GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 22.11.1994



* Feiern der Atomkraftgegner ueber Gerichtsentscheid
* Neue Runde im Streit um den Atommuelltransport
* Kritik an Sachsen wegen Finanzierung der Pflegeversicherung
* Staatsbesuch von Finnlands Staatspraesident Artissari
* Ruecktritt in Regierung Sachsen-Anhalts
* Kirchliches Diskussionspapier zur wirtschaftlich-sozialen Lage vorgestellt
* Finanzierung der Pflegeversicherung wieder unklar
* Justus Frantz tritt zurueck
* Preiserhoehung fuer Rohoel erwartet
* Ueberfall in Saarbruecken: 950.000 DM Beute
* Bayerischer Waldzustandsbericht: Jeder dritte Baum krank
* Ozonschicht wird duenner
* Karl-Heinz Rudolf gestorben
* Boerse: Leichter
* Kommentar: Wer oder was hat sich gewandelt?



Feiern der Atomkraftgegner ueber Gerichtsentscheid

Stuttgart. Atomkraftgegner haben das Gerichtsurteil ueber einen vorlaeufigen Stopp der umstrittenen "Castor"-Transporte bis spaet in die gestrige Nacht mit einem Freudenfest gefeiert. Das Verwaltungsgericht Lueneburg hatte am spaeten Abend den Transport untersagt, da es die Klage von Anwohnern des Zwischenlagers als erfolgsversprechend wertete. Deshalb haette die Klage auf- schiebende Wirkung, bis in der Hauptsache entschieden ist. Die Richter begruendeten ihre Entscheidung mit den Pannen bei der Beladung. Mehrmals war der sog. Fuegedeckel des Behaelters verkantet, er musste nachgeschliffen werden. Dafuer sei keine Genehmigung eingeholt worden, es gebe aber auch keine Regelung, wer eine solche Abweichung zu genehmigen habe. Mit Sicherheitsmaengeln hatte schon das Land Niedersachsen seine Ablehnung begruendet, war aber vom damaligen Bundesumweltminister Toepfer noch vor seinem Amtswechsel zur Zustimmung angewiesen worden. Der baden-wuerttembergische Umweltminister Schaefer hat in diesem Zusammen- hang auf die nach wie vor ungeloesten Fragen der atomaren Entsorgung hinge- wiesen. Gleichzeitig forderte Schaefer die Bundesregierung auf, die Nutzung der Kernenergie zeitlich zu begrenzen und endlich eine neue Energiepolitik einzuleiten.


Neue Runde im Streit um den Atommuelltransport

Bonn/Hannover. Der juristische Streit um den Atommuelltransport ins Zwischen- lager Gorleben geht in eine neue Runde. Die neue Umweltministerin Merkel haelt an der umstrittenen Weisung fest, mit der der Atommuelltransport nach Gorleben genehmigt wird. Das Bundesumweltministerium hat beim Oberverwaltungs- gericht Lueneburg Beschwerde gegen den richterlichen Stopp des Transports eingelegt. Zur Begruendung hiess es, saemtliche Sicherheitsauflagen bei der Einlagerung des sog. Castor-Behaelters wuerden erfuellt. Die Ministerin raeumte ein, dass es beim Beladen des Behaelters geringfuegige Abweichungen von der Arbeitsordnung gegeben haette. Gutachten haetten jedoch erwiesen, dass sich daraus keine Gefahren ergeben haetten. In einer Eilentscheidung hatte das Verwaltungsgericht Lueneburg den Transport wegen Sicherheitsbedenken vorlaeufig ausgesetzt. Die niedersaechsische Umweltministerin Griefhan und ihr baden-wuerttembergi- scher Amtskollege Schaefer forderten ebenso wie Umweltverbaende die neue Umweltministerin auf, den bisherigen Kurs in der Kernenergiepolitik zu aendern. Die Betreiber des Kernkraftwerks Philippsburg begruessten die Beschwerde gegen den gestrigen Entscheid. Die Energieversorgung Schwaben und das Baden- werk gehen davon aus, dass das Urteil vor der naechsten Instanz keinen Bestand haben wird. Der Castor-Behaelter verbleibt deshalb auf dem Werksge- laende. Grundsaetzlich koenne er endlos draussen stehen, so ein Sprecher des Badenwerkes. Der Transport nach Gorleben wird jedenfalls voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr stattfinden. Niedersachsens Innenminister Glokowski sagte zur Be- gruendung, der Polizei sei 1994 ein dritter Grosseinsatz zum Schutz der abge- brannten Elemente nicht mehr zuzumuten. Seit dem Sommer gibt es im Raum Gorleben Proteste gegen den Transport des Behaelters, der seit Juli in Philippsburg bereitsteht.


