GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
So, 21.05.1995



* Treffen der FDP-Landesvorstaende
* Rexrodt kritisiert den Zustand der FDP scharf
* SPD bereitet Koalitionsverhandlungen vor
* Bluem will Fruehrente fuer Arbeitslose durch Arbeitslosengeld ersetzen
* Seehofer will Krankenversicherungsbeitraege festschreiben
* Spranger unterwegs in Georgien, Armenien und Aserbaidschan
* Abgeordnetendiaeten sollen an Einkommen von Bundesrichtern gekoppelt werden
* HBV weitet Arbeitskampfmassnahmen aus
* Mercedes fuer die Einfuehrung von Samstagsarbeit
* VW-AG will Arbeitszeiten an Nachfrage koppeln
* Geiselnahme in JVA Celle
* Autofreier Sonntag
* Warten auf Rot-Gruen (Kommentar der Sueddeutschen Zeitung)
* Verfassungsdiskussion im bayerischen Landtag (Kommentar von B5)



Treffen der FDP-Landesvorstaende

Karlsruhe. Die Nachfolger des scheidenden Parteichefs Kinkel und die Zukunft der Liberalen standen heute im Mittelpunkt eines Treffens von acht FDP-Landesvorstaenden. Ausserdem sollten die Themen fuer den Bundesparteitag im Juni eroertert werden. Nachdem sich gestern der hessische Landesvorsitzende Gerhard offiziell zur Kandidatur fuer den Bundesvorsitz bereiterklaert hat ist noch offen, ob es weitere Bewerber fuer das Amt geben wird. Zum Abschluss des Treffens erklaerte der baden-wuerttembergische FDP-Chef Doering, Gerhard koenne voll mit der Unterstuetzung der in Karlsruhe anwesenden Landesverbaende rechnen. In der FDP gibt es unterschiedliche Auffassungen ueber die Personalpolitik und den kuenftigen Kurs der Partei. Der zum rechten FDP-Fluegel zaehlende ehemalige Generalbundesanwalt von Stahl schrieb in einem Zeitungsbeitrag, falls der hessische FDP-Chef Gerhard neuer Parteivorsitzender werde, muesse er auch ein Ministeramt in Bonn erhalten. Sonst werde er in der Oeffentlichkeit nur als Konkursverwalter der Liberalten angesehen. Von Stahl empfahl seiner Partei ausserdem, darueber nachzudenken, ob sie sich nicht besser in der Opposition erholen koennte. Der Chef der FDP-Bundestagsfraktion Solms erklaerte, der neuen Parteivorsitzende solle auf keine Fall dem Bundeskabinett angehoeren. Die Doppelbelastung von Parteivorsitz und Ministeramt sei eine Ueberforderung.


Rexrodt kritisiert den Zustand der FDP scharf

Berlin. Der Berliner FDP-Landeschef und Bundeswirtschaftminister Rexrodt hat den Zustand seiner Partei scharf kritisiert und zu einer Klaerung der Personalfragen aufgerufen. Auf einer Landesversammlung der Berliner FDP sagte Rexrodt, der angekuendigte Rueckzug von Parteichef Kinkel sei ein deutliches Zeichen fuer die derzeitige personelle und inhaltliche Desorientierung der Partei. Dieser Zustand muesse schnellstmoeglich, spaetestens aber bis zum Bundesparteitag in drei Wochen beendet sein.


SPD bereitet Koalitionsverhandlungen vor

Duesseldorf. Die nordrhein-westfaelische SPD hat heute die Koalitionsverhandlungen mit den Gruenen vorbereitet. Dazu kam der geschaeftsfuehrende Landesvorstand der Partei zusammen. Ministerpraesident Johannes Rau hat unterdessen Erwartungen gedaempft, er werde das Raetselraten ueber seine politische Zukunft rasch beenden. Unmittelbar vor der Sitzung des geschaeftsfuehrenden Landesvorstandes in Wuppertal sagte Rau, man werde vorerst nur ueber Sachfragen beraten. Ueber Personlfragen rede man noch lange nicht. Rau hatte es bislang stets abgelehnt, ein rot-gruenes Buendnis zu fuehren. Nach der Landtagswahl vor einer Woche, bei der die SPD nach 15 Jahren ihre absolute Mehrheit verloren hatte ist sie nun aber auf einen Koalitionspartner angewiesen.


