Treffen der FDP-Landesvorstaende |
Karlsruhe. Die Nachfolger des scheidenden Parteichefs Kinkel und die Zukunft
der Liberalen standen heute im Mittelpunkt eines Treffens von acht
FDP-Landesvorstaenden. Ausserdem sollten die Themen fuer den Bundesparteitag
im Juni eroertert werden. Nachdem sich gestern der hessische
Landesvorsitzende Gerhard offiziell zur Kandidatur fuer den Bundesvorsitz
bereiterklaert hat ist noch offen, ob es weitere Bewerber fuer das Amt geben
wird.
Zum Abschluss des Treffens erklaerte der baden-wuerttembergische FDP-Chef
Doering, Gerhard koenne voll mit der Unterstuetzung der in Karlsruhe
anwesenden Landesverbaende rechnen.
In der FDP gibt es unterschiedliche Auffassungen ueber die Personalpolitik
und den kuenftigen Kurs der Partei. Der zum rechten FDP-Fluegel zaehlende
ehemalige Generalbundesanwalt von Stahl schrieb in einem Zeitungsbeitrag,
falls der hessische FDP-Chef Gerhard neuer Parteivorsitzender werde, muesse
er auch ein Ministeramt in Bonn erhalten. Sonst werde er in der
Oeffentlichkeit nur als Konkursverwalter der Liberalten angesehen. Von Stahl
empfahl seiner Partei ausserdem, darueber nachzudenken, ob sie sich nicht
besser in der Opposition erholen koennte. Der Chef der FDP-Bundestagsfraktion
Solms erklaerte, der neuen Parteivorsitzende solle auf keine Fall dem
Bundeskabinett angehoeren. Die Doppelbelastung von Parteivorsitz und
Ministeramt sei eine Ueberforderung. |
Rexrodt kritisiert den Zustand der FDP scharf |
Berlin. Der Berliner FDP-Landeschef und Bundeswirtschaftminister Rexrodt hat
den Zustand seiner Partei scharf kritisiert und zu einer Klaerung der
Personalfragen aufgerufen. Auf einer Landesversammlung der Berliner FDP sagte
Rexrodt, der angekuendigte Rueckzug von Parteichef Kinkel sei ein deutliches
Zeichen fuer die derzeitige personelle und inhaltliche Desorientierung der
Partei. Dieser Zustand muesse schnellstmoeglich, spaetestens aber bis zum
Bundesparteitag in drei Wochen beendet sein. |
SPD bereitet Koalitionsverhandlungen vor |
Duesseldorf. Die nordrhein-westfaelische SPD hat heute die
Koalitionsverhandlungen mit den Gruenen vorbereitet. Dazu kam der
geschaeftsfuehrende Landesvorstand der Partei zusammen.
Ministerpraesident Johannes Rau hat unterdessen Erwartungen gedaempft, er
werde das Raetselraten ueber seine politische Zukunft rasch beenden.
Unmittelbar vor der Sitzung des geschaeftsfuehrenden Landesvorstandes in
Wuppertal sagte Rau, man werde vorerst nur ueber Sachfragen beraten. Ueber
Personlfragen rede man noch lange nicht. Rau hatte es bislang stets
abgelehnt, ein rot-gruenes Buendnis zu fuehren. Nach der Landtagswahl vor
einer Woche, bei der die SPD nach 15 Jahren ihre absolute Mehrheit verloren
hatte ist sie nun aber auf einen Koalitionspartner angewiesen. |
Bluem will Fruehrente fuer Arbeitslose durch Arbeitslosengeld ersetzen |
Bonn. Bundesarbeitsminister Bluem will angeblich die Fruehrente fuer
Erwerbslose durch die Zahlung von Arbeitslosengeld ersetzen. Die
"Bild-Zeitung" meldet, dies solle fuer Personen gelten, die nur noch
stundenweise arbeiten koennen und keinen geeigneten Arbeitsplatz finden.