Kritik an Sachsen wegen Finanzierung der Pflegeversicherung

Leipzig. Die CDU-Sozialausschuesse haben die CDU-Regierung von Sachsen wegen ihrer Plaene scharf kritisiert, den Arbeitnehmern die Finanzierung der Pflegeversicherung allein zu ueberlassen. Der stellvertretende Vorsitzender der CDU-Sozialausschuesse, Ahrends (sp?), sprach von einem Generalangriff seines Parteikollegen und Ministerpraesidenten Biedenkopf auf die Finanzierungsgrundlagen der Sozialversicherung.


Staatsbesuch von Finnlands Staatspraesident Artissari

Bonn. Deutschland und Finnland wollen ihre traditionell guten Beziehungen nach dem finnischen EU-Beitritt im Januar weiter ausbauen. Das teilten Bundespraesident Herzog und sein finnischer Amtskollege Artissari (sp?) am Abend in Bonn mit. Der finnische Praesident haelt sich zu einem viertaegigen Staatsbesuch in Deutschland auf. Bundespraesident Herzog gab der Hoffnung Ausdruck, dass nach Finnland und Schweden naechste Woche auch Norwegen fuer den Beitritt zur Europaeischen Union stimmen werde.


Ruecktritt in Regierung Sachsen-Anhalts

Magdeburg. Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Juergen Gramke, SPD, wird die rot-gruene Minderheitsregierung verlassen. Gramke begruendete seine Demission mit dem Argument, er habe gehofft, dass spaetestens nach dem 16. Oktober eine breite demokratische Mehrheit im Landtag zustandekomme. Zu seinem Bedauern, so Gramke, muesse er erkennen, dass dies nicht erreichbar sei. In Sachsen-Anhalt ist Ministerpraesident Hoeppner Chef einer rot-gruenen Min- derheitsregierung, die sich die fehlenden Stimmen bei CDU und PDS suchen muss. Nachfolger Gramkes wird Klaus Schucht, Vorstandsmitglied der Berliner Treuhandandanstalt.


Kirchliches Diskussionspapier zur wirtschaftlich-sozialen Lage vorgestellt

Bonn. Die katholische und die evangelische Kirche haben heute ihr gemeinsames Diskussionspapier zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland vor. Darin fordern sie wirksame Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit, mehr Hilfen fuer Familien mit Kindern sowie den Umbau des Sozialstaates und die Fortent- wicklung der sozialen Marktwirtschaft. Konsequente Reformen seien aber auch zum Schutz der Umwelt noetig. Die Politik der letzten Jahre wird deutlich kritisiert. Besorgt aeussern sich die Kirchen auch ueber Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Die Kirchen sprechen sich dafuer aus, statt der Arbeitslo- sigkeit neue Arbeitsplaetze zu finanzieren. Scharfe Kritik uebten die Vertreter beider Kirchen an der Entscheidung, den Buss- und Bettag zur Finanzierung der Pflegeversicherung zu streichen. Dies sei kein Beitrag zur Fortentwicklung des Sozialstaats, sondern reine Flick- schusterei; ausserdem seien die Kirchen vor der Entscheidung nicht gehoert worden. Mit dem gemeinsamen Entwurf soll eine umfassende Diskussion inner- und ausserhalb der Kirchen angestossen werden. Union und SPD haben die Thesen des Papiers begruesst. Kanzleramtsminister Bohl sprach von einem wertvollen Diskussionsbeitrag zur Erneuerung von Gesellschaft und Wirtschaft. Die Bundesregierung werde das Gespraechsangebot gerne aufgreifen. Viele Anregeungen entspraechen dem, was sich die Koalition als Arbeitsprogramm fuer die naechsten vier Jahre vorgenommen habe. Der SPD- Sozialexperte Dressler sagte, auch seine Partei werde sich an der geforderten Debatte beteiligen. Er betonte aber, das Papier stelle eine praegnante Kritik der bisherigen Regierungsarbeit dar.


