GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Do, 16.11.1995



* Oskar Lafontaine ist neuer SPD-Vorsitzender
* Reaktionen auf den Fuehrungswechsel in der SPD
* Bundeskanzler Kohl trifft in Vietnam ein
* BGH bestaetigt Urteil gegen DDR-Richter
* Endlager in Morsleben kann weiterbetrieben werden
* Tennisweltmeisterschaft in Frankfurt
* U21 hat noch Chancen auf Atlanta
* Die Mafia der Heuchler (Sueddeutsche Zeitung)
* Boerse



Oskar Lafontaine ist neuer SPD-Vorsitzender

Mannheim. Auf dem Bundesparteitag der SPD ist es zwischen Rudolf Scharping und Oskar Lafontaine zu einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz gekommen. Kurz nach 9:00 Uhr heute frueh war Scharping zur Ueberraschung aller ans Rednerpult getreten und hatte entsprechend Geruechte bestaetigt. Die Partei brauche jetzt Klarheit, sagte Scharping. Die Entscheidung, Lafontaine oder Scharping hier auf dem Parteitag sei fuer alle der klare und sinnvolle Weg. Anschliessend hatte der saarlaendische Ministerpraesident vor den Delegierten seine Kandidatur erklaert. Er stehe fuer die Politik, die er seit Jahren vertrete, sagte er und versprach, auch weiterhin fair mit der SPD-Spitze zusammenzuarbeiten. Die Kandidatur Oskar Lafontaines wurde mit tosendem Beifall aufgenommen. In der Kampfabstimmung setzte sich Lafontaine dann bereits im ersten Wahlgang mit klarer Mehrheit gegen den bisherigen Parteichef Rudolf Scharping durch. Lafontaine erhielt 321 Stimmen, Scharping 190. Lafontaine sprach nach der Wahl von einem bewegenden Moment. Er wisse, um die schwere Aufgabe, die auf ihn zukomme. Die Partei bat er um Unterstuetzung. Der saarlaendische Ministerpraesident bot Scharping, der noch Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag ist, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit an. Scharping sagte vor den Delegierten, die Partei habe jetzt Klarheit in der Personalfrage. Er bat darum, Lafontaine uneingeschraenkt zu unterstuetzen. Der Parteitag wurde mit der Wahl des Vorstandes fortgesetzt. Trotz der Mahnung des neuen Vorsitzenden, Lafontaine, dass er Schroeder brauche, wurde diesem ein klarer Denkzettel verpasst. Beim ersten Wahlgang verfehlter er mit nur 253 Stimmen seinen Wiedereinzug in den Vorstand. Die meisten Stimmen erhielt, wie vor zwei Jahren, Regine Hildebrand, die brandenburgische Sozialministerin. Sie erreichte 464 Stimmen, dicht gefolgt von Reinhard Hoeppner, Ministerpraesident von Sachsen Anhalt mit 438 Stimmen. Ebenfalls in den Vorstand gewaehlt wurden die beiden JuSo-Mitglieder Benjamin Mickfeld, der erst 23 Jahre alt ist, und Kerstin Griese. Renate Schmidt von der Bayern-SPD ist auch wieder mit dabei, sie bekam 353 Stimmen. Mit der Wahl Oskar Lafontaines zu ihrem neuen Vorsitzenden haben die Delegierten des SPD-Parteitages auch Entscheidungen ueber politische Inhalte getroffen, die Lafontaine in seiner fulminanten Rede gestern praesentiert hatte. Federfuehrend hatte er den Antrag zu einer Modernisierung von Wirtschaft und Statt mit ausgearbeitet, den die Delegierten am Abend mit kleinen Aenderungen billigten. Damit nimmt die SPD auch Abschied von ihrer traditionellen Staatsglaeubigkeit. Die Ansprueche an den Staat muessten heruntergeschraubt werden, nicht alles was wuenschenswert sei, sei auch finanzierbar. Um das Problem der hohen Arbeitslosigkeit zu loesen setzt die SPD vor allem auf eine Foerderung von Forschung und Entwicklung. Beim Thema Aussenpolitik gab Lafontaine eindeutig die Linie vor, an der pazifistischen Tradition der Partei festzuhalten. Lafontaine macht am Nachmittag noch einmal seine ablehnende Haltung zu Kampfeinsaetzen der Bundeswehr deutlich. Die Friedensmission sagte er, duerfe nicht in irgendeiner Form mit einer Einheit, die explizit fuer Kampfauftraege ausgeruestet ist, belastet werden. Dies werde auch die Bundestagsfraktion klarstellen. Rudolf Scharping behaelt trotz seiner Abwahl als Vorsitzender eine wichtige Rolle an der Parteispitze. Sein Einverstaendnis fuer einen der Stellvertreterposten zu kandidieren wurde ihm hoch angerechnet. Die 93.2 % duerften auch seinen Anspruch festigen, Fraktionsvorsitzender im Bundestag zu bleiben.


