GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Sa, 19.10.1996



* Treffen der Ritterkreuztraeger in Dresden abgesagt
* Kashmir-Geiseln: Verschleppte Touristen sollen noch leben
* Zehnte AAA in Berlin eroeffnet
* Geissler fordert Erhoehung der Mehrwertsteuer
* Stoiber kritisiert Steuerpolitik der Liberalen
* Deutschlandtag der Jungen Union in Goerlitz
* Brandenburger PDS beraet ueber Kohlepolitik
* Gewinne der Unternehmen 1995 staerker gestiegen als Loehne
* Bergmann und Stolpe fordern Reform der Berufsausbildung
* Bolivianischer Praesident Sanchez de Lozada in Potsdam
* Post schliesst 5000 Filialen bis Jahrtausendwende
* 3000 Kurden protestieren friedlich in Koeln
* Fiszman vermutlich tot
* Erneut Demonstration gegen Castor-Transporte
* Herzog fordert weitere Auseinandersetzung mit DDR-Unrecht
* Gruene warnen SPD vor Streit um Kanzlerkandidaten fuer 1998
* Mueller-Laute erhaelt Nietzsche-Preis
* 1. Fussballbundesliga
* 2. Fussballbundesliga
* Das Wetter
* Leitartikel der SZ: Ein Herrscher, der nicht regiert



Treffen der Ritterkreuztraeger in Dresden abgesagt

Das fuer heute vorgesehene Treffen der Ritterkreuztraeger in Dresden ist vom Kriegsveteranenverein selbst abgesagt worden. Man habe damit Auseinandersetzungen vermeiden wollen, hiess es. Noch gestern hatten die Ritterkreuztraeger die Genehmigung fuer das Treffen per Gerichtsbeschluss durchgesetzt. Daraufhin kuendigten Menschenrechtsgruppen und Parteien Proteste an. Aus diesem Grund sagte die Bundeswehr in der Nacht ihre Teilnahme ab. Sie wollte unter anderem ein Ehrenspalier auf dem Dresdner Nordfriedhof bilden. Das Ritterkreuz war 1939 vom Naziregime als neue Klasse des Eisernen Kreuzes eingefuehrt worden. Ueber die Verleihung hatte Adolf Hitler persoenlich entschieden.


Kashmir-Geiseln: Verschleppte Touristen sollen noch leben

Der Ministerpraesident des indischen Bundeslandes Tchamu (sp?) und Kashmir verfuegt nach eigenen Angaben ueber Informationen, dass die vier verschleppten Touristen aus Deutschland, Grossbritannien und den USA noch am Leben sind. Ministerpraesident Abdullah sagte heute in Srinaga, nach den juengsten Berichten seien alle vier Geiseln noch am Leben. Unter ihnen ist der Deutsche Dirk Hasert, der seit Mitte 1995 von der Gruppe Al Faran festgehalten wird.


Zehnte AAA in Berlin eroeffnet

In Berlin ist am Vormittag die 10. Autoausstellung AAA eroeffnet worden. Aussteller aus 18 Laendern zeigen in den Messehallen unter dem Funkturm Autos, Caravans und Zubehoer. 21 Autotypen sollen erstmals in Deutschland der Oeffentlichkeit vorgestellt werden. Neun Tage haben die Besucher Zeit, das Angebot der gut 250 Aussteller zu betrachten. Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hob zum Messestart hervor, mit Wachstumsraten von 7-8% trage die deutsche Autoproduktion zum wirtschaftlichen Aufwaertstrend bei. Rexrodt wehrte sich gegen den Vorschlag einer Benzinpreiserhoehung auf 5 DM. Das sei fuer die Loesung anstehender Probleme nicht hilfreich. Gebraucht wuerden Anreize zur Vermeidung von Umweltbelastungen. Dazu zaehle er auch die emissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuer.