Bluem sagte dem Blatt zufolge, die Berufs- und Erwerbsunfaehigkeit muesse
endlich auf das eigentliche Invaliditaetsrisiko konzentriert werden. Die
Rentenversicherung koenne so um etliche Milliarden DM entlastet werden. In
Deutschland beziehen den Angaben zufolge rund 1.6 Millionen Menschen Berufs-
oder Erwerbsunfaehigkeitsrente. |
Seehofer will Krankenversicherungsbeitraege festschreiben |
Bonn. Gesundheitsminister Seehofer will die Beitraege zur gesetzlichen
Krankenversicherung kuenftig gesetzlich festschreiben. Gegenueber der Zeitung
"Bild am Sonntag" sagte Seehofer, Ziel sei die Stabilitaet der Beitraege.
Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteil sollten daher festgelegt werden. Bisher
bestimmen die Krankenkassen den Beitragssatz. Derzeit betraegt er etwa 13 %,
ist aber bei den einzelnen Kassen unterschiedlich hoch. |
Spranger unterwegs in Georgien, Armenien und Aserbaidschan |
Bonn. Entwicklungshilfeminister Spranger ist heute zu einer Reise nach
Georgien, Armenien und Aserbaidschan aufgebrochen. Nach Angaben des
Bundesministeriums fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit soll Spranger
erkunden, wie Deutschland die drei Laender auf ihrem Weg der Reformen
unterstuetzen kann. |
Abgeordnetendiaeten sollen an Einkommen von Bundesrichtern gekoppelt werden |
Bonn. Die Diaeten von Bundestagsabgeordneten sollen an die Einkommen von
Bundesrichtern gekoppelt werden. Das sehe ein Vorschlag der
Rechtsstellungskommission des Bundestages vor berichtet die Deutsche
Presseagentur. Dazu waere eine Aenderung des Grundgesetzes noetig. Die
Abgeordnetendiaeten betragen zur Zeit rund 10.400 DM, die Bezuege von
Bundesrichtern liegen bei knapp 14.000 DM. Im Gespraech ist, diese
Aufstockung von mehr als 3.000 DM ueber mehrere Jahre zu verteilen. |
HBV weitet Arbeitskampfmassnahmen aus |
In der Tarifauseinandersetzung im deutschen Einzelhandel will die
Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen in den naechsten Tagen ihre
Arbeitskampfmassnahmen und Urabstimmungen ausweiten. Dies erklaerte
HBV-Vorstandsmitglied Widholt am Vormittag in Duesseldorf. Die Schwerpunkte
wuerden erneut in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen liegen. In
Hamburg und Schleswig-Holstein werde morgen ueber Arbeitskampfmassnahmen
beraten. Die Angebote der Arbeitgeber unter 3 Prozent glichen einer
Provokation, sagte Frau Widholt. |
Mercedes fuer die Einfuehrung von Samstagsarbeit |
Stuttgart. Mercedes-Vorstandschef Werner hat sich dafuer ausgesprochen, dass
in dem Automobilkonzern kuenftig auch samstags gearbeitet werden soll.
Mercedes koenne sich aus Wettbewerbsgruenden den freien Samstag nicht mehr
leisten. In einem Interview mit dem Wirtschafsmagazin "DN" sagte Werner, die
Arbeitswoche in Deutschland sehe derzeit so aus, dass zwei Siebtel des
Kapitals ungenutzt blieben. Sein Unternehmen werde aber auf jeden Fall am
Wirtschaftsstandort Deutschland festhalten. |
VW-AG will Arbeitszeiten an Nachfrage koppeln |
Die Volkswagen AG will die Arbeitszeit in ihren Werken an die Autonachfrage
koppeln. Vorstandsvorsitzender Ferdinand Piech sagte der Zeitschrift "Super
Illu", sein Wunsch an die Gewerkschaften sei, Autos dann zu bauen, wenn man
sie verkaufen kann und weniger zu arbeiten, wenn keine Nachfrage besteht.
