GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
So, 16.04.1995



* Ostermesse in Rom
* Kundgebungen der Ostermarschierer
* Bundesanstalt fuer Arbeit soll privatisiert werden
* Fischer fuer die Einfuehrung einer Energiesteuer
* FDP-Streit ueber die Abschaffung weiterer Feiertage
* Demonstrationen gegen Castor-Transport
* SEK der Polizei beendet Meuterei in Abschiebegefaengnis
* Anklage gegen Maurizio Gaudino erhoben
* Steffi Graf im Finale von Houston
* Fussballbundesliga
* Zur Sache - Es geht um Kinder (Suedwest Presse)
* Unsere Sorgen (Suedwest Presse)
* Probleme des Friedens (Suedwest Presse)
* Ein Osterspaziergang (Sueddeutsche Zeitung)
* Das Streiflicht (Sueddeutsche Zeitung)



Ostermesse in Rom

Papst Johannes Paul II hat heute zu einer neuen Kultur des Lebens und zum Dialog in politischen und ethnischen Konflikten aufgerufen. Vor mehr als 100.000 Glaeubigen erteilte das Oberhaupt der katholischen Kirche auf dem Petersplatz den Segen Urbi et Orbi. In seiner Ansprache betonte der Papst, die Kirche richte eine oesterliche Botschaft des Friedens an alle von blutigen Konflikten zerrissenen Familien sowie an die Opfer von Hass und Gewalt auf der ganzen Welt. Allen, die unter Leiden auf die Anerkennung ihrer tiefsten Erwartungen hofften, wie die Palaestinenser, die Kurden oder die Urbevoelkerung Lateinamerikas, schlage die Kirche als einzigen Weg den Dialog vor. Die deutschen Bischoefe haben die Christen dazu aufgerufen, die Osterbotschaft auch im Alltag zu befolgen. Dabei betonten die Oberhirten in ihren Predigten, dass Ostern als hoechstes christliches Fest gerade angesichts der zahlreichen Konflikte in der Welt eine Quelle der Hoffnung bleibe. Die katholischen Bischoefe verlangten ein staerkeres Eintreten fuer eine neue Kultur des Lebens, wie sie der Papst in seiner juengsten Enzyklika beschrieben habe. Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Engelhardt, erinnerte in seiner Predigt an die Krisensituation zahlreicher Menschen. Beten bereite ihnen keinerlei Freude mehr. Sie seien nicht laenger davon ueberzeugt, geborgen zu sein.


Kundgebungen der Ostermarschierer

Auch am heutigen Ostersonntag hat es in verschiedenen deutschen Staedten Kundgebungen der Ostermarschbewegung gegeben. Zu einer groesseren Demonstration kam es in der Kollwitz-Letzlinger Heide (sp?), dem Standort eines geplanten Truppenuebungsplatzes der Bundeswehr. Im Ruhrgebiet wurde der dreitaegige Ostermarsch von Essen nach Bochum und Gelsenkirchen fortgesetzt. In Baden-Wuerttemberg blieben die Friedensdemonstrationen dagegen aus. Statt dessen soll mit einer Grossveranstaltung am 6. Mai vor dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe an das Kriegsende vor 50 Jahren erinnert werden.


Bundesanstalt fuer Arbeit soll privatisiert werden

Bonn. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will die Bundesanstalt fuer Arbeit privatisieren. Ihr sozialpolitischer Sprecher, Luven, sagte in einem Zeitungsinterview, der Staat sollte sich aus der Selbstverwaltung ganz zurueckziehen und diese den Tarifpartnern alleine ueberlassen. Luven begruendete diese Forderung damit, dass die Tarifautonomie den Sozialpartnern das alleinge Recht zusichere, die Arbeitsbedinungen festzulegen.


