Dass alles anders wird nach der Wahl, das hoffen die Einen, befuerchten die
Anderen - je nach Standpunkt. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen
jedoch schaut es eher nach Akzentverschiebungen aus denn nach radikalen
Aenderungen. Beispiel dafuer heute: Die Beschluesse zur Sozialpolitik.
Die kuenftige rot-gruene Regierung will einen Teil der sozialpolitischen
Reformen der alten Bundesregierung rueckgaengig machen und will in den
naechsten zwei Jahren eigene Reformen im Gesundheitswesen und bei der
Rentenversicherung auf den Weg bringen. Die Rentenreform der scheidenden
Regierung will Rot-Gruen aussetzen, das heisst, sie wird nicht zum 1.1.
naechsten Jahres in Kraft treten. Das bedeutet, dass weder die geplanten
Kuerzungen bei den Erwerbsunfaehigkeitsrenten, noch die sogenannte
demographische Komponente in Kraft treten, nach der das Rentenniveau von 70
auf 64 Prozent gesunken waere. Dieses Wahlversprechen der SPD hatten die
Gruenen bislang als nicht finanzierbar abgelehnt. In der
Koalitionsvereinbarung mussten sie sich allerdings auch in diesem Punkt der
SPD beugen, was Gunda Roestel, die Bundesvorstandssprecherin der Gruenen,
aber mit dem Trostpflaster verkaufte, dass die neue Regierung bis zum Jahr
2000 eine neue Rentenreform auf den Weg bringen will. "Das, was diese
amtierende Bundesregierung 16 Jahre lang verschleppt hat, wird diese
neue rot-gruene Bundesregierung innerhalb von nur zwei Jahren - das muss man
sich mal auf der Zunge zergehen lassen - auf den Weg bringen: Eine grosse
Rentenstrukturreform, wo alle die Punkte, die fuer uns von zentraler
Bedeutung sind - eine eigenstaendige Alterssicherung von Frauen, Absicherung
von Teilzeitarbeit auch im Rentenbereich, Einbeziehung des demographischen
Wandels in der Gesellschaft, wo alle diese alle fuer uns zentral wichtigen
Punkte einbezogen sein werden. Und das ist der Kompromiss gewesen, bis zu
diesem Zeitpunkt die Rentenniveaukuerzungen auszusetzen."
Kein gekuerztes Rentenniveau - das kostet Geld. Doch woher die Millionen
nehmen, wenn der Rentenversicherungsbeitrag trotzdem stabil bleiben soll? Die
620-DM-Jobs, im Osten 520-DM-Jobs, sollen versicherungspflichtig werden,
nachdem diese Art der Beschaeftigungsverhaeltnisse in den vergangenen Jahren
ausufernde Dimensionen angenommen hat. Dimensionen, bei denen es nicht immer
mit Recht und Gesetz zugeht. Ein Problem, ueber das sich schon die alte
Regierung die Koepfe zerbrochen hatte. Die Neue wills jetzt packen. Das
Problem nur: Sie weiss noch nicht, wie. Eine Ausgangslage, aus der sich die
kuenftige Familienministerin Christine Bergmann von der SPD so herauszureden
versuchte: "Also wir haben klar gesagt, dass wir die Versicherungspflicht der
620 / 520-DM-Jobs wollen. Wie es im einzelenen jetzt ausgeformt werden kann,
es gibt ja doch immer noch die ein oder andere Sonderregelung, die man ja
beruecksichtigen muss. Das sind die Studenten oder wer auch immer das ist, so
dass man mit Sicherheit nicht sagen kann, 'es muessen 100 Prozent sein', es
kann auch sein, dass es nur 85 Prozent sind, die in diese
Versicherungspflicht reinfallen." Denkbar sei, so Bergmann, nach dem Vorbild
Oesterreichs die jetzige Pauschalsteuer zugunsten der Sozialbeitraege zu
streichen. Dies fuehrt allerdings wieder zu Steuerausfaellen, das ist klar.
Ueberhaupt ist es das Geld, dass es der neuen Regierung schwer macht, ihre
sozialpolitischen Wahlversprechen einzuloesen, auch bei den Zuzahlungen. Hier
sollen vom naechsten Jahr an chronisch Kranke und aeltere Menschen entlastet
werden. Um wieviel, das steht noch nicht fest. Fuer alle anderen bleiben die
Zuzahlungen im Gesundheitswesen. Vorerst, heisst es bei SPD und Gruenen, denn
bis zum 1. Januar 2000 soll eine Gesundheitsreform beschlossen werden. Bis
dahin will die neue Regierung auf alle Faelle schon einmal die umstrittene
Direktabrechnung beim Zahnersatz abschaffen. Zahnersatz fuer nach 1978
geborene Jugendliche soll wieder von der Kasse gezahlt werden. Fuer die
geplante Gesundheitsreform wollen die kuenftigen Koalitionspartner auf
Vorschlaege wie die Positivliste zurueckgreifen, an denen sich schon
Gesundheitsminister vor ihnen die Zaehne ausgebissen haben. Positivliste
bedeutet, dass die Kassen nur noch fuer Medikamente zahlen, die auf einer
Liste stehen. Aus dem derzeitigen Ueberschuss in der Pflegeversicherungskasse
von rund 10 Milliarden DM will die neue Regierung einen Kapitalstock bilden,
das heisst, das Geld festverzinslich anlegen. Die Zinsgewinne sollen auch den
Pflegebeduerftigen zugute kommen. Mehr Zeit und Pflege fuer Altersverwirrte
ist hier auch ein Ziel von SPD und Gruenen. Noch nicht geeinigt haben sich
die beiden Parteien auf eine soziale Grundsicherung. Sie soll aber kommen, um
Armut abzufangen. Einzelheiten wollen die Koalitionspartner spaeter regeln.
Wie so vieles, was heute im sozial- und gesundheitspolitischen Teil der
Koalitionsvereinbarung praesentiert wurde. Die Koalitionsvereinbarung ist
damit dennoch unter Dach und Fach, alle Politikfelder sind abgearbeitet.
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