Bluem will Fruehrente fuer Arbeitslose durch Arbeitslosengeld ersetzen

Bonn. Bundesarbeitsminister Bluem will angeblich die Fruehrente fuer Erwerbslose durch die Zahlung von Arbeitslosengeld ersetzen. Die "Bild-Zeitung" meldet, dies solle fuer Personen gelten, die nur noch stundenweise arbeiten koennen und keinen geeigneten Arbeitsplatz finden. Bluem sagte dem Blatt zufolge, die Berufs- und Erwerbsunfaehigkeit muesse endlich auf das eigentliche Invaliditaetsrisiko konzentriert werden. Die Rentenversicherung koenne so um etliche Milliarden DM entlastet werden. In Deutschland beziehen den Angaben zufolge rund 1.6 Millionen Menschen Berufs- oder Erwerbsunfaehigkeitsrente.


Seehofer will Krankenversicherungsbeitraege festschreiben

Bonn. Gesundheitsminister Seehofer will die Beitraege zur gesetzlichen Krankenversicherung kuenftig gesetzlich festschreiben. Gegenueber der Zeitung "Bild am Sonntag" sagte Seehofer, Ziel sei die Stabilitaet der Beitraege. Arbeitgeber und Arbeitnehmeranteil sollten daher festgelegt werden. Bisher bestimmen die Krankenkassen den Beitragssatz. Derzeit betraegt er etwa 13 %, ist aber bei den einzelnen Kassen unterschiedlich hoch.


Spranger unterwegs in Georgien, Armenien und Aserbaidschan

Bonn. Entwicklungshilfeminister Spranger ist heute zu einer Reise nach Georgien, Armenien und Aserbaidschan aufgebrochen. Nach Angaben des Bundesministeriums fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit soll Spranger erkunden, wie Deutschland die drei Laender auf ihrem Weg der Reformen unterstuetzen kann.


Abgeordnetendiaeten sollen an Einkommen von Bundesrichtern gekoppelt werden

Bonn. Die Diaeten von Bundestagsabgeordneten sollen an die Einkommen von Bundesrichtern gekoppelt werden. Das sehe ein Vorschlag der Rechtsstellungskommission des Bundestages vor berichtet die Deutsche Presseagentur. Dazu waere eine Aenderung des Grundgesetzes noetig. Die Abgeordnetendiaeten betragen zur Zeit rund 10.400 DM, die Bezuege von Bundesrichtern liegen bei knapp 14.000 DM. Im Gespraech ist, diese Aufstockung von mehr als 3.000 DM ueber mehrere Jahre zu verteilen.


HBV weitet Arbeitskampfmassnahmen aus

In der Tarifauseinandersetzung im deutschen Einzelhandel will die Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen in den naechsten Tagen ihre Arbeitskampfmassnahmen und Urabstimmungen ausweiten. Dies erklaerte HBV-Vorstandsmitglied Widholt am Vormittag in Duesseldorf. Die Schwerpunkte wuerden erneut in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen liegen. In Hamburg und Schleswig-Holstein werde morgen ueber Arbeitskampfmassnahmen beraten. Die Angebote der Arbeitgeber unter 3 Prozent glichen einer Provokation, sagte Frau Widholt.


Mercedes fuer die Einfuehrung von Samstagsarbeit

Stuttgart. Mercedes-Vorstandschef Werner hat sich dafuer ausgesprochen, dass in dem Automobilkonzern kuenftig auch samstags gearbeitet werden soll. Mercedes koenne sich aus Wettbewerbsgruenden den freien Samstag nicht mehr leisten. In einem Interview mit dem Wirtschafsmagazin "DN" sagte Werner, die Arbeitswoche in Deutschland sehe derzeit so aus, dass zwei Siebtel des Kapitals ungenutzt blieben. Sein Unternehmen werde aber auf jeden Fall am Wirtschaftsstandort Deutschland festhalten.


