GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Mo, 22.05.1995



* Praesidium der Freien Demokraten zu Beratungen zusammengekommen
* SPD-Parteivorstand beendet zweitaegige Klausurtagung
* Herzog erkennt ehemaligem Rektor der RWTH Aachen Bundesverdienstkreuz ab
* Kohl trifft am Vormittag zu weitaegigen Besuch in den Niederlanden ein
* CDU zu moeglichen Koalitionen mit den Gruenen
* Blutkonserven werden beim Roten Kreuz knapp
* Erstmals Aussage vor Videokamera in deutscher Rechtsgeschichte
* Weiteres zum Muenchener Plutoniumprozess
* Geiselnahme und Flucht aus Vollzugsanstalt Celle
* Sondierungsgespraeche der Parteien in Bremen und Nordrhein-Westfalen



Praesidium der Freien Demokraten zu Beratungen zusammengekommen

Das Praesidium der Freien Demokraten ist am Vormittag in Bonn unter Leitung des Parteivorsitzenden Kinkel zu Beratungen zusammengekommen. Thema ist die innerparteiliche Situation nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Bremen. Eine Vorentscheidung ueber die nachfolge Kinkels, der auf dem Parteitag in Mainz nicht mehr antreten will, soll es nach Aussagen von heute morgen in den Beratungen nicht geben. Kinkel betonte vor der Sitzung, er sei ueberzeugt davon, dass der hessische Parteichef Gerhardt der richtige Mann fuer den Bundesvorsitz sei. Fuer Gerhardt haben sich in den vergangenen Tagen mehrere Landesverbaende ausgesprochen, allerdings mehren sich in der FDP auch Stimmen, die zusaetzlich andere Bewerber fuer die Kinkel-Nachfolge aufgestellt sehen moechten. Der neue FDP-Vorsitzende sollte nach den Worten des Berliner Landeschefs der Liberalen, Bundeswirtschaftsminister Rexrodt, nicht zugleich dem Kabinett in Bonn angehoeren. Ein Parteivorsitzender sei damit schlecht beraten, da die Arbeit im Kabinett ihn von anderen Pflichten abhalten koennte, sagte Rexrodt heute frueh im Deutschlandradio Berlin. Seinen eigenen Posten in Bonn wolle er vorerst nicht aufgeben. Im uebrigen muesste sich die FDP statt personeller Debatten eher inhaltlich noch profilieren. Die Vizeparteivorsitzende Witteler-Koch sprach sich heute dafuer aus, auf dem Parteitag in Mainz, die Partei in einer Urwahl ueber das Vorgehen zur Neuwahl eines Parteivorsitzenden zu entscheiden.


SPD-Parteivorstand beendet zweitaegige Klausurtagung

Der SPD-Parteivorstand beendet heute in Bad Breisich seine zweitaegige Klausur. Dabei sollen die Positionen der Sozialdemokraten fuer eine oekologisch ausgerichtete Steuerreform sowie eine Neuordnung der Sozialhilfe und des Rentenrechts festgelegt werden. Gestern ging es vor allem um die kuenftige Strategie gegenueber dem Buendnis 90/Die Gruenen. SPD Bundesgeschaeftsfuehrer Verheugen geht von erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit dem Buendnis 90/ Die Gruenen in Nordrhein-Westfalen aus. Im Westdeutschen Rundfunk sagte er heute, auf beiden Seiten sei der entsprechende Wille erkennbar. Ausserdem wisse man um die Auswirkungen einer rot-gruenen Koalition auf Laenderebene auch fuer Bonn. Fuer eine rot-gruene Koalition in Duesseldorf sprach sich heute frueh auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende Wieczorek-Zeul aus. Die Gruenen haetten sich inzwischen zu einem ernstzunehmenden Partner entwickelt, sagte sie im Deutschlandfunk. Mit CDU und CSU, die fuer den finanziellen Ruin der Kommunen und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit verantwortlich seien, koenne man gemeinsam nicht Politik machen, unterstrich Frau Wieczorek-Zeul.