Reaktionen auf den Fuehrungswechsel in der SPD

Die Bonner Regierungsparteien richten sich darauf ein, dass Oskar Lafontaine den politischen Streit mit schaerferen Toenen fuehren wird als Rudolf Scharping. Vorsichtshalber warnen Union und FDP schon einmal, die SPD habe einen Linksruck vollzogen. Auch bei den Gruenen sieht man das so und man macht sich Hoffnungen auf eine schlagkraeftige Opposition und einen moeglichen Machtwechsel. Der Vorstandssprecher der Gruenen, Juergen Trettin, sagte, jetzt koenne Oppositionsarbeit wieder richtig Spass machen, es koenne sich endlich wieder etwas im verschlafenen Bonner Machtzentrum bewegen. Fuer ihn sei das deshalb heute ein erfreulicher Tag: "Er oeffnet die Perspektive hin zu einer Abloesung von Helmut Kohl." Das sah CDU-Generalsekretaer Peter Hinze natuerlich ganz anders. Rot-Gruen, damit sei der Machtwechsel sowieso nicht zu schaffen und das geplante Treffen Oskar Lafontaine mit dem PDS-Gruppenchef im Bundestag, Gregor Gysi, zeige ja eindeutig, so Hinze, wo die Reise hingehe. "Die Reise in der SPD geht weit nach links." Das, so Hinze weiter, zeige auch Lafontaines "nein" zu Tornadoeinsaetzen der Bundeswehr in Bosnien. Eine Ansicht, die auch FDP-Generalsekretaer Guido Westerwelle teilt. Die Frage, ob sich die FDP jetzt nicht zusaetzliche Sorgen ueber ihre Existenz machen muesse, wies Westerwelle allerdings als unzutreffende zurueck. Ganz im Gegenteil, so Westerwelle, Oskar Lafontaine bringe den einen oder den anderen Waehler vielleicht wieder zurueck zur FDP. "Fuer die buergerlichen Waehler ist er aufgrund seines Linkskurses abschreckend." Das sieht man auch bei der CSU so. CSU-Landesgruppenchef Michael Klos nannte die Wahl Lafontaines eine Verzweiflungstat, fuer Generalsekretaer Bernd Protzner bedeutet der neue SPD-Chef einen Schulterschluss des linken Spektrums.


Bundeskanzler Kohl trifft in Vietnam ein

Hanoi. Bundeskanzler Kohl ist zu einem viertaegigen Besuch in Vietnam eingetroffen. Im Mittelpunkt der Visite in dem suedostasiatischen Land steht der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Ausserdem will der Kanzler auf die baldige Umsetzung des deutsch-vietnamesischen Rueckfuehrungsabkommens draengen. Es sieht vor, dass rund 40.000 Vietnamesen aus Deutschland in ihre Heimat abgeschoben werden.


BGH bestaetigt Urteil gegen DDR-Richter

DDR-Richter, die Todesurteile ausgesprochen haben, koennen auch nach bundesdeutschem Recht verurteilt werden. Ausgenommen sind Verurteilungen wegen schwersten Unrechts. In einer Grundsatzentscheidung bestaetigte der Bundesgerichtshof ein Urteil des Berliner Landgerichtes gegen den Richter des obersten Gerichts der DDR, Reinwarth. Die von allen Prozessbeteiligten angestrebte Revision blieb damit erfolglos. Der heute 75jaehrige war im letzten Jahr zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Er hatte in den 50er Jahren in drei Spionageprozessen fuer die Todesstrafe gestimmt. Zur Begruendung erklaerte das Gericht, die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens sei hoechstes Gebot. Deshalb und insbesondere aufgrund der Erfahrungen der NS-Zeit sei ein Todesurteil Rechtsbeugung gewesen, wenn es nicht der Bestrafung schwersten Unrechts gedient habe.


