rs. Der folgende Artikel erschien heute in der Newsgruppe
de.soc.politik. Ich uebernehme ihn fuer die Abonnenten
der GERMNEWS.
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| P R O - I N F O | EUROPA NACH DER WAHL
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\-----------------/ Ueberraschungen bei der Euro-Wahl 12.06.94
E U R O P A N A C H D E R W A H L
Union ueberraschend weit vorn -- PDS mit 4,7 Prozent beinah
im Europa-Parlament und sehr stark bei Kommunalwahlen in
Ostdeutschland -- REP diesmal nicht im EP -- klaegliche
Niederlage fuer den "Bund freier Buerger"
Die Enttaeuschung war aus Uta Wuerfels Stimme herauszu-
hoeren. Die Spitzenkandidatin der F.D.P. fuers europaeische
Parlament berichtete von den grossartigen Wahlkampf der
Liberalen zur Europawahl. Dass die Liberalen, die mehr oder
weniger als einzige Partei einen wirklichen EUROPA-Wahlkampf
("Ueberlassen Sie Europa nicht denen, die es nicht wollen")
gefuehrt haben, den Sprung ins Parlament nicht geschafft haben,
ist niederschmetternd. Sie verloren nur 1,6 Prozent gegenueber
dem Ergebnis vor fuenf Jahren und blieben heute mit zuletzt 4,0
Prozent hinter PDS und REP stehen.
Eine gute Meldung gibt es aber auch: die rechtsradikalen
REP ziehen mit 4,2 Prozent diesmal nicht ins Euro-Parlament ein.
Wie immer beschuldigte ein deutlich veraergerter Franz
Schoenhuber die Medien und die Alt-Parteien. Die Medien haetten
die REP totgeschwiegen, meinte er. Haetten sie ueber REP genauso
berichtet wie ueber die anderen Parteien, dann waeren sie auch
wieder im Strassburger Parlament -- um zu faulenzen, wie es bei
den meisten Ausschuss- oder Plenarsitzungen der Fall war. Die
PDS ist Ueberraschungs-Sieger des Tages -- auch wenn von dieser
Partei kein Abgeordneter nach Strassburg gehen wird. Mit 4,7
Prozent erreichten sie beinah die Fuenf-Prozent-Huerde.
Freuen kann sich aber erst einmal Helmut Kohl. Wieder
einmal hat er es geschafft die Union aus dem Graben zu ziehen.
Mit 39,3 Prozent lag sie weit vor der SPD, die auf 32,1 Prozent
kam. Sie gewann sogar 1,5 Prozent hinzu, wogegen die SPD 3,8
Prozent verlor. Das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen fand also
nicht statt. Sollte dies ein Signal fuer einen Unions-Sieg im
Oktober sein?
Rudolf Scharping sprach davon, dass die SPD-Waehler (die
Arbeitnehmer) nicht genug mobilisiert worden seien. Ihnen waere
nicht klar gewesen, dass die Europawahl wichtig sei. Weiter
meinte er, dass die erste Runde im Kampf um die Macht verloren
sei. Es gehe nun darum, die SPD fuer die Bundestagswahl zur
staerksten Partei zu machen.
Fuer die Union erklaerte Peter Hinze, dass das Ergebnis
die Bestaetigung fuer die CDU-Europapolitik sowie fuer die
Bundespolitik sei. Er meinte auch, dass die Kanzlerfrage eine
wichtige Rolle gespielt habe. Edmund Stoiber (CSU) sprach davon,
dass die F.D.P. zu spaet die Koalitionsaussage gegeben haette
und sie daher unter die Fuenf-Prozent gefallen sei. Trotzdem ist
Helmut Kohl optimistisch: "Die F.D.P. wird Mitglied im naechsten
Bundestag sein, denn dass die Partei vor Wahlen schwach und dann
bei den Bundestagswahlen stark wird, dass war schon immer so."
Ein Ergebnis,an dass man sich mittlerweile gewoehnt hat,
haben mal wieder die Gruenen eingefahren: mit 10,2 Prozent
entsenden sie 13 Parlamentarier nach Strassburg. Joschka Fischer
gibt sich mit dem Ergebnis zufrieden und kritisiert gleichzeitig,
dass Rudolf Scharping anstatt Opposition zu betreiben, den
Kanzler kopiere. Fuer ihn sei klar, dass die SPD damit nicht
genug Stimmen einheimsen koenne.