Fischer fuer die Einfuehrung einer Energiesteuer

Stuttgart. Der Fraktionssprecher von Buendnis 90 / Die Gruenen im Bundestag, Fischer, haelt die Einfuehrung einer Energiesteuer noch in diesem Jahr fuer moeglich. Die Umstellung der Kohlesubvention nach dem Wegfall des sogenannten Kohlepfennigs biete dazu die beste Gelegenheit, sagte Fischer im Sueddeutschen Rundfunk. Die entsprechende Summe von 7 Mrd. DM sollte nicht zur Senkung der Strompreise fuehren. Das sei ein falsches Signal. Statt dessen koennte bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag ein parteiuebergreifender Kompromiss zur Einfuehrung einer Engergiesteuer gefunden werden.


FDP-Streit ueber die Abschaffung weiterer Feiertage

Hamburg. In der FDP-Bundestagsfraktion ist ein Streit ueber die Abschaffung weiterer Feiertage ausgebrochen. Zur Finanzierung steigender Soziallasten hatten zwei Abgeordnete vorgeschlagen, Ostermontag, Pfingstmontag und Christi Himmelfahrt ersatzlos zu streichen. FDP-Fraktionschef Solms wies die Plaene zurueck. Bei den Vorschlaegen handele es sich um die private Meinung einzelner Politiker, so Solms. Bundesarbeitsminister Norbert Bluem hat kraeftige Kritik an den Vorschlaegen aus den Reihen der FDP geuebt. Derartige Plaene seien abwegig, sagte der Politiker am Abend im Deutschlandfunk. Die Opferung eines Feiertages fuer die Einfuehrung der Pflegeversicherung duerfe keine Einladung sein, jetzt mit der Dampfwalze ueber die gesamte Feiertagskultur hinwegzugehen.


Demonstrationen gegen Castor-Transport

Dannenberg. Rund 300 Atomkraftgegner haben in Niedersachsen friedlich gegen den geplanten Castor-Transport mit abgebrannten Brennelementen nach Gorleben demonstriert. Die Organisatoren riefen zur Demontage von Bahnschienen auf, um den bevorstehenden Atomtransport zu verhindern. Nach Polizeiangaben kam es bislang aber zu keinen Zwischenfaellen.


SEK der Polizei beendet Meuterei in Abschiebegefaengnis

Ein Sondereinsatzkommando der Polizei hat am fruehen Morgen die Meuterei in einem Abschiebegefaengnis im ostwestfaelischen Bueren unblutig beendet. Ein Behoerdensprecher teilte mit, die Revolte habe bereits gestern Abend begonnen, als sechs Nordafrikaner zwei Wachleute beim Aufschliessen ihrer Zellen ueberwaeltigten. Die Haeftlinge forderten vor laufenden Kameras, mit einem fuehrenden Vertreter des nordrhein-westfaelischen Innenministeriums ueber ihre Abschiebung zu sprechen. Viele der Inhaftierten stammen aus Algerien und Tunesien und muessen oft monatelang auf ihre Abschiebung warten. Als es waehrend den Verhandlungen zu einem Feuer kam, das geloescht werden musste, ueberwaeltigte die Polizei die Gefangenen. Verletzt wurde niemand.


Anklage gegen Maurizio Gaudino erhoben

Mannheim. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen Fussballprofi Mauritio Gaudino erhoben. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung soll Gaudino in Bandenhehlerei und Autoschieberei verwickelt sein. Der ermittelnde Staatsanwalt betonte, dass der fuer Manchester City spielende Gaudino bis zum Urteil als unschuldig gelte.


Steffi Graf im Finale von Houston

Houston. Steffi Graf steht im Finale des mit 430 000 Dollar dotierten Tennisturniers von Houston. Graf bezwang die Vorjahressiegerin Sabine Hack mit 6:2 und 6:2. Die Bruehlerin trifft im Endspiel auf Asa Carlsson aus Schweden, die sich im ersten Halbfinale gegen Meike Babel durchgesetzt hatte.


