Regierungswechsel in Bonn vollzogen |
Der heutige Tag bot reichlich Anschauungsmaterial in Sachen
Grundgesetz. Vier Wochen nach der Wahl vollzogen die Verfassungsorgane
der Bundesrepublik den geordneten Uebergang von einer Regierung zur
naechsten. Wichtigster Tagesordnungspunkt war am Mittag die Wahl von
Gerhard Schroeder zum Bundeskanzler. Mit ueberraschend klarer Mehrheit
wurde der Sozialdemokrat in das maechtigste Amt im Staate eingesetzt.
Es folgten die Ernennung durch Bundespraesident Herzog, die Vereidigung
vor dem Parlament und die formelle Einfuehrung des rot-gruenen Kabinetts.
Ein neuer Abschnitt deutscher Nachkriegspolitik kann beginnen.
Nicht einmal eine viertel Stunde dauerten die Ansprachen des alten und des neuen Bundeskanzlers, Helmut Kohl sichtlich geruehrt, wuenschte seinem Nachfolger Gerhard Schroeder viel Erfolg: "Neuer Bundeskanzler, ich wuensche Ihnen fuer unser Vaterland eine glueckliche Hand. Sie uebernehmen diese Aufgabe in einer Zeit mit ganz anderen Masstaeben und vor allem mit ganz anderen Herausforderungen als ich das damals erfahren habe vor 16 Jahren. Aber ich finde es hat auch - macht wenig Sinn, unentwegt die Geschichte zu versuchen neu zu schreiben." "Sie sind Geschichte" antwortete der neue dem alten Bundeskanzler. Ganz besondere Groesse hat Helmut Kohl in den Augen Gerhard Schroeders in der Stunde der Wahlniederlage gezeigt: "Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Das Kompliment naemlich, dass die Art und Weise, wie Sie Selbstverstaendlichkeit, Normalitaet deutlich gemacht haben im demokratischen Wechsel, dass dies uns allen sehr geholfen hat. Sie haben zu Recht davon geredet, dass das Deutschlands Ansehen auch in der Welt im uebrigen vermehrt hat. Und lassen Sie mich das so schlicht sagen. Ich verspreche Ihnen, in der Regierungserklaerung werden Sie noch einmal lobend erwaehnt - dann ist aber auch Schluss." Eine Portion Humor bewiesen heute abend beide, der neue und der alte Bundeskanzler. Der neue, Gerhard Schroeder, um dem alten, Helmut Kohl, den Abschied etwas leichter zu machen. Doch das war sichtlich schwer, nach 16 Jahren Helmut Kohl im Kanzleramt, die jetzt zu Ende sind.
Nach dem neuen Bundeskanzler Schroeder haben nun auch die 15 Minister
der rot-gruenen Regierung ihren Amtseid im Bundestag abgelegt.
Bundestagspraesident Wolfgang Thierse nahm dem neuen Bundeskanzler den
Amtseid ab: "Herr Bundeskanzler, ich reiche Ihnen das Grundgesetz fuer
die Bundesrepublik Deutschland und bitte Sie, den Eid zu leisten."
"Ich schwoere, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes
widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz
und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten
gewissenhaft erfuellen und Gerechtigkeit gegenueber jedermann ueben
werde." (Schroeder)
Fuer Schroeder stimmten in geheimer Wahl sechs Abgeordnete mehr, als SPD
und Gruene Sitze haben. Inzwischen ist auch Schroeders Kabinett im Amt.
Bundespraesident Herzog ueberreichte den elf Ministern und vier
Ministerinnen ihre Ernennungsurkunden: " Jetzt sind Sie die Regierung
der Bundesrepublik Deutschland. Nehmen Sie Ihre Befugnisse mit Mut, Kraft
und Augenmass wahr. Meine besten Wuensche begleiten Sie dabei." |
Hamburger Verfassungsschuetzer wird Chef der Geheimdienste |
Die vorlaeufig letzte Personalentscheidung von Gerhard Schroeder wurde
heute morgen bekannt. Danach wird der Hamburger Polizeipraesident Ernst
Uhrlau ab naechsten Monat die Arbeit der deutschen Geheimdienste
koordinieren. Der 51-jaehrige Sozialdemokrat, der auch schon den
Verfassungsschutz der Hansestadt geleitet hat, tritt damit die Nachfolge
von Bernd Schmidtbauer an.