Herzog erkennt ehemaligem Rektor der RWTH Aachen Bundesverdienstkreuz ab

Bundespraesident Herzog hat dem ehemaligen Rektor der rheinisch-westfaelischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen, Schneider, wegen dessen NS-Vergangenheit das Bundesverdienstkreuz erster Klasse aberkannt. Das Bundespraesidialamt erklaerte heute in Bonn, ausschlaggebend sei gewesen, dass Schneider seine wahre Identitaet verschleiert habe. Haette man von der tatsaechlichen Biographie des Betroffenen Kenntnis gehabt, waere das Bundesverdienstkreuz nicht verliehen worden. Der heute 85jaehrige Pensionaer war waehrend des Krieges SS-Hauptsturmfuehrer. Nach 1945 hatte er unter dem Namen Hans Schwerte seine politische Vergangenheit vertuscht und eine akademische Karriere begonnen.


Kohl trifft am Vormittag zu weitaegigen Besuch in den Niederlanden ein

Bundeskanzler Kohl trifft am Vormittag zu einem zweitaegigen offiziellen Besuch in den Niederlanden ein. Die erste Station ist Rotterdam. Dort will der Kanzler am Mahnmal fuer die Opfer der im Zweiten Weltkrieg zerstoerten Hafenstadt einen Kranz niederlegen. Anschliessend haelt Kohl eine Rede vor Lehrern und Studenten an der Erasmus Universitaet. Morgen will Kohl mit dem niederlaendischen Ministerpraesidenten Wim Kok in Den Haag Fragen der europaeischen Einigung und des Verhaeltnisses zwischen beiden Laendern eroertern. Bundeskanzler Kohl hat in seiner Rede dazu aufgerufen, am Prozess der europaeischen Einigung als Garantie fuer den Frieden in Europa festzuhalten. Er erklaerte weiterhin, um den Frieden zu erhalten, muesse der Weg zu einem geeinten Europa unumkehrbar gemacht werden. Eine Art gehobene Freihandelszone reiche dazu nicht aus. Kohl erinnerte an die deutsche Besetzung der Niederlande waehrend des Zweiten Weltkrieges, besonders an die Verfolgung und Ermordung der niederlaendischen Juden. Er warnte davor, Gefangene der Vergangenheit zu bleiben. Sonst haette diese Vergangenheit letztlich doch gesiegt. Genauso schlimm wie die Versuchung, gewesenes zu verdraengen, sei es, vor dem Leid der Zeitgenossen die Augen zu verschliessen, unterstrich der CDU Vorsitzende. Kohl war am Vormittag von Ministerpraesident Kok in Rotterdam mit militaerischen Ehren begruesst worden.


CDU zu moeglichen Koalitionen mit den Gruenen

CSU Generalsekretaer Prozner hat die Schwesterpartei CDU vor dem Modell einer schwarz-gruenen Koalition gewarnt. Diese Diskussion sei ein Schaden fuer die Partei sagte Prozner heute im Saarlaendischen Rundfunk. Die Gegensaetze zwischen der Union und den Buendnisgruenen seien zu gross. Zuvor hatte der Vize-Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, Geissler, im Deutschlandfunk an seine Partei appelliert, die Gruenen von einer moeglichen Zusammenarbeit mit seiner Partei nicht prinzipiell auszuschliessen. Die Union muesse angesichts des bestehenden Verhaeltniswahlrechts mit jeder anderen demokratischen Partei koalitionsfaehig bleiben, betonte der CDU Politiker.


Blutkonserven werden beim Roten Kreuz knapp

Bonn. Dem Roten Kreuz gehen die Blutkonserven aus. Wie die Organisation mitteilte sind die Blutspenden so stark zurueckgegangen, dass inzwischen auch die Sicherheitsreserven aufgebraucht wurden. Das Rote Kreuz ruft zu Blutspenden auf, da taeglich rund 15000 Blutkonserven gebraucht werden.


Erstmals Aussage vor Videokamera in deutscher Rechtsgeschichte

Mainz. Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wird heute in einem Prozess wegen Kindesmissbrauchs ein mutmassliches Opfer vor eine Videokamera aussagen. Als erster Zeuge wird in dem Mainzer Prozess ein zehnjaehriger Junge befragt, dessen Aussagen direkt auf eine Leinwand in den Gerichtssaal uebertragen werden. Dort koennen die Angeklagten die Befragung mitverfolgen. Die Oeffentlichkeit bleibt ausgeschlossen. Der vorsitzende Richter hat ein Schweigegebot ueber den Verlauf der Verhandlung verhaengt. Bei dem bisher groessten Verfahren wegen Kindesmissbrauchs sind insgesamt 24 Erwachsene aus Worms angeklagt.