Fussballbundesliga

1860 Muenchen - Vfl Bochum 4:0


Zur Sache - Es geht um Kinder (Suedwest Presse)

So einem wie Norbert Bluem kauft man das ab. Wenn der Bonner Sozialminister in Indien davon redet, dass er weltweit die Kinderarbeit aechten lassen will, dann ist das mehr als Politikergeschwaetz. Denn Bluem ist an dem Thema schon lange dran - und das auch wider den Zeitgeist: Vor vier Jahren, als die beinnende Deutsche Einheit dicke Loecher in die deutschen Kassen zu fressen begann, hat er es geschafft, trotz des verordneten Sparkurses noch 50 Millionen DM fuer diesen Kampf loszueisen. Und er hat dafuer gesorgt, dass das deutsche Engagement beim UN-Sozialgipfel im Maerz um nochmals den gleichen Betrag aufgestockt wird.

Doch mit Aktionen allein ist es nicht getan. Und mit falschen Methoden auch nicht. Denn Bluem uebersieht, dass die Anleihen, die er jetzt beim Tierschutz macht, auf die Kinderarbeit nicht so einfach uebertragbar sind: Anders als bei Elfenbein und Krokodilleder wird hier nicht mit toten Gegenstaenden gehandelt. Es geht um Menschen, um Kinder, die arbeiten muessen, weil sie von ihren Eltern verpfaendet wurden, weil die Familie sonst nicht leben kann.

Wer dieses System sprengen will, muss die Ursache beseitigen - die Existenznot der Armen. Das verlangt nach Hilfe und viel Geld. Die Marktmacht der Verbraucher reicht dazu nicht aus. Denn in der Weltwirtschaft spielen soziale Fragen so gut wie keine Rolle.


Unsere Sorgen (Suedwest Presse)

In unserem gesegnten Land kann man keinen Nagel in die Wand schlagen, ohne mit Vorschriften zusammenzurasseln. Um so grotesker wirkt die Komoedie um den Uralt-Atomreaktor Obrigheim, wo sich Betreiber, Politiker und Gerichte nicht darauf einigen koennen, ob das Kernkraftwerk nach einem Vierteljahrhundert immer noch im Probebetrieb laeuft oder ob es Anspruch auf eine uneingeschraenkte Genehmigung hat. Seit Donnerstag liegen die Kritiker im Kampf um Obrigheim nach Punkten vorn, ohne dass ihnen der technische K.o. durch Abschalten gelungen waere.

Der aergerliche Streit verliert an Bedeutung, wenn man nach Tschernobyl blickt. Von den vier Reaktoren ist einer 1986 explodiert, ein weiterer musste nach einem Brand abgeschaltet werden, und was die Sicherheit der beiden uebrigen anglangt, schlagen Experten die Haende ueber dem Kopf zusammen. Jetzt hat die Ukraine zugesagt, dass sie diese Reaktoren bis zum Jahr 2000 dicht machen will. Das ist eine gute Nachricht, wenn man darauf vertraut, dass dort in den naechsten Jahren nichts passiert.

Niemand fuerchtet im Ernst, dass Obrigheim ausser Kontrolle geraten koennte. Trotzdem ist es nicht in Ordnung, wenn bei einer so heiklen Technik die formalen Voraussetzungen fuer einen Dauerbetrieb nicht gegeben sind. Allerdings relativiert sich das Unbehagen an solcher Laessigkeit, wenn man an Tschernobyl denkt, und man kommt erleichtert zum Schluss: Unsere Sorgen moechten wir haben.


Probleme des Friedens (Suedwest Presse)

Aussenminister Klaus Kinkel hat es nicht einfach. Es wird nicht so recht deutlich, auf welche konkreten Ziele die deutsche Aussenpolitik angelegt ist. Viele einzelne Pass-Stuecke liegen bereit, doch der Aussenminister fuegt sie nicht zu einem einzigen Bild zusammen, im Gegenteil, der Beobachter hat eher den Eindruck, als drifteten die Probleme auseinander.