Geissler fordert Erhoehung der Mehrwertsteuer

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Geissler hat eine Erhoehung der Mehrwertsteuer um mindestens einen Prozentpunkt gefordert. Zur Loesung der draengensten Haushaltsprobleme reiche der Aufschub der Verringerung des Solidaritaetszuschlages nicht aus, sagte Geissler der Bild am Sonntag. Notwendig sei ein finanzpolitischer Befreiungsschlag, der auch eine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt habe. Eine Mehrwertsteuererhoehung koenne genutzt werden, um versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren und damit die Lohnnebenkosten zu senken.


Stoiber kritisiert Steuerpolitik der Liberalen

Bayerns Ministerpraesident Edmund Stoiber hat die Steuerpolitik der Liberalen scharf kritisiert. Mit Blick auf den Solidaritaetszuschlag sagte Stoiber in einem Zeitungsinterview, der geplante vorzeitige Abbau sei Anfang des Jahres von der FDP erzwungen worden - das sei nie Position der CSU gewesen. Die FDP fordere staendig Einnahmekuerzungen des Staates und wolle das ausschliesslich aus dem Sozialhaushalt gegenfinanzieren. Karenzzeiten in der Arbeitslosenversicherung seien eine Beschaedigung des Sozialstaates, so Stoiber. Die Koalition hatte gestern beschlossen, den Solidaritaetszuschlag 1997 nicht wie zunaechst vorgesehen auf 6,5% zu senken. Erst 1998 soll die Abgabe dann auf 5,5% der Lohn- und Koerperschaftsteuer gesenkt werden.

Im Deutschlandfunk hatte FDP-Generalsekretaer Westerwelle am Mittag erklaert, mit dem gestrigen Kompromiss der Koalition sei die Steuerdiskussion fuer diese Legislaturperiode vom Tisch. Bei weiteren Luecken im Bundeshaushalt werde es Einsparungen geben und nicht etwa eine staerkere Abgabenlast fuer den Buerger.


Deutschlandtag der Jungen Union in Goerlitz

Die Junge Union hat in Goerlitz ihren Deutschlandtag fortgesetzt. Im Mittelpunkt der Beratungen steht am Vormittag ein Referat von Sachsens Ministerpraesident Biedenkopf, der unter anderem zum Leitantrag des Deutschlandtages Stellung nehmen will. Darin fordert der Unionsnachwuchs umfassende Reformen in Staat und Gesellschaft. Die rund 300 Delegierten wollen heute ausserdem ueber das Steuer- und Rentensystem, sowie ueber Sozial- und Umweltpolitik beraten. Gestern war der bisherige Vorsitzende der Jungen Union, Escher, in seinem Amt bestaetigt worden.


Brandenburger PDS beraet ueber Kohlepolitik

Die Brandenburger PDS beraet auf dem heute eroeffneten Parteitag in Lauchhammer ueber das Schicksal der vom Tagebau bedrohten Gemeinde Hornow. Die Ortschaft im sorbischen Siedlungsgebiet soll nach dem Leitantrag des PDS-Landesvorstandes nur dann dem Tagebau weichen, wenn die wirtschaftliche und umweltpolitische Notwendigkeit bewiesen wird. Die Meinung innerhalb der Partei ist gespalten, ob sie sich fuer die Ortschaft oder fuer die Arbeitsplaetze im Tagebau einsetzen soll. Die Einwohner kaempfen seit langem fuer den Erhalt ihrer Gemeinde. Dagegen hatten beim letzten PDS-Parteitag in Neuseddin mehr als 1.500 Bergleute fuer die Sicherung ihrer Arbeitsplaetze demonstriert.


Gewinne der Unternehmen 1995 staerker gestiegen als Loehne

In Deutschland sind die Gewinne der Unternehmen im vergangenen Jahr deutlich staerker gestiegen als die Loehne. Darauf wies der Deutsche Gewerkschaftsbund hin. Die Organisation stuetzt sich dabei auf Daten des Statistischen Bundesamtes. Danach stiegen die Bruttogewinne der Firmen 1995 um 15% und die Nettogewinne sogar um 21% gegenueber dem Vorjahr. Demgegenueber haetten die Einkommen der Arbeitnehmer brutto um 3,6% und netto nur um 0,6% zugenommen. Diese Fakten seien bezeichnend dafuer, wie glaubwuerdig das Wehklagen der Arbeitgeber ueber angeblich zu hohe Loehne sei, erklaerte DGB-Vorstandsmitglied Geuenich in Duesseldorf. Vor diesem Hintergrund sei es sozial ungerecht und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar, wenn die Regierung die Unternehmen weiterhin steuerlich entlaste.