VW-AG will Arbeitszeiten an Nachfrage koppeln

Die Volkswagen AG will die Arbeitszeit in ihren Werken an die Autonachfrage koppeln. Vorstandsvorsitzender Ferdinand Piech sagte der Zeitschrift "Super Illu", sein Wunsch an die Gewerkschaften sei, Autos dann zu bauen, wenn man sie verkaufen kann und weniger zu arbeiten, wenn keine Nachfrage besteht. Nach Piech koennen im Fruehling etwa 50% mehr Autos verkauft werden als im Herbst. Bei entsprechender Nachfrage will er auch sechs Tage lang in drei Schichten arbeiten lassen.


Geiselnahme in JVA Celle

Celle. In der Justizvollzugsanstalt Celle haben zwei Gefangene einen Vollzugsbeamten als Geisel genommen. Nach Angaben der Polizei brachten die zwei Haeftlinge den 35jaehrigen Wachmann am Morgen in ihre Gewalt. Sie haetten damit gedroht, ihre Geisel zu toeten, falls das Gefaengnis gestuermt werden sollte. Die Geiselnehmer fordern ein Fluchtauto und 200.000 DM. In Anrufen bei Zeitungen und Rundfunksendern gab ein Gefangener als Grund fuer seine Tat an, er wolle gegen die seiner Ansicht nach unzureichende medizinische Betreuung eines Mithaeftlings protestieren. Dieser war laut Polizei vergangene Woche in dem Gefaengnis an Herzversagen gestorben. Wie die Polizei weiter mitteilte, ist einer der beiden Geiselnehmer wegen versuchten Totschlages verurteilt und sitzt seit 1979 in Celle. Er habe auf den Tag genau vor elf Jahren schon einmal einen Beamten in dem Gefaengnis als Geisel genommen.


Autofreier Sonntag

Umweltschuetzer und die evangelischen Kirchen haben den heutigen Sonntag zum autofreien Tag erklaert. Die Aktion "Mobil ohne Auto" hat rund 2.000 Veranstaltungen, wie zum Beispiel Umweltgottesdienste, Strassenfeste und Sternfahrten organisiert. Ein Sprecher der Aktion sagte, wenn eine Million Menschen ihre Autos stehen liessen habe man viel erreicht. Der Umweltbeauftragte der evangelischen Kirche Deutschlands, Fockert, forderte ein Umdenken in der Verkehrspolitik. So muesse vor allem der Strassenverkehr eingedaemmt werden. Der autofreie Sonntag erwies sich vor allem im Norden Deutschlands als Flop. Statt einer Million Teilnehmern zaehlten die Veranstalter gerade die Haelfte. Bei der groessten Fahrraddemo der Aktion radelten nach deren Angaben 5.000 Menschen in einer Sternfahrt in die Muenchner Innenstadt. Die Polizei sprach dagegen von maximal 1.000 Teilnehmern. In Baden-Wuerttemberg und Bayern gab es viele kleine Veranstaltungen.


Warten auf Rot-Gruen (Kommentar der Sueddeutschen Zeitung)

Wird Deutschland jetzt rot-gruen? Die Frage erweckt bei den einen Angst und Gruseln, bei den anderen Hoffnung und Erwartung. Die einen fuerchten die Rueckkehr in die Steinzeit, die anderen traeumen schon von einem neuen Millenium. Aber weder dir Aengste noch die Traeume werden in Erfuellung gehen. Dir Roten sind schon bisher in der Regierungsverantwortung nicht roter geworden und die Gruenen werden als Koalitionspartner der SPD nicht gruener werden. Im Gegenteil. Die Fundis haben das immer gewusst. Nun muessen die Realos Farbe bekennen, und was dabei herauskommt wird ziemlich changieren. Wenn es so einfach waere, diese Gesellschaft ueber Nacht zu reformieren, haetten es schon andere versucht. Seit vergangenem Sonntag mag im Parteiengefuege einiges neu sein, aber die alten Probleme sind geblieben und so schwer zu loesen wie eh und je. Mit dem Verzicht auf ein Braunkohlerevier haette man zunaechst nichts anderes gewonnen als ein paar zehntausend Arbeitslose mehr.