Doch Klaus Kinkel zu schelten, waere ganz falsch. Nimmt man die Aussenpolitik der Partner naeher in Augenschein, der Amerikaner, Franzosen oder Briten, oder sieht man auf die Russen, dann laesst sich leicht feststellen, dass es auch anderswo keine akzeptierte, stimmige und zielgerichtete auswaertige Politik gibt. Die Staaten bewegen sich in und orientieren sich an den altehrwuerdigen Strukturen, doch kommt die internationale Politik nicht voran, weil den Verantwortlichen zwar viele Fragen auf den Naegelen brennen, sie sich aber auf gemeinsame Antworten nicht verstaendigen koennen. Die Unfaehigkeit, den kleinen, aber boesartigen Konflikt auf dem Balkan auszutreten, ist das schon Alltag gewordene Beispiel fuer die strategische Fesselung der internationalen Politik.

Alle Anstrengungen des Westen galten nach dem Krieg der Eindaemmung der sowjetischen Expansionsbestrebungen. Ihre Instrumente dienten, wie die NATO, diesem Zweck oder waren, wie die EWG, spaeter EG und EU, direkter Ausfluss dieser Bemuehungen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versickerte auch im Westen die politische Aktivitaet, die Staaten zogen sich auf ihre nationalen Interessen zurueck. Die internationalen Verstrebungen haengen in der Luft.

Immerhin ist es ein Glueck, dass es die NATO und die EU gibt. Diese Buendnisse sind ja viel mehr als eine militaerische Koalition oder eine im Grund nur wirtschaftliche Zweckgemeinschaft. In NATO und EU verbanden sich Staaten zu einer Werteunion, die es zu verteidigen und auszubauen gilt. Waehrend es bei den im Vertrag von Maastricht formulierten Zielen zur Integration Europas vorangeht, bleibt die NATO in den Problemen stecken. Sie braucht zur Struktur einen neuen Impuls, eine neue Doktrin. Was wollen Amerikaner und Europaer gemeinsam ? Was sind ihre Ziele, wo drohen Gefahren, und wie schafft man diese neue Basis in Zeiten des Friedens, gerade wenn man weiss, dass dieser Frieden nicht fuer alle Ewigkeit garantiert ist?

Der amerikanische Professor William Smyser hat dieser Tage auf einem Forum der Hanns-Seidel-Stiftung die Probleme aufgeblaettert, auf die Amerikaner und Europaer in der NATO antworten muessen. Die Liste reicht von der Ausdehnung der NATO Richtung Osten ueber das Verhaeltnis zu Russland bis zu den Mittelmeeranrainern. Eine Belastung sind die neuen Kriege, der Bosnien-Konflikt ist nur ein Beispiel. Nur grob geordnet ist das Verhaeltnis von NATO zur UNO. Das sind zentrale Punkte der nordatlantischen Politik.

Smyser verlangt, die Probleme des Friedens mit der gleichen Sorgfalt, Vorsicht und Opferbereitschaft zu studieren und zu loesen wie die Probleme des Kalten Krieges. Da hat er recht. Die NATO-Doktrin ruhte auf dem Harmel-Bericht, der die Politik der Staerke mit dem Willen zur Entspannung verknuepfte. Das war die politisch-strategische Basis des Westens, die weit getragen hat. Es waere eine Aufgabe fuer Kinkel, das Forum zu schaffen, auf dem diskutiert und formuliert wird, wie die westliche Gemeinschaft in Frieden voranschreiten soll.


Ein Osterspaziergang (Sueddeutsche Zeitung)

Die schoensten Maedchen und das beste Bier, und Haendel von der ersten Sorte. Wovon ist die Rede? Vom Osterspaziergang. Das ist die erste Verheissung fuer die jungen Leute, die den Weg vor die Stadt hinausziehen. Dass nun Strom und Baeche vom Eise befreit sind, kommt erst spaeter dran. Und wenige Zeilen vor dieser Szene hat Goethe seinen Faust in der Osternacht auf den Chor der Engel antworten lassen: "O toenet fort, ihr suessen Himmelslieder! / Die Traene quillt, die Erde hat mich wieder." Jetzt, vor dem Tor, geht es also darum, wie diese Erde aussieht, was auf ihr zaehlt und was wichtig ist.