Bergmann und Stolpe fordern Reform der Berufsausbildung

Berlins Arbeitssenatorin Bergmann und der Brandenburgische Ministerpraesident Stolpe haben eine Reform der Berufsausbildung gefordert. In einer gemeinsamen Erklaerung wiesen die beiden SPD-Politiker darauf hin, dass viele Berufsschueler nur unzureichend fuer das spaetere Erwerbsleben geruestet seien. In diesem Zusammenhang solle man an die Erfahrungen in der frueheren DDR anknuepfen, wo Schultheorie und Berufspraxis eng miteinander verzahnt gewesen seien. Zugleich erneuerten Bergmann und Stolpe die Forderung, Betriebe, die nicht ausbilden, an den allgemeinen Berufsbildungskosten zu beteiligen. Den Angaben zufolge stellen nur 14% der Industriebetriebe ueberhaupt noch Lehrstellen bereit.


Bolivianischer Praesident Sanchez de Lozada in Potsdam

Am letzten Tag seines Deutschlandbesuches hat der Bolivianische Praesident Sanchez de Lozada Potsdam besucht. Brandenburgs Justizminister Braeutigam empfing den Gast. Dabei wuerdigte er den Einsatz des Staatsoberhaupts fuer demokratische Reformen im eigenen Land. Damit gebe es auch einen Beruehrungspunkt zu Brandenburg und der demokratischen Wende in den Neuen Laendern, so Braeutigam. Sanchez trug sich in das Gaestebuch Brandenburgs ein. Anschliessend besichtige er die Schloesser Sanssouci und Cecilienhof.


Post schliesst 5000 Filialen bis Jahrtausendwende

Die Deutsche Post AG wird bis zur Jahrtausendwende die Zahl ihrer Filialen um 5.000 reduzieren. Das kuendigte Bundespostminister Boetsch in einem Interview an. An der Samstagszustellung werde aber festgehalten. In diesem Zusammenhang verteidigte Boetsch die geplante Portoerhoehung. Der Postregulierungsrat hatte eine Entscheidung darueber in dieser Woche verschoben.


3000 Kurden protestieren friedlich in Koeln

In Koeln haben heute mehr als 3.000 Kurden aus dem Bundesgebiet und Frankreich fuer eine friedliche Zukunft ihrer Landsleute demonstriert. Zu dem Protestmarsch hatte die als gemaessigt geltende Organisation Komka (sp?) aufgerufen. Die Koelner Polizei, die in der Vergangenheit eine Reihe von gewalttaetigen Demonstrationen kurdischer und tuerkischer Gruppierungen erlebt hatte, brauchte heute nicht einzugreifen.


Fiszman vermutlich tot

Die Suche nach dem Frankfurter Geschaeftsmann Jakub Fiszman ist heute frueh wieder aufgenommen worden. Dazu wurden Luftaufnahmen von einem Waldstueck im Taunus ausgewertet, die Aufklaerungsflugzeuge der Bundeswehr gestern angefertigt hatten. Das Waldstueck war von dem Sohn des Hauptverdaechtigen genannt worden, der gestern ausgesagt hatte, er und sein Vater haetten den am 1. Oktober verschleppten Fiszman dort versteckt. Am Nachmittag wurde bekannt, dass Fiszman sehr wahrscheinlich tot ist. Das Landeskriminalamt in Hessen teilte mit, bei einer Leiche, die heute in dem durchsuchten Waldstueck entdeckt wurde, handele es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Fiszman. Der Tote haben vermutlich seit 14 Tagen in dem Waldstueck gelegen, weshalb eine eindeutige Identifizierung noch einige Zeit dauern wuerde. Ueber die Todesursache konnte das LKA noch keine Angaben machen.