Nach Piech koennen im Fruehling etwa 50% mehr Autos verkauft werden als im
Herbst. Bei entsprechender Nachfrage will er auch sechs Tage lang in drei
Schichten arbeiten lassen. |
Geiselnahme in JVA Celle |
Celle. In der Justizvollzugsanstalt Celle haben zwei Gefangene einen
Vollzugsbeamten als Geisel genommen. Nach Angaben der Polizei brachten die
zwei Haeftlinge den 35jaehrigen Wachmann am Morgen in ihre Gewalt. Sie
haetten damit gedroht, ihre Geisel zu toeten, falls das Gefaengnis gestuermt
werden sollte. Die Geiselnehmer fordern ein Fluchtauto und 200.000 DM.
In Anrufen bei Zeitungen und Rundfunksendern gab ein Gefangener als Grund
fuer seine Tat an, er wolle gegen die seiner Ansicht nach unzureichende
medizinische Betreuung eines Mithaeftlings protestieren. Dieser war laut
Polizei vergangene Woche in dem Gefaengnis an Herzversagen gestorben. Wie die
Polizei weiter mitteilte, ist einer der beiden Geiselnehmer wegen versuchten
Totschlages verurteilt und sitzt seit 1979 in Celle. Er habe auf den Tag
genau vor elf Jahren schon einmal einen Beamten in dem Gefaengnis als Geisel
genommen. |
Autofreier Sonntag |
Umweltschuetzer und die evangelischen Kirchen haben den heutigen Sonntag zum
autofreien Tag erklaert. Die Aktion "Mobil ohne Auto" hat rund 2.000
Veranstaltungen, wie zum Beispiel Umweltgottesdienste, Strassenfeste und
Sternfahrten organisiert. Ein Sprecher der Aktion sagte, wenn eine Million
Menschen ihre Autos stehen liessen habe man viel erreicht. Der
Umweltbeauftragte der evangelischen Kirche Deutschlands, Fockert, forderte
ein Umdenken in der Verkehrspolitik. So muesse vor allem der Strassenverkehr
eingedaemmt werden.
Der autofreie Sonntag erwies sich vor allem im Norden Deutschlands als Flop.
Statt einer Million Teilnehmern zaehlten die Veranstalter gerade die Haelfte.
Bei der groessten Fahrraddemo der Aktion radelten nach deren Angaben 5.000
Menschen in einer Sternfahrt in die Muenchner Innenstadt. Die Polizei sprach
dagegen von maximal 1.000 Teilnehmern. In Baden-Wuerttemberg und Bayern gab
es viele kleine Veranstaltungen. |
Warten auf Rot-Gruen (Kommentar der Sueddeutschen Zeitung) |
Wird Deutschland jetzt rot-gruen? Die Frage erweckt bei den einen Angst und
Gruseln, bei den anderen Hoffnung und Erwartung. Die einen fuerchten die
Rueckkehr in die Steinzeit, die anderen traeumen schon von einem neuen
Millenium. Aber weder dir Aengste noch die Traeume werden in Erfuellung
gehen. Dir Roten sind schon bisher in der Regierungsverantwortung nicht roter
geworden und die Gruenen werden als Koalitionspartner der SPD nicht gruener
werden. Im Gegenteil. Die Fundis haben das immer gewusst. Nun muessen die
Realos Farbe bekennen, und was dabei herauskommt wird ziemlich changieren.
Wenn es so einfach waere, diese Gesellschaft ueber Nacht zu reformieren,
haetten es schon andere versucht. Seit vergangenem Sonntag mag im
Parteiengefuege einiges neu sein, aber die alten Probleme sind geblieben und
so schwer zu loesen wie eh und je. Mit dem Verzicht auf ein Braunkohlerevier
haette man zunaechst nichts anderes gewonnen als ein paar zehntausend
Arbeitslose mehr.