Der Osterspaziergang aus Goethes Faust ist eine Art Gegenstueck zu Schillers "Lied von der Glocke". Wie dort gleichsam das Gesetz buergerlichen Lebens in die Form sich rasch zu Sentenzen verselbststaendigender Verse gegossen wird, so wird hier die Vielfalt buergerlichen Lebens in seiner Wirklichkeit dargestellt. Wie dort im handwerklich-meisterlichen Glockengiessen eine dinghafte Parallele praesent ist, so hier im nuechternen Erlebnis des Festtagstreibens. Auf die Glaubensbotschaft folgt, zunaechst nur in der Erinnerung, der "Fruehjahrsfeier freies Glueck". "Erinn'rung", sagt Faust, der in der Osternacht Selbstmord begehen wollte, "haelt mich nun, mit kindlichem Gefuehle, / Vom letzten, ernsten Schritt zurueck." Der Osterspaziergang bringt den verzweifelten Gelehrten unter die Menschen.

Was hat sich geaendert? - "Da sieh mir nur die schoenen Knaben!", bemerkt ein Buergermaedchen: "Es ist warhaftig eine Schmach; / Gesellschaft koennten sie die allerbeste haben, / Und laufen diesen Maedchen nach!" Was hat sich geaendert in zweihundert Jahren? Die Rolle der Frau. Dass eine alte Kupplerin die jungen Maedchen beeindrucken kann mit Aussicht auf einen Mann zum Heiraten - "Ich seh mich um, ich such ihn ueberall" - das ist heute denn doch kaum noch glaubhaft, zumal nicht in der Bevoelkerung einer Universitaetsstadt. Deutschland, ein Emanzipationsmaerchen.

Fuer aeltere Menschen aendert sich da weniger. "Nein, er gefaellt mir nicht, der neue Buergermeister! / Nun, da er's ist, wird er nun taeglich dreister." Das ist eine Erfahrung mit den Tuecken des Wahlrechts, wie sie nicht veralten kann. "Und fuer die Stadt, was tut denn er? / Wird es nicht alle Tage schlimmer? / Gehorchen soll man mehr als immer / und zahlen mehr als je vorher." Das Problem ist nicht, dass die Klagen der Buerger seit Goethes Tagen dieselben geblieben sind. Das Problem ist, dass die Buerger seit jener Zeit und wahrscheinlich schon seit laengerem recht damit haben. Das laesst freilich auch auf eine gewisse Durchschnittlichkeit in der Gegenseitigkeit der Beziehungen von Regierenden und Regierten hoffen. Helden gibt es bei Gelegenheit des Osterspazierganges nicht, und Soldaten kommen da draussen lediglich als ein Stueck Folklore vor: "Das ist ein Leben! / Maedchen und Burgen / muessen sich geben." Burgen gab es schon damals nicht mehr als Herausforderung fuer jene Soldaten, denen der Dichter in Frankfurt oder Strassburg haette begegnet sein koennen, und Maedchen, das wusste er, zogen einen Studenten allemal einem Soldaten vor.

Nein, auf der Suche nach definitorischen Beispielen fuer Deutschlands neue Rolle in der Welt wird man beim Osterspaziergang nicht fuendig. Dort wird munter formuliert, was heute wieder als Exempel fuer weltpolitisches Versagen erscheint: "Nichts Besseres weiss ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespraech von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit in der Tuerkei / Die Voelker aufeinanderschlagen." Man steht freilich nicht mehr so oft am Fenster und trinkt sein Glaeschen aus, man tut dies bequem placiert vor dem Fernsehapparat, man ist immer schon zu Haus "und segnet Fried' und Friedenszeiten". Da ist andererseits aber auch jene Gemuetlichkeit, die einen froesteln machen kann: "Herr Nachbar, ja! So lass' ich's auch geschehen: / Sie moegen sich die Koepfe spalten, / Mag alles durcheinandergehen; / Doch nur zu Hause bleibt's beim alten."