Aber nicht nur die Europawahl gab es heute. Auch
Kommunalwahlen fanden in zahlreichen Bundeslaendern statt. So im
Saarland, in Rheinland-Pfalz, Baden-Wuertenberg, Thueringen,
Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und der Stadt
Muenchen. Leider wurde damit -- entgegen den Vermutungen --
icht die Wahlbeteiligung gesteigert: Sie war mit 60,8 Prozent
sogar niedriger als bei der Europawahl 1989, bei der sie 62,3
Prozent betrug. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass gerade das
heute gewaehlte Parlament in Zukunft mehr Rechte erhalten wird
und wichtige Entscheidung im Maastricht-Europa faellen wird.
Der allgemeine Trend bei den Kommunalwahlen sah so aus:
Die CDU blieb meistens staerkste Kraft, SPD und PDS nahmen in
Ostdeutschland an Stimmen zu. Als eine ausgesprochen starke
Partei ging die PDS im Osten hervor. In vielen Staedten wird
eine Stichwahl zwischen den PDS-Kandidaten und den jeweils
anderen Kandidaten (meist SPD) fuer das Buergermeisteramt
noetig sein. So z.B. in Magdeburg, wo der zur Zeit regierende
SPD-Buergermeister Wilhelm Polte 42,1 Prozent der Stimmen
erhielt und der PDS-Kandidat Hans Bruening 21,8 Prozent auf sich
vereinen konnte. Auch in den zwei grossen Mecklenburger Staedten
war die PDS recht stark. Nach Prognosen wird sie dort mit 32
Prozent staerkste Fraktion.
Zum ueberraschend hohen Europawahl-Ergebnis von 4,7
Prozent meinte Gregor Gysi, dass sich die PDS zu einer Partei
gewandelt habe, die die Wahrheit sage. Die Schoenfaerberei werde
nun von anderen Parteien betrieben und dies zahle sich fuer die
PDS aus. Weiter sagte der sichtlich gut gelaunte Gysi: "Die
Bundesrepublik kann sich schon mal daran gewoehnen, dass sie mit
der Vereinigung auch uns bekommen hat." Fuer die Bundestagswahl
setzt die PDS vor allem auf die drei Direktmandate, die -- wenn
sie erreicht werden -- die Wertung aller im Bundesgebiet fuer
die PDS abgegebenen Stimmen ermoeglichen und somit ein
Wiedereinzug der PDS in den Bundestag gesichert waere. Insgesamt
strebt die PDS 11 Direktmandate an.
Eine klaegliche Niederlage musste die neugegruendete
Partei Manfred Brunners, der "Bund freier Buerger" erfahren, der
sich "Anti-Maastrich" auf die Fahnen geschrieben hatte. Das
hochgesteckte Ziel von 33 Prozent der Stimmen, was vor allem
durch die Angstmacherei in Sachen Euro-Waehrung erreicht werden
sollte, konnte nicht erreicht werden. Nicht mal ein
zweistelliges Ergebnis konnte die Protestpartei auf sich
vereinen. Der BFB blieb schon bei 0,9 Prozent haengen. Obwohl
nach Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen 67 Prozent der Buerger
eine Euro-Waehrung ablehnen und 55 Prozent fuer einen selbst-
staendigen Staat in einem Staatenbund Europa sind, konnte der
BFB nicht die Waehler zu sich locken. Dies koennte eventuell
auch an der Tatsache liegen, dass der BFB rechts angehaucht ist.
In seinem recht kurzem Parteiprogramm wird indirekt die
Abschaffung jeglichen Rechts auf Asyl und ein striktes Nein zur
Einwanderung gefordert. Die Wirtschaft soll mit Hilfe von klaren
Abstrichen auf Kosten der Sozialleistungen angekurbelt werden.
Mit "Law and Order" will man gegen Kriminalitaet vorgehen.
Der von der NPD vor Jahren eingefuehrte Begriff "Europa der
Vaterlaender" soll zu einer schillernden Vorstellung eines
auf einem Staatenbund basierenden Europa der Nationen fuehren.
Die Partei,die sich selbst als "freiheitliche Partei der
rechten Mitte" sieht und eng mit Oesterreichs rechtsradikaler
FPOe des bekannten Joerg Haider zusammenarbeitet, konnte sich in
Deutschland nicht als wirkliche Alternative gegen das Europa a
la Maastricht anbieten. Der Plan, die Europawahl zur Abstimmung
ueber Maastricht zu machen, ging in die Hose. So wird wohl auch
bei dieser Partei das zutreffen, was Dietmar Schroeder (von der
Sueddeutschen Zeitung) heute im ARD-PresseClub sagte: "Kleine
Parteien wie diese sind kurzlebig. Meist sind sie noch
zerstrittener als die grossen Parteien und ohne wirkliches Ziel.