Finanzierung der Pflegeversicherung wieder unklar

Muenchen. Der ausgehandelte Kompromiss zur Finanzierung der Pflegever- sicherung scheint wieder zur Disposition zu stehen. Nach der bisherigen Regelung soll zum Ausgleich des Arbeitgeberanteils ein Feiertag gestrichen werden. Die meisten Bundeslaender werden dafuer im kommenden Jahr den Buss- und Bettag als gesetzlichen Feiertag streichen. Die Unionsparteien wollen aber diese Streichung verhindern. Das teilte der CSU-Politiker Glueck heute mit. Dabei haetten die Fraktionschefs von CDU/CSU in Bund und Laendern sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Der bayerische Ministerpraesident Stoiber will ueber eine Bundesratsinitiati- ve versuchen, dass eine Alternativloesung zur Kompensation des Arbeitgeber- anteils in das Pflegeversicherungsgesetz aufgenommen wird. Zur Finanzierung der Pflegeversicherung soll den Laendern dann statt der Streichung eines Feiertages auch die Moeglichkeit gegeben werden, das sog. Urlaubs- oder Mehr- arbeitsmodell einzufuehren. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer entweder auf einen Urlaubstag im Jahr verzichten oder einen Arbeitstag duech Ueberstunden leisten muss. Dadurch koennte der Buss- und Bettag 1996 wieder gesetzlicher Feiertag sein. Die Fraktionschefs kamen auch ueberein, in den Landtagen aehn- liche Vorstoesse zu unternehmen. Damit soll verhindert werden, dass bei der Einfuehrung der zweiten Pflegever- sicherungsstufe weitere Feiertage gestrichen werden.


Justus Frantz tritt zurueck

Hamburg. Der Pianist und Dirigent Justus Frantz ist als Intendant des Schles- wig-Holstein-Festivals zurueckgetreten. Vorausgegangen waren Auseinanderset- zungen zwischen Frantz und dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Musikfestes, dem Kieler Wirtschaftsminister Peer Steinbrueck (sp?). Dieser hatte Frantz fuer die hohe Verschuldung des Musikfestes in Hoehe von 3,75 Mio. DM verantwort- lich gemacht. Frantz erklaerte, er sei nur dann bereit, seine Intendanz zu verlaengern, wenn Steinbrueck sein Festivalamt aufgebe.


Preiserhoehung fuer Rohoel erwartet

Jakarta. Die Verbraucher muessen im kommenden Jahr mit steigenden Oelpreisen rechnen. Die Gemeinschaft erdoelexportierender Laender OPEC beschloss bei ihrer Herbstkonferenz in Indonesien, trotz einer erwarteten Nachfragesteige- rung ihre Foerderungsobergrenze auch im kommenden Jahr unveraendert zu lassen. Experten gehen nach dem Beschluss davon aus, dass der Oelpreis im naechsten Jahr wieder ueber die Grenze von 20 Dollar je Barrel steigen wird. Das Produktionslimit betraegt derzeit 24,52 Mio. Barrel pro Tag. Derzeit kostet das Fass Rohoel etwa 15 Dollar. Ob der gewuenschte Effekt einsetzt, haengt aber davon ab, wie kalt der Winter wird und vor allem, wie sich der Irak verhaelt, falls das Embargo gegen ihn aufgehoben wird. Zudem halten sich nicht alle Laender an die Foerdermengen.


Ueberfall in Saarbruecken: 950.000 DM Beute

Saarbruecken. Zwei bewaffnete Maenner haben am Abend vor einer Bank in Saar- bruecken einen Geldtransporter ueberfallen und dabei etwa 950.000 DM erbeutet. Das saarlaendische Landeskriminalamt berichtete, die Raeuber haetten Fahrer und Beifahrer mit Handschellen gefesselt und seien dann mit der Beute gefluechtet. Die beiden Angestellten eines Sicherheitsunternehmens haetten das Geld kurz zuvor aus der Bank uebernommen.


Bayerischer Waldzustandsbericht: Jeder dritte Baum krank

Muenchen. Beinahe jeder dritte Baum in Bayern ist krank. Am bedrohlichsten ist die Lage fuer die Eichen, aber auch Tannen und Buchen sind deutlich ge- schaedigt. Das geht aus dem heute vorgestellten Waldzustandsbericht hervor. Insgesamt haben die Schaeden an Bayerns Baeumen im Vergleich zu 1993 um 8% zu- genommen. Als Ursachen nannte Landwirtschaftsminister Bocklet neben der Luft- verschmutzung unter anderem Insektenfrass und den trockenen Sommer. Die SPD- Landtagsfraktion kritisierte, dass die Staatsregierung immer noch kein Tempo- limit in Betracht ziehe, obwohl Schadstoffe in der Luft Hauptgrund fuer das Waldsterben seien.