Erneut Demonstration gegen Castor-Transporte

Mehrere hundert Atomkraftgegner haben vor dem AKW Neckar-Westheim demonstriert. Ihr Protest richtete sich gegen die geplanten Castor-Transporte in das niedersaechsische Atommuellager Gorleben. In Neckar-Westheim wurden bereits Transportbehaelter beladen. Der niedersaechsische Innenminister Glogowski erklaerte unterdessen, es werde in diesem Jahr keine Transport nach Gorleben mehr geben.


Herzog fordert weitere Auseinandersetzung mit DDR-Unrecht

Bordeaux. Bundespraesident Herzog hat eine weitere Auseinandersetzung mit dem in der DDR geschehenen Unrecht gefordert. Wenn die DDR-Vergangenheit voellig vergessen werde, koenne sie zum Bumerang und irgendwann wieder zum Problem werden, warnte Herzog vor jungen deutschen und franzoesischen Journalisten. In Bordeaux beendete er seinen viertaegigen Staatsbesuch in Frankreich. Da es der erste offizielle Besuch eine Bundespraesidenten nach der Wiedervereinigung war, wurde Herzog von ehemaligen Buergerrechtler, wie Baerbel Bohley, Friedrich Schorlemmer und Joachim Gauck, begleitet.


Gruene warnen SPD vor Streit um Kanzlerkandidaten fuer 1998

Berlin. Die finanzpolitische Sprecherin der Buendnis-Gruenen Bundestagsfraktion, Scheel, hat die SPD davor gewarnt, die Chance zu einem Regierungswechsel 1998 durch einen erneuten Streit um den Kanzlerkandidaten zu verspielen. Scheel sagte in einem Interview des Senders Freies Berlin, die Finanz- und Steuerpolitik der Regierung habe die Opposition enger zusammengefuehrt. So haetten Spitzenvertreter beider Fraktionen gestern zum ersten Mal in einer gemeinsamen Pressekonferenz auf den Beschluss der Koalition reagiert, die angekuendigte Senkung des Solidarzuschlages zu verschieben. Es sei zu hoffen, dass die SPD bei der Vorbereitung des Wahlkampfes 1998 den Wunsch nach einen Machtwechsel in den Vordergrund stelle und dies nicht durch parteiinternen Streit belaste.


Mueller-Laute erhaelt Nietzsche-Preis

Naumburg. Der Philosoph Wolfgang Mueller-Laute ist mit dem ersten Friedrich-Nietzsche-Preis des Landes Sachsen-Anhalt ausgezeichnet worden. Der 72jaehrige Wissenschaftler erhalte die mit 30.000 DM dotierte Ehrung fuer sein philosophisch-wissenschaftliches Gesamtwerk, teilte die internationale Jury mit. Mueller-Laute lebt in Berlin und war jahrelang Rektor der kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf. Er ist Herausgeber der Gesamtausgabe von Nietzsches philosophischem Werk.


1. Fussballbundesliga

      VfL Bochum  2-2   1860 Muenchen    (Fr)
      Leverkusen  0-0   VfB Stuttgart    (Fr)

       St. Pauli  2-0   Freiburg
      M'gladbach  2-0   Hansa Rostock
       Karlsruhe  1-3   Werder Bremen
      Schalke 04  2-0   Hamburger SV
  Arm. Bielefeld  1-4   1. FC Koeln
    MSV Duisburg  0-0   Duesseldorf

