GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Sa, 11.02.1995



* Erweiterung der NATO nach Mittel- und Osteuropa wird diskutiert
* SPD zum Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge
* Landrat von Buendnis 90/Die Gruenen in Kassel
* CDU-Politiker fordern staerkere Beteiligungsmoeglichkeiten fuer Mitglieder
* Scharping fordert stufenweise Abschaffung des Solidaritaetszuschlags
* Schadensersatz fuer Opfer von Straftaten
* Finanzielle Beteilung bei Kindergartenplatz-Garantie lehnt Bund ab
* In neuen Laendern wird zu viel Geld verschwendet
* Stuttgart will sparen
* Tarifstreit in Metallindustrie
* Institut fuer Wirtschaftsforschung zu Lohnsteigerungen
* Bankfusion Landesgirokasse mit Baden-Wuerttembergischer Bank in Stuttgart
* Erhoehung der Rundfunkgebuehren
* RAF-Terroristin Christina Kobi entlassen
* Mielke beantragt seine Freilassung am Bundesverfassungsgericht
* NPD-Vorsitzender Deckert in Dresden in Polizeigewahrsam
* Laborleiter der UMEG entlassen
* Ueberfall auf Geldtransport in Braunschweig
* Blutspendeaktion in Boeblingen
* Notlandung eines Privatflugzeugs
* Drei Tote bei Lawinenunglueck
* Zwei Braende in Suedbaden
* Warum der Wahnsinn bis zum Schluss ? (Suedwest Presse Sa, 11.02.95)



Erweiterung der NATO nach Mittel- und Osteuropa wird diskutiert

Washington. Fuer eine moeglichst rasche Erweiterung der NATO nach Mittel- und Osteuropa hat sich der tschechische Staatspraesident Havel ausgesprochen. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte der Praesident, das derzeitige Sicherheitsvakuum im Osten gefaehrde die Stabilitaet in ganz Europa. Keiner wisse, wie sich die Lage in Russland weiter entwickeln werde, betonte Havel mit Blick auf den Krieg im Kaukasus. Allein die NATO bietet Tschechien eine Sicherheitsgarantie. Zuvor hatten Bundeskanzler Kohl und US-Praesident Clinton bei ihrem Treffen in Washington ihre Zustimmung fuer die stufenweise Osterweiterung der westlichen Allianz bekraeftigt. Dadurch duerften jedoch keine neuen Graeben in Europa aufgerissen werden, betonten beide Politiker.


SPD zum Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge

Die SPD ist weiterhin gegen den Einsatz deutscher Tornado-Kampfflugzeuge bei einem moeglichen Abzug der Uno-Blauhelme aus Bosnien-Herzegowina. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten Scharping sagte der "Bildzeitung", sollte die Notwendigkeit bestehen, die Friedenstruppe abzuziehen, muesse Deutschland dabei helfen. Allerdings muessten die Mittel so gewaehlt werden, dass sie den Konflikt nicht zusaetzlich verschaerften. Tornados, so Scharping, erhoehten das Risiko der Eskalation des Krieges. Daran werde sich die SPD nicht beteiligen. Er rief dazu auf, alles zu tun, damit die Blauhelme in Bosnien- Herzegowina bleiben. Eine Sprecherin der Sozialdemokraten erklaerte gegenueber der Nachrichtenargentur AP, daraus den Schluss zu ziehen, die Entscheidung ueber eine Ablehnung eines Tornado-Einsatzes sei bereits gefallen, waere falsch. Die SPD wolle weiterhin offen lassen, ob sie an einem Einsatz zustimmen wuerde oder nicht.