Weiteres zum Muenchener Plutoniumprozess

Muenchen. Ein Sachverstaendiger hat im Muenchener Plutoniumprozess das aus Russland herausgeschmuggelte Material als waffenfaehig bezeichnet. Ein Diplomchemiker vom Institut fuer Radiochemie sagte, die 363 Gramm Plutonium haetten durchaus in der Waffentechnik verwendet werden koennen. In dem Prozess soll ausserdem geklaert werden, ob die Passagiere bei dem Plutoniumschmuggel in einer Lufthansa-Maschine am 10. August vergangenen Jahres gefaehrdet gewesen waren. Angeklagt sind in dem Muenchener Prozess zwei Spanier und ein Kolumbianer. Sie hatten das Plutonium an Beauftragte des bayerischen Landeskriminalamtes fuer rund 280 Millionen Dollar verkaufen wollen.


Geiselnahme und Flucht aus Vollzugsanstalt Celle

In den fruehen Morgenstunden hatte die Polizei die Spur der entflohenen Haeftlinge aus Celle zunaechst verloren. Weiterhin ist seit heute in diesem Zusammenhang eine Nachrichtensperre verhaengt worden. Den Informationen zufolge halten sich die beiden Entflohenen zusammen mit ihrer Geisel noch immer in Niedersachsen auf. Die Geiselnehmer haben am Mittag die Polizei aufgefordert, die Verfolgung abzubrechen, um ihnen eine Chance zu geben wegzukommen. Danach koenne die Geisel freigelassen werden. Nach Angaben der Polizei sollen die beiden Taeter AIDS-infiziert sein und haetten deswegen nichts mehr zu verlieren. Die Geisel, ein Vollzugsbeamter der Anstalt Celle, befindet sich nun seit mehr als 24 Stunden in der Hand der Beiden. Mit ihm erpressten sie ein Loesegeld von 200.000 DM und ein schnelles Fluchtfahrzeug. Einen Tag nach der Flucht zweier Haeftlinge aus der Justizvollzugsanstalt Celle ist ein Ende des Geiseldramas noch nicht in Sicht. Nach einer Irrfahrt durch Niedersachsen hielten sich die beiden Maenner am Abend im Vorharz auf. Ein Polizeisprecher betonte, es bleibe das oberste Ziel, den in der Gewalt der beiden Gangster befindlichen Justizbeamten unverletzt frei zu bekommen. Die Strafverfolgung stehe an zweiter Stelle.


Sondierungsgespraeche der Parteien in Bremen und Nordrhein-Westfalen

Nach dem zweiten Sondierungsgespraech mit den Sozialdemokraten sieht die Bremer CDU eine solide Grundlage fuer eine grosse Koalition in der Hansestadt. Parteichef Neumann bezeichnete das Treffen am Abend als konstruktiv und ernsthaft. In den entscheidenden Bereichen Wirtschaft, Finanzen und Arbeitsplaetze gebe es mehr Uebereinstimmungen als Unterschiede. Die SPD Landesvorsitzende Wischer verwies auf eine Reihe gegensaetzlicher Positionen und sagte, eine Wertung der Beratungen sei derzeit nicht moeglich. Man wolle am Mittwoch in gleicher Offenheit ein weiteres Mal mit den Buendnis-Gruenen verhandeln. Nach einer Tagung des SPD-Vorstandes in Bonn sagte Parteichef Scharping, man unterstuetze die Bildung einer rot-gruenen Koalition in Nordrhein-Westfalen. Die SPD werde bei den Verhandlungen mit den Gruenen jedoch nicht auf Herzstuecke sozialdemokratischer Politik verzichten. Scharping kuendigte an, eine oekologisch ausgerichtete Steuerreform werde einer der Schwerpunkte des naechsten Bundesparteitages im November in Mannheim sein.


Quellen

DLF    10:00 MESZ    12:00 MESZ    21:00 MESZ
SWF3    11:00 MESZ