Aber auch solche Gespraeche kramen waehrend des Osterspaziergangs nur Erinnerung hervor. Das Lebensgefuehl draussen vor dem Tor ist ein anderes. "Jeder sonnt sich heut so gern", sagt Faust, als er die Menge beobachtet: "Sie feiern die Auferstehung des Herrn: / denn sie sind selber auferstanden." Und er stellt den Alltag des arbeitenden Menschen in seiner Enge und Bedrueckung gegen das Bild ihres Ausbrechens in die freie Natur: "Zufrieden jauchzet Gross und Klein: / Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!"

Damit hat der beruehmte Doktor wieder nur jenen Anschluss hergestellt, der das christliche Fest mit der elementaren Freude am Erwachen des Fruehlings verbindet, nun aber hergestellt in einem geistigen Bezug, der in vorchristliche Zeit verweist. Einer der fuer das europaeische Lebensgefuehl bedeutendsten Dichter, Menander, hat es so formuliert: "Wie anmutig ist doch der Mensch, wenn er denn Mensch ist." Nur der Streber, der Famulus Wagner, gibt vor, daran keine Freude finden zu koennen. "Weil ich ein Feind von allem Rohen bin."

Indes, wie wenig roh sind diese Menschen, da sie des gelehrten Mannes ansichtig werden. Im Zentrum des Osterspaziergangs steht eine Bezeugung selbstbewusster Dankbarkeit. Ein alter Bauer laedt Faust zum Trinken ein: "Fuerwahr, es ist sehr wohlgetan, / dass ihr am frohen Tag erscheint; / habt ihr es vormals doch mit uns / an boesen Tagen gut gemeint!" Auch das, was schon Fausts Vater fuer die Menschen am Ort getan hat, ruft der Mann ins Gedaechtnis zurueck. Von diesem Punkt an wendet sich Goethes Stueck, auch was die Fortsetzung des Spaziergangs betrifft, wieder Fausts persoenlicher Not zu. Der Osterspaziergang als Gelegenheit, den Blick nach draussen zur richten endet mit dieser Darstellung des Volkes - es "sammelt sich im Kreis umher" - als eine Gesellschaft dankbarer Menschen.

Das Gefuehl der Dankbarkeit - Die Steigerung von den haendelsuechtigen Burschen ueber die herzlos-harmlosen Biedermaenner zu den dankbaren Leuten um den alten Bauern herum koennte gluecklicher nicht gewaehlt sein. Die Menschen sind zuletzt doch dankbar, dankbarer als mancher glauben mag. Dankbarkeit ist eine Tugend, die dazugehoert, damit sie sich untereinander wohl fuehlen. Und manch einer, der sich von der Menge missverstanden, ja verachtet fuehlt, koennte sich fragen, wie er's mit der Dankbarkeit haelt. Unter Politikern, hoert man, gilt Dankbarkeit als etwas, was es nicht gibt, und wer von ihr spricht, laeuft Gefahr, als naiv abgestempelt zu werden. Sicherlich, es sind oft gerade Menschen, die einem in den taeglichen Geschaeften wenig Respekt einfloessen, die dann bei anderen Gelegenheiten und ganz unvermutet Beweise von Dankbarkeit geben; dass sie damit den Ehrlichen unter ihren Weggefaehrten die Schamesroete ins Gesicht treiben, sollte zu denken geben. Dankbarkeit ist wohl ein sehr urspruenglicher Aeusserungstrieb.

Auf diese Demonstration von Dankbarkeit als eines Gefuehls, dem viele Ausdruck geben wollen, laeuft der Osterspaziergang als Abbild der Gesellschaft hinaus. Das Geschenk des Osterfestes und das Geschenk des Fruehlings vermag Menschen zu ungewoehnlichen Aeusserungen von Dankbarkeit zu bewegen. Daran hat sich in Jahrhunderten und Jahrtausenden nichts geaendert. Und das suchen die Menschen, die es an Ostern hinausdraengt, vielleicht am staerksten zu erfahren.