   Mannschaft          Punkte    #    Tordiff.       S    U    N   Tore
 ========================================================================
 1 VfB Stuttgart        24      11     + 18          7    3    1   28-10
 2 Leverkusen           23      11     + 11          7    2    2   25-14
 3 B. Muenchen          23      10     +  9          7    2    1   20-11
 4 Werder Bremen        19      11     + 11          6    1    4   25-14
 5 Dortmund             19      10     +  5          6    1    3   19-14
 6 1. FC Koeln          19      11     +  4          6    1    4   19-15
 7 Karlsruhe            17      11     +  4          5    2    4   19-15
 8 VfL Bochum           17      11        0          4    5    2   16-16
 9 Duesseldorf          15      11     -  7          4    3    4    8-15
10 M'gladbach           14      11     +  1          4    2    5   12-11
11 1860 Muenchen        14      11     -  1          4    2    5   19-20
12 Schalke 04           13      11     -  5          3    4    4   11-16
13 Hamburger SV         11      11     -  5          3    2    6   15-20
14 St. Pauli            11      11     -  8          3    2    6   15-23
15 Hansa Rostock         9      11     -  6          2    3    6   12-18
16 MSV Duisburg          9      11     -  7          2    3    6    9-16
17 Freiburg              9      11     - 16          3    0    8   14-30
18 Arm. Bielefeld        7      11     -  8          1    4    6   11-19



2. Fussballbundesliga

       SV Meppen  5-4   Mainz 05         (Fr)
        Mannheim  2-1   Hertha BSC       (Fr)

    Unterhaching  0-0   Uerdingen
    E. Frankfurt  1-1   VfL Wolfsburg

   Mannschaft          Punkte    #    Tordiff.       S    U    N   Tore
 ========================================================================
 1 Kaiserslautern       20      10     + 10          5    5    0   14- 4
 2 VfL Wolfsburg        18      11     +  7          4    6    1   13- 6
 3 Stuttgarter K.       18      10     +  6          5    3    2   15- 9
 4 Mainz 05             17      11     +  5          4    5    2   19-14
 5 Uerdingen            17      11     +  5          5    2    4   16-11
 6 SV Meppen            16      11     +  1          3    7    1   12-11
 7 F. Koeln             15      10     +  5          4    3    3   18-13
 8 Hertha BSC           15      10     +  5          4    3    3   16-11
 9 Unterhaching         15      11     +  2          2    9    0    9- 7
10 E. Frankfurt         13      11        0          3    4    4   13-13
11 C. Zeiss Jena        13      10        0          3    4    3   11-11
12 VfB Leipzig          12      10     -  4          3    3    4   15-19
13 Mannheim             11      11     -  2          2    5    4   17-19
14 FC Guetersloh        11      10     -  7          3    2    5    7-14
15 VfB Luebeck          10      10     - 10          2    4    4    6-16
16 FSV Zwickau           9      10     -  2          2    3    5    9-11
17 RW Essen              7      10     - 14          2    1    7   14-28
18 VfB Oldenburg         6       9     -  7          1    3    5   10-17



Das Wetter

In der Nacht in der Osthaelfte anfangs Schauer, spaeter auch dort teils klar. Tiefsttemperaturen 8-2 Grad. Morgen Regen, 8-15 Grad. Die weiteren Aussichten bis Dienstag: In der Suedwesthaelfte Wolkenauflockerungen und abnehmender Regen. Sonst noch unbestaendig. Ansteigende Temperaturen.


Leitartikel der SZ: Ein Herrscher, der nicht regiert

Von Hans Werner Kilz. Das Jahr 1996 sollte eigentlich das Jahr sein, in dem Helmut Kohl - freiwillig - seinen Abschied nimmt. Die Diskussion darueber wurde von ihm vor zwei Jahren selber entfacht und dann schnell wieder erstickt. Kronprinz Wolfgang Schaeuble, der davon ausgehen durfte, jetzt Nachfolger zu werden, muss den Kanzler irgendwann wieder aus einem vagen Versprechen entlassen haben.