Der Waehler erkennt schnell, dass sie nicht gebraucht werden."
In Oesterreich musste heute auch der Kampfgefaehrte
Brunners, Joerg Haider, eine Niederlage einstecken. Bei einem
Referendum ueber den Beitritt Oesterreichs zur EU (Wahlbe-
teiligung 80 Prozent!) sprachen sich ganze 67 Prozent der
Oesterreicher fuer einen Beitritt aus. Nur 33 Prozent sagten
nein. Der kaempferische Joerg Haider, der ansonsten mit seiner
FPOe etwa 17 Prozent der Waehler auf sich vereinen kann, gab die
33 Prozent als seine Sympathisanten aus. Betruebt ueber eine
Niederlage gab er sich nicht. Dabei kann man es durchaus als
Niederlage bezeichnen, wenn sich sogar in FPOe-Hochburgen bis zu
60 Prozent der Waehler fuer einen Beitritt zu dem von der FPOe
so sehr gehassten Maastricht-Europa entscheiden.
In Deutschland blieben die Rechten draussen, in
Frankreich zogen sie wieder ins EP ein. Die Nationale Front des
Le Pen konnte fuer sich 10,8 Prozent der Stimmen gewinnen. Die
Partei "Europa der Vaterlaender", ein Verbuendeter des Anti-
Maastricht-Bundes (zu dem auch der BFB und die FPOe gehoeren),
konnte ebenfalls den Sprung ins Euro-Parlament schaffen. In den
Niederlanden konnten die Rechten ebenfalls genug Stimmen
erreichen. Dort werden von den Rechten 10 Sitze im EP besetzt.
In Italien konnte Silvio Berlusconi mit seiner FORZA
ITALIA ein neues Spitzenergebnis erreichen. 37 Prozent sollen
die Partei gewaehlt haben. Und die Neo-Faschisten konnten ganze
14 Prozent auf sich vereinen. Die foederalistisch eingestellte
Lega Nord erreichte 6,8 Prozent. Noch ein kurzer Blick nach
London: John Major musste eine weitere Schlappe hinnehmen. Die
Konservativen verloren in Grossbritanien eine Menge Mandate. Nur
noch 15 Abgeordnete werden sie nach Strassburg senden. Die
Sozialdemokraten gingen als Sieger aus der Wahl hervor. 64
Mandate konnten sie erringen. Dagegen gewann in Spanien die
Volkspartei mit 30 Prozent.
Trotz der turbulenten Bewegungen und teilweise totalen
Verschiebungen der politischen Koordinatenkreuze in den
einzelnen Staaten, bewegte diese Europawahl im 567 Sitze starken
EP nicht viel. Es ziehen wohl neue Leute ins Parlament ein,
jedoch haelt sich in der Regel das politische Gleichgewicht.
Durch den Sieg der Konservativen in Deutschland, Italien und
Spanien und den Sieg der Sozialdemokraten in Grossbrianien und
Griechenland tauschen die beiden grossen Fraktionen nur die
Rollen.
Die Sozialdemokraten SPE werden nun 199 Sitze im
Parlament ihr eigen nennen. Die eher konservative Volkspartei
EVP wird 209 Sitze bekommen. Da die beiden Parteien schon in der
Vergangenheit eher auf Kooperation als auf Konfrontation gesetzt
haben, wird sich in der Arbeit nicht viel aendern. Die eher
gering verbindende Parteienzugehoerigkeit ermoeglicht es, die
zu bearbeitende Sache in den Vordergrund zu stellen. Etwas, was
in den nationalen Parlamenten schon eher selten geworden ist.
Die liberale Fraktion in Strassburg wird 44 Sitze
ausmachen, die Gruenen bestehen aus 23 Leuten. Ganze 25 Sitze
werden durch die Kommunisten besetzt. Es gibt 25 Abgeordnete,
die fraktionslos sind und es wahrscheinlich auch bleiben werden.
Bei 30 Mandaten ist noch nicht sicher, welcher Fraktion sie
sich anschliessen werden. (mb)
DAS ERGEBNIS
CDU/CSU 39,9 Prozent (+1,9) 47 Mandate
SPD 32,1 Prozent (-3,8) 39 Mandate
GRUENE 10,2 Prozent (+2,3) 13 Mandate
PDS 4,7 Prozent (+4,7) 0 Mandate
FDP 4,0 Prozent (-1,6) 0 Mandate
REP 4,2 Prozent (-2,9) 0 Mandate
Andere 4,1 Prozent
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