Der Erfolg der Gruenen ist auch kein Krisenzeichen, sondern ein Wohlstandssyndrom, weshalb sie nur in den alten Bundeslaendern reuessieren. In dieser Gesellschaft ist das Gefuehl oekonomischer Sicherheit weit verbreitet. Viele materielle Wuensche sind erfuellt oder erfuellbar. Materielle Wuensche koennen deshalb zuruecktreten. Dafuer haben das Sozialsystem des Staates und das reiche Erbe der Vaeter gesorgt. Die industrielle Revolution und die Liberalisierung der Lebensformen haben die Gesellschaft zutiefst veraendert. Der Wunsch nach Lebensqualitaet und die Angst vor dem Verlust des Erreichten sind in den Vordergrund getreten. Wirtschaftliches Wachstum ist allein deshalb weder populaer noch erwuenscht, weil es Schaden fuer die Lebensqualitaet bedeuten koennte. Sind die Gruenen schon eine Volkspartei? Haelt man sich an den klassischen Begriff, dann sind sie es nicht. Eine Volkspartei muss in der Lage sein, verschiedene gesellschaftliche Gruppen in einer Interessenkoalition zusammenzubringen, alos wie die SPD lange Zeit Arbeiter und aufstrebenden Mittelstand oder wie die CDU Unternehmer, Mittelstand und Facharbeiter sowie Angehoerige verschiedener christlicher Konfessionen. Davon kann schon bei diesen beiden Parteien nur noch begrenzt die Rede sein, kaum aber bei den Gruenen. Sie sind attraktiv fuer Menschen gleicher Gefuehlslage aus allen Schichten, bleiben im Kern auber eine Milieu-Partei. Dieser Kern kaommt aus der jungen und juengeren Generation in den Staedten, insbesondere Studierenden und aufstrebenden Akademikern, aus der hedonistischen Single- und Selbstverwirklichungsgeneration. Was heisst schon liberal ? Theoretisch koennten viele davon auch SPD- und FDP-Waehler sein. Der SPD haengt jedoch der Mief der Klassenparte an, obwohl ihre Stammwaehler, die Arbeiter, einen immer geringeren Anteil der postindustriellen Gesellschaft stellen und auch nicht mehr als parteitreu gelten koennen. Auch in der SPD geben laengst andere den Ton an, zumeist Angehoerige der vom Staat getragenen Klasse des oeffentlichen Dienstes, weshalb sie oft als Lehrerpartei verspottet wird. Daher auch die Naehe und Austauschbarkeit in diesem Waehlerreservoir der Sozialdemokraten und der Gruenen. Im Gegensatz zur Arbeiterklasse, in der der Sohn wie der Vater waehlte, ist die Waehlergruppe der Individualisten eher unbestaendig und launenhaft. Es fehtl das starke Solidaritaets- und Loyalitaetsgefuehl gegenueber der eigenen Klasse wie bei den Arbeitern. Dieses Zugehoerigkeitsgefuehl zu einer Klasse oder Grupp ist in der individualistischen, egalitaeren klassenlosen Gesellschaft ohnehin weitgehend verlorengegangen. Das ist auch das Problem der FDP. Was heisst schon liberal in einer Gesellschaft, in der fast alles erlaubt ist und liberal, was gefaellt? Die Freiheit vom Staat ist in den persoenlichen Verhaeltnissen laengst verwirklicht. Die Buergerrechte sind kein dringendes Thema mehr. Freiheit und Eigenverantwortung gehoeren heute auch begrifflich nicht mehr unbedingt zusammen. Der Staat hat den Buergern einen grossen Teil der Eigenverantwortung uebernommen. Die Buerger haben sich daran gewoehnt, immer mehr vom Staat zu verlangen. Deshalb konnte die FDP auch mit ihren Steuersenkungsparolen kaum Eindruck machen. Die meisten Menschen stoehnen zwar unter der wachsenden Steuer- und Abgabenlast, ertragen diese aber, wenn sie vom Staat nur genug zurueckbekommen. Sicherheit geht vor Verantwortung. Opposition zahlt sich aus. So ist der Waehlerschwund der