Ende des Monats regiert Kohl 14 Jahre, laenger als Konrad Adenauer. Das Ausland naehert sich ihm in Heiligenverehrungen, im Inland werfen sich die publizistischen Gegner von einst, die ihn verhoehnten, ohne ihn wirklich zu kennen, ehrerbietig in den Staub. Kohl triumphiert ueber alle Widersacher innerhalb und ausserhalb seiner Partei. Die Delegierten des CDU-Parteitages werden ihn am Montag in Hannover zum zwoelften Male zu ihrem Vorsitzenden waehlen. Eine Alternative gibt es in der Union nicht mehr. Es grummelt zwar in der eigenen Fraktion. Wer aber wagte, am Denkmal zu ruetteln, beginge politisches Harakiri. Kohl straft alle ab, die nicht parieren, erst mit Liebesentzug, dann mit politischer Kaltstellung.

Kohl ist vielleicht kein phantasievoller, aber ein aussergewoehnlich geschickter Politiker. Er akkumuliert Macht, sie scheint ihm wichtiger zu sein als Menschen. Obwohl (oder gerade weil) er innenpolitisch gar nichts bewegt, moegen ihn die Leute. Kohl ist der personifizierte Status quo. Das bedeutet Stillstand und sicher Mehrheiten. Als Kanzler verschafft er den Buergern ein Wohlgefuehl. "Solange er regiert," sagen junge Menschen in Diskussionen, "haben wir noch nie richtig Angst gehabt."

Dabei geht von diesem Kanzler, was die politische Zukunft des Landes betrifft, kaum eine Orientierung aus. Die Geborgenheit, die er vermittelt, lullt ein. Einer wie Kohl, der selber sagt, dass er immer wissen muss, was hinten dabei rauskommt, setzt sich nicht gern an die Spitze einer Bewegung, deren Ziele und Erfolgsaussichten ungewiss sind. Abwarten, nach allen Seiten absichern, aus dem Hintergrund Entwicklungen beeinflussen, das liegt ihm mehr, als vorne fuer alle sichtbar zu marschieren, wo das Banner getragen wird.

Kohls Regierung liefert keine Analysen und Konzepte zur neuen Rolle Deutschlands: etwa die Bundesrepublik als Leitmodell einer modernen Staates, ein immer noch reiches Land, das keine Kriege fuehrt und Klassenkonflikte zuegelt, das Geld in Universitaeten und Zukunftstechnologien investiert, seine sozialen Errungenschaften verteidigt und als stabile Demokratie ein verlaesslicher Partner wird. Aussenpolitisch endlich ein Deutschland, das nicht mehr zwischen seinen Bestimmungen schwankt: eine in der Einheit Europas verankerte Nation oder doch unerklaerte Erbin imperialer Ambitionen, die der Hohenzollern oder die der Habsburger.

Zoegerlich und wankelmuetig

Kohl denkt in Begriffen der Geschichte, er hat deutsche Geschichte praegend mitgestaltet. Doch aus Sorge um den Machterhalt verzichtet der Historiker Kohl auf Entwuerfe. Persoenliche Animositaeten, auch wahltaktische Scharmuetzel halten ihn davon ab, rechtzeitig das Richtige zu tun. Er verschleppt unnoetig die Versoehnung zwischen Tschechen und Deutschen, wie er damals nach dem Mauerfall Polens Westgrenze - so schmerzlich es fuer einen deutschen Kanzler gewesen sein mag - sehr spaet und nur auf Druck der Alliierten akzeptierte.

In der Innen- und der Wirtschaftspolitik fehlt dem Kanzler das Gespuer fuer heraufziehende Probleme. Viel zu spaet hat er erkannt und ernstgenommen, welche finanz- und sozialpolitischen Reformen notwendig sein wuerden, um den Standort Deutschland zu sichern. Im Streit der Gewerkschaften und Arbeitgeber um die Lohnfortzahlung wussten seine Berater offenbar gar nicht, wieviele soziale Verguetungen tariflich gesichert und damit schwer anzutasten sind. Im nachhinein erscheint der Kanzler als wankelmuetiger Ratgeber und Rueckversicherer, der erst die Unternehmen zu schmerzlichen Kuerzungen ermuntert und dann, bei reichlich Gegenwind, vor einer Aushoehlung des Sozialstaats warnt.