Der neue Bundeskanzler persoenlich hat den Hamburger Polizeipraesidenten
in sein Bonner Team gebeten. Ab der kommenden Woche wird Ernst Uhrlau
dort die Arbeit der Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und MAD
koordinieren. Allerdings nicht, wie sein Vorgaenger, als Staatsminister,
sondern als Abteilungsleiter. Schon vor der Wahl hatte der Sozialdemokrat
den Arbeitskreis Innere Sicherheit der SPD beraten. 15 Jahre lang arbeitete
der studierte Politologe beim Hamburger Verfassungsschutz, fuenf Jahre
davon als Leiter. Er gilt als brillianter Analytiker und
Extremismus-Experte. Zu seinen genauen Aufgaben in Bonn aeusserte sich
Uhrlau heute noch nicht, wies aber Zweifel an der Notwendigkeit von
Geheimdiensten zurueck, wie sie in der Vergangenheit vereinzelt von den
Gruenen zu hoeren waren. Wichtig werde die Rolle der Dienste auch
innerhalb der europaeischen Union sein: "Sicherheitsdienste,
Nachrichtendienste auch als Fruehwarnsystem kuenftiger Entwicklungen im
europaeischen Bereich oder bezogen auf die Konfliktfelder, die fuer
Europa eine Bedeutung haben." |
Karlsruhe verwirft bayerisches Abtreibungssondergesetz |
Nach dem Karlsruher Urteil hat die SPD im bayerischen Landtag mehrere
Dringlichkeitsantraege gestellt. Darin wird die Staatsregierung
aufgefordert, die bayerischen Sondergesetze unverzueglich zurueckzunehmen
und keine weiteren rechtlichen Schritte einzuleiten. Das
Bundesverfassungsgericht hatte am Vormittag den bayerischen Sonderweg
im Abtreibungsrecht fuer verfassungswidrig erklaert. Mit ihrem Urteil
gaben die Richter in Karlsruhe der Klage von fuenf Aerzten recht.
Nach dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts koennen die
beiden Abtreibungsspezialisten Andreas Freudemann und Friedrich Stapf
ihre Praxen uneingeschraenkt weiterbetreiben, in denen sie in den
beiden vergangenen Jahren den groessten Teil aller
Schwangerschaftsabbrueche im Freistaat vornahmen. Die mit dem
umstrittenen Gesetz geplante Facharzterfordernis wird zumindest fuer
diese beiden nicht gelten. Fuer vollkommen nichtig erklaerte das
Bundesverfassungsgericht die Begrenzung zulaessiger Einnahmen aus
Schwangerschaftsabbruechen auf ein Viertel der Gesamteinkuenfte eines
Arztes. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes hat bereits der
Bundesgesetzgeber den Spielraum fuer Sonderwege der Laender insoweit
versperrt, Bayern also seine Gesetzgebungskompetenzen ueberschritten.
Nicht betroffen von dem Karlsruher Urteil ist das bayerische
Beratungsgesetz.
Fuer die bayerische Staatsregierung ist dieses Urteil eine harte Lektion.
Die bayerische Staatregierung liess offen, ob sie erneut eine Initiative
in Sachen Abtreibungsrecht starten wird. Barbara Stamm kuendigte an, dass
man das Votum der drei Richter genau pruefen werde, die sich der
bayerischen Haltung angeschlossen hatten. Fest steht aber jetzt schon,
dass der Streit um die Abtreibung in Bayern weiter gehen wird.
Die SPD kuendigte Dringlichkeitsantraege im Landtag an. Damit will sie
einen neuen Anlauf von CSU und Staatsregierung verhindern. Es muesse
endlich Rechtsfrieden herrschen, verlangte die SPD-Landes- und
Fraktionschefin Renate Schmidt: "Wir fordern die bayerische
Staatsregierung auf, jetzt umgehend diese bayerischen Sondergesetze
zurueckzuziehen und endlich die Bundesgesetzgebung auch hier im Freistaat
Bayern zu verwirklichen und Abstand zu nehmen von jeglichen Bestrebungen,
den muehsam ausgehandelten Kompromiss zum Schutz des ungeborenen Lebens
und zur Rechtssicherheit von Frauen, diesen nun nicht ein weiteres Mal
in Frage zu stellen." Die Gruenen hoffen, dass qualifizierte Frauenaerzte
jetzt in Ruhe ihre Behandlungsmoeglichkeiten fuer
Schwangerschaftsabbrueche ausbauen koennen und so die Versorgung besser
wird. |
Guenter Krause in der Zwickmuehle |
Gegen den frueheren Bundesverkehrsminister sind drei Haftbefehle
ergangen. Das hat das Landgericht Rostock bestaetigt. Damit soll Krause
gezwungen werden, entweder seine Schulden zu begleichen oder einen
Offenbarungseid zu leisten. Hintergrund des juristischen Verfahrens sind
finanzielle Forderungen von drei Vertragspartnern der Immobilienfirma
Krauses Aufbau Invest. Ihnen soll der Exminister insgesamt 1,1 Millionen
DM schulden. |
Boerse |
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Quellen |
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