Landrat von Buendnis 90/Die Gruenen in Kassel

Kassel. In Kassel trat am Mittag der Landerrat von Buendnis 90/Die Gruenen zusammen. Bei den zweitaegigen Beratungen geht es unter anderem um den Bruch der Bremer Ampelkoalition sowie die anstehende Landtagswahl in Hessen. Ausserdem wird sich der Laenderrat, das hoechste Parteigremium zwischen den Parteitagen, mit dem Regierungsumzug nach Berlin und dem Aufbau Ost befassen. Morgen ist eine Debatte ueber den Paragraphen 218 und ueber die doppelte Staatsbuergerschaft geplant. Darueberhinaus wollen die Buendnis-Gruenen Kassel zum Vogelschutzgebiet erklaeren.


CDU-Politiker fordern staerkere Beteiligungsmoeglichkeiten fuer Mitglieder

Fuehrende CDU-Politiker aus den Bundeslaendern haben sich fuer eine staerkere Beteiligung der Mitglieder an Entscheidungen der Partei ausgesprochen. In Interviews der "Berliner Zeitung am Sonntag" fordern sie, Urwahlen und Mitgliederbefragungen moeglichst rasch in die Bundessatzung der CDU aufzunehmen. Auch der Nachfolger von Bundeskanzler Kohl als CDU-Vorsitzender solle direkt von den Mitgliedern gewaehlt werden.


Scharping fordert stufenweise Abschaffung des Solidaritaetszuschlags

Bonn. Eine Beibehaltung des Solidaritaetszuschlags wird nach Ansicht von SPD-Chef Scharping die fuer 1996 vorgesehene Erhoehung der Renten gefaehrden. In einem Zeitungsinterview wies Scharping darauf hin, dass sich die Renten an den Nettoloehnen orientierten. Daher muesse dafuer gesorgt werden, dass die Masseneinkommen wieder stiegen. Die Sozialdemokraten wuerden sich im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat dafuer einsetzen, dass der seit Anfang des Jahres eingefuehrte Solidaritaetszuschlag stufenweise wieder abgeschafft wird. Dabei muessten zuerst Buerger mit geringerem Einkommen entlastet werden.


Schadensersatz fuer Opfer von Straftaten

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat Gerichte und Staatsanwaltschaften aufgerufen, Opfern von Straftaten zu Schadensersatz zu verhelfen. Bereits jetzt sehe das Strafprozessrecht vor, dass Betroffene im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Taeter auch Schadensersatz und Schmerzensgeldansprueche stellen koennten, sagte die FDP-Politikerin der Zeitung "Bild am Sonntag". Von dieser Moeglichkeit werde aber in der Praxis selten Gebrauch gemacht.


Finanzielle Beteilung bei Kindergartenplatz-Garantie lehnt Bund ab

Bonn. Bei der Verwirklichung der Kindergartenplatz-Garantie kann sich der Bund laut Finanzminister Waigel finanziell nicht beteiligen. Gegenueber den Laendern und Kommunen sei Bonn nicht in der Lage, einen zusaetzlichen Ausgleich zu schaffen. Beim Solidarpakt und dem Bund-Laender-Finanzausgleich habe man sich grosszuegig verhalten, sagte Waigel. Bei der Finanzierung der deutschen Einheit sei der Bund ueberproportional dabei. Die Gewerkschaft OeTV verlangte dagegen, Bonn solle einen Sonderfond einrichten, um den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu realisieren. Die SPD verlangt von der Bundesregierung eine Beteiligung von 25% an den Investitionskosten zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz.


In neuen Laendern wird zu viel Geld verschwendet

Berlin. Nach Ansicht von Rechnungspruefern wird in den neuen Laendern viel Geld verschwendet. Die Betraege gingen in die Milliarden. Kritisiert wird, dass einige Staedte und Gemeinden zu grosse und damit zu teure Projekte in Angriff nahmen.


Stuttgart will sparen

Stuttgart. Die baden-wuerttembergische Landeshauptstadt will auch im laufenden Jahr weiter eisern sparen. Das hat der Gemeinderat beschlossen. Der Gesamtetat von Stuttgart betraegt 1995 3,9 Milliarden DM, der Schuldenstand soll zum Jahresende 2,5 Milliarden DM betragen. Gleichzeitig hat der Stuttgarter Gemeinderat eine Erhoehung der Gewerbesteuer um 15 auf 450 Punkte beschlossen.