Der goldene Schnitt

Krisen, die durch Aussitzen nicht zu beheben sind, geht er gar nicht erst an. Laenger als ein Jahr lagen die Steuerreformvorschlaege der Bareis-Kommission auf dem Tisch des Finanzministers, der sie fuer politisch nicht durchsetzbar hielt und angstvoll wegsteckte. Kohl reagierte erst, als der oeffentliche Druck zu stark wurde. Im Streit um die Haushaltssanierung sieht Kohl zu, wie sich seine Koalitionspartner FDP und CSU zermuerben, wartet auf den ihm passenden Zeitpunkt fuer den goldenen Schnitt. Der Koenig herrscht, aber er regiert nicht.

Hinter allem, was Kohl _nicht_ anpackt, vermuten seine Zulieferer und Bewunderer noch eine besondere Fuehrungskunst. Entscheidungsschwaeche wird als geschickte Taktik interpretiert, Ideenmangel als weise Zurueckhaltung ausgegeben. Und seine Passivitaet, das Aussitzen, gilt als Ausdruck besonderer Integrationskraft. Kritik in jeder Form, auch wenn sie klug und besorgt daher kommt, wird ignoriert oder abgetan.

Diese empfindliche Ungeduld offenbart Kohls groesste Schwaeche. Wer stark ist, fordert Widerspruch heraus, haelt ihn auch aus. Wer nur seine Macht sichert, verarmt. Der Sonnenglanz des Einheitskanzlers ist verblasst, die wachsende Kluft zwischen den Deutschen in Ost und West truebt sein Lebenswerk. Beim Kampf um die Einheit Europas, die er bewundernswert ausdauernd vorantreibt, sind ihm zwei zuverlaessige Mitstreiter, Francois Mitterand und Felipe Gonzales, abhanden gekommen. Zwei Jahre vor der naechsten Bundestagswahl (und seiner sechsten Kandidatur) bestimmt Kohl, der letzte Eurosaurier, nicht mehr die politische Agenda. Der undurchsichtige Chirac, der gelaehmte Major (und wer regiert eigentlich in Italien?) - alles keine Partner, die ihn seinem Lebensziel, der Schicksalsgemeinschaft Europa, garantiert naeherbringen.

Was aber dann, wenn der Aufbau Europas in Stocken geraet, wenn die Wirtschafts- und Waehrungsunion verschoben werden muss? Wird dann Kohl, der ueberzeugte Europaeer, sein Amt der Ueberzeugung opfern? Kohl sitzt in der Adenauer-Falle: Er haette glorreich abtreten koennen, hat aber den guenstigsten Zeitpunkt zum Ausstieg verpasst. Alle kurzfristig denkbaren Nachfolger wurden von ihm verschlissen.

Helmut Kohl fehlt die Weltlaeufigkeit und die Internationalitaet Helmut Schmidts, die Brillanz und intellektuelle Diskussionsfreude Willy Brandts. Solche Eigenschaften bewahren Politiker nach dem Machtverlust vor Vereinsamung. Brandt fuellte noch fuenfzehn Jahre nach seinem Kanzler-Ruecktritt die Marktplaetze. Schmidt, dem international geachteten Oekonomen, trauen die Deutschen bis heute viel eher als Kohl zu, mit den Problemen der deutschen Einheit fertig zu werden. Helmut Kohl ist von Beruf Kanzler, das hat er von der Pike auf gelernt.

Regierungschefs werden nicht abgewaehlt, weil die Opposition verspricht, es besser zu machen, sondern nur, wenn das Volk seiner ueberdruessig ist. Nur wenn er 1998 wieder antritt, darf sich die SPD ueberhaupt eine Chance ausrechnen, den ersten Bundeskanzler in der Hauptstadt Berlin zu stellen.


Quellen

Radio Fritz    11:30 MESZ    16:30 MESZ
Inforadio BB    11:40 MESZ    16:40 MESZ
Radio 88,8    12:00 MESZ
Deutschlandfunk    17:00 MESZ
Leitartikel aus der Sueddeutschen Zeitung vom    19./20. Oktober    1996