Ozonschicht wird duenner

Frankfurt/Main. Das Ozonloch wird groesser. Die Konzentration des schuetzenden Gases ueber der Antarktis war im September und Oktober dieses Jahres niedriger als in den entsprechenden Monaten der Jahre 1992 und 1993. Der Deutsche Wetterdienst teilte mit, in 14 und 18 Kilometern Hoehe sei wochenlang ueberhaupt kein Ozon mehr vorhanden gewesen. Diese Entwickung ist nach Meinung der Experten besorgniserregend. Die Ozonschicht in der Strato- sphaere schuetzt das Leben auf der Erde vo schaedlichen UV-Strahlen der Sonne, die Hautkrebs, Augenleiden und Ernteverluste verursachen koennen.


Karl-Heinz Rudolf gestorben

Mainz. Der fruehere stellvertretende ZDF-Chefredakteur Karl-Heinz Rudolf (sp?) ist in der vergangenen Nacht im Alter von 71 Jahren gestorben. ZDF-In- tendant Stolte wuerdigte den Journalisten als einen Mann der ersten Stunde, der das Informationsprofil des ZDF entscheidend mitgepraegt habe. Rudolf ent- wickelte unter anderem Sendungen wie "heute" oder das "heute-journal".


Boerse: Leichter

DAX            2.075  (- 31)     nachboerslich nochmals leichter
US-$           1,5533 (- 0.75)   nachboerslich um 1.5510
Umlaufrendite  7,35 % (- 0,02)



Kommentar: Wer oder was hat sich gewandelt?

Kommentar der Sueddeutschen Zeitung, Muenchen vom 22.11.1994 zu der Entscheidung der CDU/CSU, Abgeordnete der GRUENEN auch in den Geheimausschuessen zu dulden:

Das Normale wird zu Ereignis: Die Bundestagsabgeordneten der Gruenen duerfen in dieser Legislaturperiode den Auftrag der Waehler erfuellen. Sie duerfen arbeiten - und zwar nicht nur im Bundestag, sondern auch in dessen Ausschuessen: in denjenigen zum Beispiel, die den Geheimdienst kontrollieren sollen. Diesmal duerfen sie, weil es der CDU/CSU diesmal so gefaellt. Das Selbstverstaendliche war naemlich in Bonn nicht selbstverstaendlich. Bisher hatte die Regierungskoalition den Gruenen dort den Zutritt verweigert: Man machte sie zum Abgeordneten zweiter Klasse, stempelte sie zum Sicherheitsrisiko. Das Schlimme daran war, dass bei diesem Spiel seinerzeit, vor acht Jahren, auch das Bundesverfassungsgericht mitmachte (mit zwei Gegen- stimmen freilich). In dieser Legislaturperiode hat es also nun Wolfgang Schaeuble gefallen, die Gruenen zuzulassen. Der Fraktionschef der Union begruendet den Sinneswandel damit, dass sich die Gruenen mittlerweile gewandelt haetten. Das ist nicht ganz falsch. Wahr ist aber auch, dass die Union sich mit dem Gedanken anfreundet, dass sie die Gruenen mittel- und langfristig zum Machterhalt brauchen koennte. Veraendert hat sich also, in den Zeiten des Niedergang der FDP, vor allem die Lage der CDU/CSU. Deshalb hat sich ihr schwarzer Furor in einen kleinen Flirt verwandelt. Uebrig bleibt ein ziemlich unschoener Eindruck: Abgeordnetenrechte stehen offenbar im Belieben politischer Taktiererei. Allgemeines Misstrauen, ver- kleidet mit konkreten Vorwaenden, kann aber nicht genuegen, um Abgeordnete zu knebeln. Entweder man ist demokratischer Abgeordneter, oder man ist es nicht. Darueber entscheidet aber nicht die jeweilige Mehrheitsfraktion.


Quellen

SDR3    08:00 MEZ    09:00 MEZ    15:00 MEZ    16:00 MEZ    20:00 MEZ    21:00 MEZ
B5    09:15 MEZ    12:45 MEZ    13:15 MEZ    14:15 MEZ    16:45 MEZ    18:46 MEZ    20:45 MEZ
Radio7    18:00 MEZ
Kommentar: Sueddeutsche Zeitung, Muenchen vom    22.11.1994