Tarifstreit in Metallindustrie

Stuttgart. Rund 140 000 Beschaeftigte der baden-wuerttembergischen Metall- und Elektroindustrie haben sich in den letzten beiden Wochen an den Warnstreiks der IG-Metall beteiligt. Das waren mehr Streikende, als die Gewerkschaft erwartet hatte. Gestern war ein neuer Hoehepunkt der Streikaktionen. 28 000 Beschaeftigte legten die Arbeit im Lande voruebergehend nieder oder verliessen ihren Betrieb vorzeitig. Arbeitgeberpraesident Murmann hat vor einem Streik in der Metallindustrie zum gegenwaertigen Zeitpunkt gewarnt. Ein solcher Schritt werde weder zu dem beginnenden Aufschwung noch zu dem Verstaendnis passen, das man von fortschrittlicher Tarifpolitik im Interesse von mehr Arbeitsplaetzen haben sollte, sagte Murmann in einem Gespraech mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Er halte es fuer moeglich in der aktuellen Tarifauseinandersetzung, eine Kostenentlastung zu erzielen und dennoch Lohnerhoehungen zuzugestehen. IG-Metallchef Zwickel kuendigte heute in Hamburg an, das der Gewerkschaftsvorstand am kommenden Dienstag das Scheitern der Tarifverhandlungen beantragen und Urabstimmungen vorbereiten werde, wenn die Arbeitgeber bis dahin kein substantielles Angebot machten. Man wolle jedoch noch keine Termine festlegen, da die Gewerkschaftsfuehrung diese Entscheidung nicht ohne Beteiligung der Tarifbezirke treffen wolle.


Institut fuer Wirtschaftsforschung zu Lohnsteigerungen

Koeln. Nach Einschaetzung des deutschen Instituts fuer Wirtschaftsforschung sind Lohnsteigerungen um 3% unschaedlich fuer die Beschaeftigung. Sie liessen sogar noch eine kraeftige Gewinnerhoehung zu. Das Institut verweist darauf, dass es im vergangenen Jahr in einigen Branchen die bisher groesste Kostenentlastung gab.


Bankfusion Landesgirokasse mit Baden-Wuerttembergischer Bank in Stuttgart

Stuttgart. In der Landeshauptstadt zeichnet sich eine Bankenfusion grossen Stils ab. Zeitungsberichten zufolge steht der Zusammenschluss der Landesgirokasse mit der Baden-Wuerttembergischen Bank kurz bevor. Christof Baumann: "Demnach werden die beiden Banken, gemeinsames Bilanzvolumen 50 Milliarden DM, vereinigt, um den Standort Stuttgart zu verbessern. Ermoeglicht werde der Schritt unter anderem, weil die von Bosch gefuehrte Rhein-Neckar-Bankbeteiligung GmbH ihren Widerstand bei der Baden- Wuerttembergischen Bank gegen die Fusion aufgegeben habe. Die Landesgirokasse gehoert je zur Haelfte dem Land und der Stadt Stuttgart. Gegen diese Fusion wehrt sich der Sparkassenverband und sein Praesident, der CDU-Landtagsabgeordnete Heinrich Haasis (sp?). Er befuerchtet, seine Organisation werde geschwaecht und die Suedwest-LB koennte ihren Platz als Spitzeninstitut der Sparkassen im Land verlieren."