Das Streiflicht (Sueddeutsche Zeitung)

Nichts scheint unmoeglich zu sein in diesen Tagen. Hartnaeckig haelt sich das Geruecht, der Bundesinneminster reformiere das oeffentliche Dienstrecht und Beamte sollten kuenftig die einzigen sein, die nach Leistung bezahlt werden. Einige behaupten, die Feldhasen wuerden, in panischer Angst vor ihrer Ausrottung, bunte Eier in die Agrarsteppen Mitteleuropas legen. Im Schweizer Emmental soll es der Kuckuck den Huehnern gleichtun. In Thueringen lebende versprengte Walachen erwarten siche reich Ostergeschenke vom Storch. Bayerns Ministerpraesident Stoiber flattert indessen bis nach Fernost und presst dort aus seinem asketischen Leib weissblaue Eier, die sich alsbald in Haeuser der deutschen Wirtschaft verwandeln. Fast zur selben Stunde steht Berlins Regierender Buergermeister im Pekinger Zoo, und sein Auge ruht mit Wohlgefallen auf einem Pandaweib. Schnell gelangt die voroesterliche Kunde bis nach Deutschland: "Diepgen wuenscht sich Baerennachwuchs".

"Was wird seine Frau dazu sagen ?" fragten wir uns bang, als wir die Nachricht vernahmen. Und sorgten uns sehr um den rastlosen Buergermeister, weils wir doch wissen, wie sich die grossen Pandas gewoehnlich naeherkommen: Zuerst wird ein Stueck aus dem Oehrchen gebissen, dann rein mit den Pranken ins drahtige Fell! Welche Erleichterung, als wir erfuhren, dass Diepgen nur als Kuppler unterwegs war fuer Bao-Bao, dem muerrischen Eremiten im Westberliner Zoo. Yan-Yan, die neunjaehrige Baerin soll das schaffen, was noch keiner gelungen ist. Sie soll Bao-Bao in den siebten Bambushimmel entfuehren, auf dass die pandaverrueckten Berliner endlich ihren schwarzweissen Teddy haben. Fuenf Jahre hat sie dazu Zeit. Diepgen wird aber vielleicht schon sehr bald erkennen muessen, dass es nicht so klug war, sein politisches Schicksal ausgerechnet mit dem Liebesleben zweier Pandabaeren zu verknuepfen.

Der 17jaehrige Bao-Bao ist ein hoffnungsloser Fall. Seine erste Lebenabschnittsgefaehrtin Tian-Tian starb in Berlin an gebrochenem Herzen, was notduerftig mit dem Hinweis auf eine Virusinfektion kaschiert wurde. Dann brachten sie den Ruepel im Londoner Zoo mit der reizenden Ming-Ming zusammen, der er solange mit Gemeinheiten zusetzte, bis es zum Rosenkrieg kam. Ming-Ming wurde inzwischen nach China zurueckgebracht und soll sich noch immer in therapeutischer Behandlung befinden. Schon ist in Berlin die Rede von kuenstlicher Befruchtung, aber Pandabaeren lehnen solche Eingriffe aus ethischen Gruenden ab. Sie hassen Saetze wie "Kleene, du bist aber suess" und verabscheuen den Geruch von Currywurst und Deospray. Menschen wirken auf Pandas wie grosse Engerlinge, die den Koerper in ein schaebiges Baerenfell gezwaengt haben. Pandabaeren wehren sich, indem sie unfruchtbar werden. Und es ist auch nur eine Frage der Zeit, dann verweigern sich auch die Osterhasen.


Quellen

B5    8:30 MESZ    15:35 MESZ
SDR3    10:00 MESZ    15:00 MESZ    20:00 MESZ
Antenne Bayern    16:00 MESZ
Radio 7    17:00 MESZ
DLF    19:00 MESZ
Suedwest Presse vom Sa,    15.04.1995
Sueddeutsche Zeitung vom Sa/So/Mo,    15./16./17.04.1995