem Modeschoepfer Rudolph Moshammer. Es stimmt schon, was Everding immer sagt: Kultur muss Konflikte sichtbar machen.


Quellen

SDR3    9:00 MESZ    11:00 MESZ
B5    9:30 MESZ    12:00 MESZ    17:00 MESZ
DLF    10:00 MESZ
Radio7    11:00 MESZ    17:00 MESZ
Antenne Bayern    14:00 MESZ
Suedwest Presse vom Sa. 05.08.1995
Sueddeutsche Zeitung von Sa./So. 05./06.08.1995