Erhoehung der Rundfunkgebuehren

Stuttgart. Der baden-wuerttembergische Ministerpraesident Erwin Teufel hat sich fuer eine Erhoehung der Rundfunkgebuehren ausgesprochen. Damit stellte Teufel sich im aktuellen Streit um eine Reform der ARD gegen Bundeskanzler Helmut Kohl. In einem Interview des Nachrichtenmagizins "Focus" erklaerte Teufel, es werde zu einer massvollen Gebuehrenerhoehung nach Ablauf der Vertraege kommen. Aehnlich aeusserte sich sein rheinland-pfaelzischer Kollege und Vorsitzende der Rundfunkkommission der Laender Beck (SPD). Dagegen warf FDP-Generalsekretaer Westerwelle (sp?) Sozialdemokraten und Union vor, mit solchen Ankuendigungen den Spardruck von den oeffentlich-rechtlichen Anstalten zu nehmen. Die Stimmen fuer eine Anhebung der Rundfunkgebuehren mehren sich. So schloss der Vorsitzende der Komission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten Konrad gegenueber dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hoehere Gebuehren nicht aus. Anders lautende Aussagen von Bundeskanzler Kohl stuenden nicht im Einklang mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.


RAF-Terroristin Christina Kobi entlassen

Kiel. Die als RAF-Terroristin verurteilte Christine Kobi (sp?) kommt am 22. Februar frei. Dies hat das zustaendige Oberlandesgericht verfuegt. Kobi war vor 16 Jahren wegen zweifachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden.


Mielke beantragt seine Freilassung am Bundesverfassungsgericht

Berlin. Der fruehere Stasi-Chef Mielke hat das Bundesverfassungsgericht angerufen. Mielke moechte erreichen, dass er nach fast fuenf Jahren Untersuchungshaft freigelassen wird. Mielkes Anwalt verband die Verfassungsbeschwerde mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die Karlsruher Richter sollen zu einer Eilentscheidung gezwungen werden.


NPD-Vorsitzender Deckert in Dresden in Polizeigewahrsam

Dresden. Der NPD-Vorsitzende Deckert und 9 weitere mutmassliche Rechtsradikale sind von der Dresdener Polizei in Gewahrsam genommen worden. Deckert und seinen Gesinnungsgenossen wird vorgeworfen, in Dresden an einer verbotenen Demonstration teilnehmen zu wollen. Im Auto-Konvoi Deckerts fand die Polizei Nazi-Propaganda-Material. Das saechsische Oberverwaltungsgericht in Bauzen hatte am Freitag Demonstrationsverbote der Stadt Dresden fuer die NPD und dem NPD-nahen Bund fuer Gesamtdeutschland bestaetigt. Unter anderem wegen der angekuendigten Teilnahme Deckerts sahen die Richter die Gefahr, dass bei Aufmaerschen auf dem Dresdener Altmarkt Straftaten begangen werden koennten.


Laborleiter der UMEG entlassen

Stuttgart. Der Laborleiter der Gesellschaft fuer Umweltmessungen und Umwelterhebungen der UMEG in Karlsruhe, der die Ergebnisse der landesweiten Benzolmessungen gefaelscht hatte, ist entlassen. Den Beschluss des Aufsichtsrates gab das Umweltministerium bekannt. Der Aufsichtsrat entschied weiter, dass die Geschaeftsfuehrung den entstandenen Schaden ermitteln und Regress geltend machen muesse.


Ueberfall auf Geldtransport in Braunschweig

Braunschweig. Rund 1 Million DM haben bewaffnete Taeter bei einem Ueberfall auf einen Geldtransporter erbeutet. Sie fluechteten mit einem Gelaendewagen. Norbert Maas: "Die Spur der beiden Maenner verliert sich am Ufer des Braunschweiger Suedsees. Dorthin waren die Taeter gefluechtet und offensichtlich von ihrem Tatfahrzeug in ein anderes Fahrzeug umgestiegen. Seither sind sie spurlos verschwunden. Wie die Flucht spielte sich auch die Tat selbst fast wie nach einem Drehbuch ab. Der Geldtransporter war gestern abend von dem Gelaendewagen beim Verlassen des Supermarktparkplatzes gerammt und damit zum Anhalten gezwungen worden. Die mit sogenannten Sturmhauben vermummten Taeter bedrohten Fahrer und Beifahrer des Transporters mit einer Panzerfaust und einem Gewehr und erzwangen die Herausgabe des Geldes einer runden Million DM. Dann verschwanden sie zum Suedsee. Seither gibt es keine Spur mehr von ihnen."