FPD wahrscheinlich nicht nur auf das blasse Personal und Programm der Partei zurueckzufuehren. Die Partei war in der Bundesrepublik ohnehin nur eine Nischenpartei. Der Wandel der Gesellschaft, die Veraenderung der Interessen und Stimmungen engt diese Nische immer mehr ein. Hinzu kommt die Glaubwuerdigkeitsluecke. Eine Partei, die 25 Jahre hinterinander an wechselnden Koalitionen beteiligt ist und als Juniorpartner nur wenig von ihrem Programm durchsetzen kann, verliert irgendwann ihre Glaubwuerdigkeit. Die Gruenen haben ihr vorgemacht, dass sich Opposition auszahlt. Es war seit einiger Zeit vorherzusehen, dass die FDP von den Gruenen auf dem Platz der dritten Kraft abgeloest werden wuerde. Die Veraenderungen des Parteiengefueges beschraenken sich jedoch nicht nur darauf. Die beiden grossen Volksparteien SPD und CDU haben viel von ihrer Integrationskraft verloren. Die innerparteilichen Koalitionen der Volksparteien loesen sich auf, weil traditionelle gesellschaftliche Gruppen verschwinden oder an Bedeutung verlieren. Neben den vier etablierten Parteien gibt es inzwischen eine fuenfte, die Partei der Nichtwaehler. Diese trauen keine der Parteien die Bewaeltigung der ungeloesten Probleme dieser Gesellschaft zu. Entsteht aus diesem Umwaelzungsprozess ein neues Parteiengefuege? Im Augenblick gibt es mehr Fragen als Gewissheiten. In der Annahme, dass das Ende der FDP nicht aufzuhalten ist, sind die Gruenen umworben. Joschka Fischer macht's moeglich. Viele seiner Ideen fuer die Reform des Steuersystems und den oekologischen Umbau der Wirtschaft sind attraktiv und vernuenftig. So kann sich selbst Wolfgang Schaeuble eine schwarz-gruene Koalition vorstellen. Fischer muss das Liebeswerben aber zurueckweisen, denn seine immer noch unberechnbare Gefolgschaft fuehlt sich eher abgestossen. Und ob Schaeuble den Spagat zwischen Wertekonservatismus und gruener Reform schaffen koennte, wuerde er heute von ihm verlangt, ist eher unwahrscheinlich. Die Gruenen muessen deshalb erst einmal an der Seite der SPD beweisen, ob sie einige ihrer Ziele ueberhaupt verwirklichen koennen. Sonst droht ihnen das Schicksal der FDP.
Die CDU muss unterdessen nach einer neuen Mehrheit Ausschau halten.
Unweigerlich werden die Gedankenspiele mit einer vierten Partei am rechten
Rand wieder auftauchen. Liegt hier die Zukunft der FDP, die dann allerdings
eine andere Partei waere ? Wenig wahrscheinlich, erstens wuerde sie daran
vollends zerbrechen, zweitens ist rechts augenblicklich wenig zu holen, und
drittens ist das Spiel mit der vierten Partei ein Nullsummenspiel. Schon
Franz Josef Strauss musste einsehen, dass der Union verlorengeht, was zu
einer solchen Partei abwandert. Was bleibt? Warten auf Rot-Gruen. |
Verfassungsdiskussion im bayerischen Landtag (Kommentar von B5) |
Im Muenchner Landtag diskutieren die Delegierten zur Zeit ueber die Aenderung
der bayerischen Verfassung. Ausloeser dafuer ist die Absicht der CSU, dem
Ministerpraesidenten und dem Kabinett mehr Spielraum bei der Verwendung der
Privatisierungserloese zu verschaffen. Aber auch das Volksbegehren
"Buergerentscheide in Landkreisen und Gemeinden" zwingt zu einer Aenderung
der Verfassung. Im Verlauf der ersten Gespraeche haben SPD und Gruene nun
allerdings eine weitere Modernisierung der Verfassungsartikel gefordert. Ein
Ansinnen, das die geplante Verfassungsaenderung freilich nicht einfacher
macht. Guenther Weinzierl (B5) fasst den aktuellen Stand der Diskussion
zusammen:
Beim bayerischen Verfassungsgerichtshof ist zur Zeit eine Klage der SPD anhaengig, die sich gegen die Verwendung von Privatisierungserloesen fuer Zwecke wendet, die nicht in der Verfassung vorgesehen sind. Darin heisst es naemlich, dass aus dem sogenannten Grundstockvermoegen erzielte Gewinne wieder in dasselbe investiert werden muessen. Der Erloes von verkauften Grundstuecken muss laut Verfassung wieder fuer Grunderwerb oder Vermoegensbestand ausgegeben werden. Ministerpraesident Edmund Stoiber und die CSU wollen aber damit andere Projekte, zum Beispiel ein Sonderprogramm fuer Behindertenwohnungen finanzieren. Dagegen haben zwar auch die Sozialdemokraten nichts, aber ihnen geht es ums Prinzip, dass naemlich nichts gegen die Verfassungsbestimmungen unternommen werden darf. Deshalb bruetet man ueber Formulierungen, die eine Verwendung von veraeussertem Grundstockvermoegens etwa auch fuer Zwecke des Gemeinwohls zulassen. Darueber besteht Einigkeit zwischen der CSU und der SPD. Die Gruenen dagegen meinen, das Fenster zur Verschleuderung des staatlichen Grundstockvermoegens duerfe nicht geoeffnet werden. Doch ueber die Einfuegung einer sogenannten Europaklausel in die Verfassung, wonach das Prinzip der Subsidiaritaet und die Eigenstaendigkeit, sowie das Mitspracherecht der Regionen in einem vereinten Europa festgeschreiben werden soll, gibt es keinen nenneswerten Dissenz. Weil man aber gerade schonmal dabei ist, die Verfassung anzupassen wollen SPD und Gruene noch ein paar Korrekturen durchsetzen und damit die bayerische Verfassung auf die Hoehe der Zeit zu bringen. So stossen sie sich vor allem an dem sogenannten "Hausfrauenparagraphen". In Artikel 13 heisst es naemlich, dass die Maedchen in der Saeuglinspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen seien. Diesen bundesweit einmaligen Passus hatte 1946 der damalige Ministerpraesident Wilhelm Hoebner von der SPD durchgesetzt. Er sei nicht mehr zeitgemaess und fuer eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern ungeeignet, meinen die SPD-Politiker heute. Auch stossen sie sich an einer Formulierun in Artikel 125, in dem geschrieben steht: "gesunde Kinder sind das koestlichste Gut eines Volkes". Nach Meinung der Kritiker muesse das Wort "gesund" gestrichen werden.
Bei ihren Modernisierungsbestrebungen sind die Verfassungsrechtler der SPD
noch auf ein anderes Fossil gestossen: "Der Vollzug der Todesstrafe bedarf
der Bestaetigung der Staatsregierung", heisst es da noch. Voellig unsinnig
finden sie das. Zumal ja im Grundgesetz ein Verbot der Todesstrafe
festgeschrieben sei. Eben weil das so sei, argumentiert die CSU dagegen,
brauche man diesen Passus nicht zu streichen. Die Mehrheitsfraktion im
Landtag befuerchtet eine Sogwirkung, wenn man anfange, alle moeglichen
Aenderungen vorzusehen. Sie will keine Generalrevision der bayerischen
Verfassung sondern nur die notwendigsten Korrekturen. Sie wird sich
allerdings schwertun, diesen Standpunkt durchzusetzen. Denn fuer eine
Verfassungsaenderung ist eine 2/3-Mehrheit mit einem anschliessenden
erfolgreichen Volksentscheid notwendig. Und dazu braucht die CSU zumindest
die SPD. Sollen also die Verfassungaenderungen erfolgen, was wie gesagt
allein schon im Hinblick auf den Buergerentscheid noetig ist, dann muessen
sich die Parteien zusammenraufen. Soll der Zeitplan der parlamentarischen
Schritte eingehalten werden, dann muesste es noch vor Pfingsten zu einer
Einigung kommen. |
Quellen |
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