Endlager in Morsleben kann weiterbetrieben werden

Magdeburg. Das Endlager fuer radioaktive Abfaelle in Morsleben kann weiter betrieben werden. Das Oberverwaltungsgericht Magedburg wies eine Klage von vier Buergern aus Helmstedt zurueck, die das Umweltministerium von Sachsen-Anhalt zwingen wollten, die Dauerbetriebsgenehmigung fuer das einzige atomare Endlager in Deutschland zu widerrufen. Dem Urteil zufolge geben weder das Atomgesetz noch das Verwaltungsverfahrensgesetz dem Land eine rechtliche Handhabe, die fortgeltende Dauerbetriebsgenehmigung aus DDR-Zeiten zu widerrufen. Auf die von den Klaegern angefuehrten Sicherheitsbedenken ging das Gericht nicht ein.


Tennisweltmeisterschaft in Frankfurt

Thomas Enquist hat bei seinem Weltmeisterschaftsdebuet das Halbfinale erreicht. Dies gelang ihm heute vorzeitig mit einem 6:1, 6:4 Erfolg ueber den Amerikaner Michael Chang. Im Anschlag daran buesste dann Thomas Muster als erster Spieler alle Chancen auf das Halbfinale ein. Er unterlag dem Amerikaner Jim Courier in drei Saetzen mit 4:6, 6:4 und 4:6.


U21 hat noch Chancen auf Atlanta

Deutschlands Nachwuchsfussballer haben nach wie vor Chancen, an den olympischen Spielen in Atlanta teilzunehmen. Endgueltig qualifizieren koennen sie sich, wenn sie im Viertelfinale der U21-Europameisterschaft weiterkommen. Heute wurde der Gegner der Deutschen ausgelost, die Nachwuchsprofis treten im Maerz zweimal gegen Frankreich an.


Die Mafia der Heuchler (Sueddeutsche Zeitung)

Dass sich der bayerische Kultusminister Hans Zehetmair und seine nordrhein-westfaelische Kollegin Anke Brunn einig sind, kommt selten vor. Wenn die beiden auch noch mit Deutschlands Studenten an einem Strick ziehen, muss etwas Ungewoehnliches passiert sein. Denkt man. In Wahrheit passierte etwas ganz Gewoehnliches, ja geradezu Abgestandenes. Die Konferenz der deutschen Hochschulrektoren traf sich in Bonn und jonglierte mit einem uralten Hut: Sie drohte an, demnaechst Studiengebuehren zu fordern.

Man koennte es, nach einigem Gaehnen, dabei bewenden lassen, mit Zehetmair vor dem 'sozialen Numerus clausus` warnen, den die Erhebung von Studiengebuehren zur Folge haette. Man koennte aber auch feststellen, dass sich die Rektorenkonferenz immer mehr zu einer Mafia der Heuchler entwickelt. Den Rektoren kommt es nicht auf die Gebuehren an, sondern auf deren Abschreckungseffekt. Sie wollen weniger Studenten - ganz im Sinne einer Professorenlobby, die sich angewoehnt hat, Studenten grundsaetzlich als Stoerfaktor zu betrachten.

Niemand weiss besser als die Rektoren, wieviel Geld die teils fahrlaessige, teils planmaessige Misswirtschaft innerhalb der Universitaeten verschlingt. Die Pfauenmentalitaet von Ordinarien und der Dilettantismus der hochschuleigenen Buerokratie ergaenzen sich zur teuren Allianz, an der nur eine Gruppe =nicht= beteiligt ist: die Studenten. Nun erklaeren die Rektoren gnaedig, einen Teil der Gebuehren koenne man ja den Professoren zukommen lassen, als 'Leistungsanreiz` fuer eine bessere Lehrtaetigkeit - also zu deutsch: dafuer, dass sie gelegentlich der Arbeit nachgehen, fuer die sie eingestellt und verbeamtet worden sind. So viel Unverschaemtheit kann einen schon fassungslos machen.


Boerse

1US-$ = 1.4060 DAX 2202.50 Punkte


Quellen

SDR 3    10:00 MEZ    12:00 MEZ    19:00 MEZ
B5    21:00 MEZ
DLF    23:00 MEZ
Sueddeutsche Zeitung vom    15.11.1995