Der Erfolg der Gruenen ist auch kein Krisenzeichen, sondern ein Wohlstandssyndrom, weshalb sie nur in den alten Bundeslaendern reuessieren. In dieser Gesellschaft ist das Gefuehl oekonomischer Sicherheit weit verbreitet. Viele materielle Wuensche sind erfuellt oder erfuellbar. Materielle Wuensche koennen deshalb zuruecktreten. Dafuer haben das Sozialsystem des Staates und das reiche Erbe der Vaeter gesorgt. Die industrielle Revolution und die Liberalisierung der Lebensformen haben die Gesellschaft zutiefst veraendert. Der Wunsch nach Lebensqualitaet und die Angst vor dem Verlust des Erreichten sind in den Vordergrund getreten. Wirtschaftliches Wachstum ist allein deshalb weder populaer noch erwuenscht, weil es Schaden fuer die Lebensqualitaet bedeuten koennte.

Sind die Gruenen schon eine Volkspartei? Haelt man sich an den klassischen Begriff, dann sind sie es nicht. Eine Volkspartei muss in der Lage sein, verschiedene gesellschaftliche Gruppen in einer Interessenkoalition zusammenzubringen, alos wie die SPD lange Zeit Arbeiter und aufstrebenden Mittelstand oder wie die CDU Unternehmer, Mittelstand und Facharbeiter sowie Angehoerige verschiedener christlicher Konfessionen. Davon kann schon bei diesen beiden Parteien nur noch begrenzt die Rede sein, kaum aber bei den Gruenen. Sie sind attraktiv fuer Menschen gleicher Gefuehlslage aus allen Schichten, bleiben im Kern auber eine Milieu-Partei. Dieser Kern kaommt aus der jungen und juengeren Generation in den Staedten, insbesondere Studierenden und aufstrebenden Akademikern, aus der hedonistischen Single- und Selbstverwirklichungsgeneration.

Was heisst schon liberal ? Theoretisch koennten viele davon auch SPD- und FDP-Waehler sein. Der SPD haengt jedoch der Mief der Klassenparte an, obwohl ihre Stammwaehler, die Arbeiter, einen immer geringeren Anteil der postindustriellen Gesellschaft stellen und auch nicht mehr als parteitreu gelten koennen. Auch in der SPD geben laengst andere den Ton an, zumeist Angehoerige der vom Staat getragenen Klasse des oeffentlichen Dienstes, weshalb sie oft als Lehrerpartei verspottet wird. Daher auch die Naehe und Austauschbarkeit in diesem Waehlerreservoir der Sozialdemokraten und der Gruenen. Im Gegensatz zur Arbeiterklasse, in der der Sohn wie der Vater waehlte, ist die Waehlergruppe der Individualisten eher unbestaendig und launenhaft. Es fehtl das starke Solidaritaets- und Loyalitaetsgefuehl gegenueber der eigenen Klasse wie bei den Arbeitern.

Dieses Zugehoerigkeitsgefuehl zu einer Klasse oder Grupp ist in der individualistischen, egalitaeren klassenlosen Gesellschaft ohnehin weitgehend verlorengegangen. Das ist auch das Problem der FDP. Was heisst schon liberal in einer Gesellschaft, in der fast alles erlaubt ist und liberal, was gefaellt? Die Freiheit vom Staat ist in den persoenlichen Verhaeltnissen laengst verwirklicht. Die Buergerrechte sind kein dringendes Thema mehr. Freiheit und Eigenverantwortung gehoeren heute auch begrifflich nicht mehr unbedingt zusammen. Der Staat hat den Buergern einen grossen Teil der Eigenverantwortung uebernommen. Die Buerger haben sich daran gewoehnt, immer mehr vom Staat zu verlangen. Deshalb konnte die FDP auch mit ihren Steuersenkungsparolen kaum Eindruck machen. Die meisten Menschen stoehnen zwar unter der wachsenden Steuer- und Abgabenlast, ertragen diese aber, wenn sie vom Staat nur genug zurueckbekommen. Sicherheit geht vor Verantwortung.

Opposition zahlt sich aus. So ist der Waehlerschwund der FPD wahrscheinlich nicht nur auf das blasse Personal und Programm der Partei zurueckzufuehren. Die Partei war in der Bundesrepublik ohnehin nur eine Nischenpartei. Der Wandel der Gesellschaft, die Veraenderung der Interessen und Stimmungen engt diese Nische immer mehr ein. Hinzu kommt die Glaubwuerdigkeitsluecke. Eine Partei, die 25 Jahre hinterinander an wechselnden Koalitionen beteiligt ist und als Juniorpartner nur wenig von ihrem Programm durchsetzen kann, verliert irgendwann ihre Glaubwuerdigkeit. Die Gruenen haben ihr vorgemacht, dass sich Opposition auszahlt.

Es war seit einiger Zeit vorherzusehen, dass die FDP von den Gruenen auf dem Platz der dritten Kraft abgeloest werden wuerde. Die Veraenderungen des Parteiengefueges beschraenken sich jedoch nicht nur darauf. Die beiden grossen Volksparteien SPD und CDU haben viel von ihrer Integrationskraft verloren. Die innerparteilichen Koalitionen der Volksparteien loesen sich auf, weil traditionelle gesellschaftliche Gruppen verschwinden oder an Bedeutung verlieren. Neben den vier etablierten Parteien gibt es inzwischen eine fuenfte, die Partei der Nichtwaehler. Diese trauen keine der Parteien die Bewaeltigung der ungeloesten Probleme dieser Gesellschaft zu.

Entsteht aus diesem Umwaelzungsprozess ein neues Parteiengefuege? Im Augenblick gibt es mehr Fragen als Gewissheiten. In der Annahme, dass das Ende der FDP nicht aufzuhalten ist, sind die Gruenen umworben. Joschka Fischer macht's moeglich. Viele seiner Ideen fuer die Reform des Steuersystems und den oekologischen Umbau der Wirtschaft sind attraktiv und vernuenftig. So kann sich selbst Wolfgang Schaeuble eine schwarz-gruene Koalition vorstellen. Fischer muss das Liebeswerben aber zurueckweisen, denn seine immer noch unberechnbare Gefolgschaft fuehlt sich eher abgestossen. Und ob Schaeuble den Spagat zwischen Wertekonservatismus und gruener Reform schaffen koennte, wuerde er heute von ihm verlangt, ist eher unwahrscheinlich. Die Gruenen muessen deshalb erst einmal an der Seite der SPD beweisen, ob sie einige ihrer Ziele ueberhaupt verwirklichen koennen. Sonst droht ihnen das Schicksal der FDP.

Die CDU muss unterdessen nach einer neuen Mehrheit Ausschau halten. Unweigerlich werden die Gedankenspiele mit einer vierten Partei am rechten Rand wieder auftauchen. Liegt hier die Zukunft der FDP, die dann allerdings eine andere Partei waere ? Wenig wahrscheinlich, erstens wuerde sie daran vollends zerbrechen, zweitens ist rechts augenblicklich wenig zu holen, und drittens ist das Spiel mit der vierten Partei ein Nullsummenspiel. Schon Franz Josef Strauss musste einsehen, dass der Union verlorengeht, was zu einer solchen Partei abwandert. Was bleibt? Warten auf Rot-Gruen.


Verfassungsdiskussion im bayerischen Landtag (Kommentar von B5)

Im Muenchner Landtag diskutieren die Delegierten zur Zeit ueber die Aenderung der bayerischen Verfassung. Ausloeser dafuer ist die Absicht der CSU, dem Ministerpraesidenten und dem Kabinett mehr Spielraum bei der Verwendung der Privatisierungserloese zu verschaffen. Aber auch das Volksbegehren "Buergerentscheide in Landkreisen und Gemeinden" zwingt zu einer Aenderung der Verfassung. Im Verlauf der ersten Gespraeche haben SPD und Gruene nun allerdings eine weitere Modernisierung der Verfassungsartikel gefordert. Ein Ansinnen, das die geplante Verfassungsaenderung freilich nicht einfacher macht. Guenther Weinzierl (B5) fasst den aktuellen Stand der Diskussion zusammen:

Beim bayerischen Verfassungsgerichtshof ist zur Zeit eine Klage der SPD anhaengig, die sich gegen die Verwendung von Privatisierungserloesen fuer Zwecke wendet, die nicht in der Verfassung vorgesehen sind. Darin heisst es naemlich, dass aus dem sogenannten Grundstockvermoegen erzielte Gewinne wieder in dasselbe investiert werden muessen. Der Erloes von verkauften Grundstuecken muss laut Verfassung wieder fuer Grunderwerb oder Vermoegensbestand ausgegeben werden. Ministerpraesident Edmund Stoiber und die CSU wollen aber damit andere Projekte, zum Beispiel ein Sonderprogramm fuer Behindertenwohnungen finanzieren. Dagegen haben zwar auch die Sozialdemokraten nichts, aber ihnen geht es ums Prinzip, dass naemlich nichts gegen die Verfassungsbestimmungen unternommen werden darf. Deshalb bruetet man ueber Formulierungen, die eine Verwendung von veraeussertem Grundstockvermoegens etwa auch fuer Zwecke des Gemeinwohls zulassen. Darueber besteht Einigkeit zwischen der CSU und der SPD. Die Gruenen dagegen meinen, das Fenster zur Verschleuderung des staatlichen Grundstockvermoegens duerfe nicht geoeffnet werden. Doch ueber die Einfuegung einer sogenannten Europaklausel in die Verfassung, wonach das Prinzip der Subsidiaritaet und die Eigenstaendigkeit, sowie das Mitspracherecht der Regionen in einem vereinten Europa festgeschreiben werden soll, gibt es keinen nenneswerten Dissenz.

Weil man aber gerade schonmal dabei ist, die Verfassung anzupassen wollen SPD und Gruene noch ein paar Korrekturen durchsetzen und damit die bayerische Verfassung auf die Hoehe der Zeit zu bringen. So stossen sie sich vor allem an dem sogenannten "Hausfrauenparagraphen". In Artikel 13 heisst es naemlich, dass die Maedchen in der Saeuglinspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen seien. Diesen bundesweit einmaligen Passus hatte 1946 der damalige Ministerpraesident Wilhelm Hoebner von der SPD durchgesetzt. Er sei nicht mehr zeitgemaess und fuer eine partnerschaftliche Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern ungeeignet, meinen die SPD-Politiker heute. Auch stossen sie sich an einer Formulierun in Artikel 125, in dem geschrieben steht: "gesunde Kinder sind das koestlichste Gut eines Volkes". Nach Meinung der Kritiker muesse das Wort "gesund" gestrichen werden.

Bei ihren Modernisierungsbestrebungen sind die Verfassungsrechtler der SPD noch auf ein anderes Fossil gestossen: "Der Vollzug der Todesstrafe bedarf der Bestaetigung der Staatsregierung", heisst es da noch. Voellig unsinnig finden sie das. Zumal ja im Grundgesetz ein Verbot der Todesstrafe festgeschrieben sei. Eben weil das so sei, argumentiert die CSU dagegen, brauche man diesen Passus nicht zu streichen. Die Mehrheitsfraktion im Landtag befuerchtet eine Sogwirkung, wenn man anfange, alle moeglichen Aenderungen vorzusehen. Sie will keine Generalrevision der bayerischen Verfassung sondern nur die notwendigsten Korrekturen. Sie wird sich allerdings schwertun, diesen Standpunkt durchzusetzen. Denn fuer eine Verfassungsaenderung ist eine 2/3-Mehrheit mit einem anschliessenden erfolgreichen Volksentscheid notwendig. Und dazu braucht die CSU zumindest die SPD. Sollen also die Verfassungaenderungen erfolgen, was wie gesagt allein schon im Hinblick auf den Buergerentscheid noetig ist, dann muessen sich die Parteien zusammenraufen. Soll der Zeitplan der parlamentarischen Schritte eingehalten werden, dann muesste es noch vor Pfingsten zu einer Einigung kommen.


Quellen

B5    8:30 MESZ    12:00 MESZ    17:00 MESZ
SDR3    9:00 MESZ    14:00 MESZ    18:00 MESZ
DLF    10:00 MESZ
Antenne Bayern    15:00 MESZ
Radio 7    16:00 MESZ
Sueddeutsche Zeitung vom Sa./So.    19./20.5.1995