Blutspendeaktion in Boeblingen

Boeblingen. Mehr als 500 Feuerwehrleute aus dem Landkreis Boeblingen lassen sich heute freiwillig Blut abnehmen. Sie wollen sich als Knochenmarkspender fuer Leukaemie- und Anemiekranke bereitstellen. Initiator der Aktion ist die deutsche Knochenmarksspendedatei.


Notlandung eines Privatflugzeugs

Mengen. Bei der Notlandung eines Privatflugzeuges ist der Pilot unverletzt geblieben. An der zweimotorigen Cessna entstand nach Polizeiangaben rund 100 000 DM Sachschaden. Der Vorfall ereignete sich auf dem Flugplatz Mengen im Kreis Sigmaringen. Der Mann aus Leutkirch im Allgaeu hatte das Fahrwerk beim Landeanflug aus noch nicht geklaerter Ursache nicht ausgefahren.


Drei Tote bei Lawinenunglueck

Wien. Bei einem Lawinenunglueck im Tiroler Nawis-Tal sind drei Deutsche Touristen ums Leben gekommen. Ein weiteres Mitglied der Gruppe des Deutschen Alpenvereins wurde schwer verletzt. Einzelheiten sind noch nicht bekannt.


Zwei Braende in Suedbaden

Freiburg. In Suedbaden haben zwei Braende Sachschaden in Millionenhoehe angerichtet. Menschen wurden nicht verletzt. Im Freiburger Stadtteil Hochdorf zerstoerten die Flammen eine Lagerhalle mit Reifen und Elektrogeraeten. In Teningen, Kreis Emmendingen, hat ein Feuer in der vergangenen Nacht den Gemeindebauhof Teningnen weitgehend zerstoert. Der Sachschaden betraegt ungefaehr eine halbe Million DM. Die Brandursache ist noch unklar.


Warum der Wahnsinn bis zum Schluss ? (Suedwest Presse Sa, 11.02.95)

Dresden wird schoener. In den letzten fuenf Jahren ist der Wiederaufbau,
sind Restaurierung und architektonischer Neubeginn zuegiger vorangegangen
als in den 45 Jahren davor. Zu DDR-Zeiten dominierte die Bau-Fassade. Der
Einsatz fuer die Substanz der Altstadt war zwar beeindruckend, aber es
geschah auf Kosten der darniederliegenden Peripherie, der Vororte und
Randbezirke. Noch immer zeigt das einstige Elbflorenz Spuren der Verwuestung.
Ein halbes Jahrhundert ist es nun her, dass Dresdens laengste Nacht, seine
Zerstoerung begann. Und noch immer wird die Frage gestellt: Warum diese
Erbarmungslosigkeit gegen Frauen und Kinder, gegen Alte und Kranke, warum
dieser Wahnsinn so kurz vor Ende des Krieges ?

  Februar 1945: Waehrend seit Jahren im uebrigen Reich Bomben einschlagen, ist
die betulich-elegante Residenz saechsischer Herrscher bislang verschont
geblieben. Dresden gilt auch in diesen letzten Kriegswochen als der sicherste
und groesste Luftschutzkeller in Deutschland. Bombengeschaedigte aus Berlin
und anderen schwer angeschlagenen Staedten suchen dort Schutz und Ruhe.

  An diesem 13. Februar, einem Faschingsdienstag, jedoch treffen um 22:03
britische Erstmarkierer ueber der saechsischen Hauptstadt ein. Sie beginnen
mit dem Abwurf gruener Markierungsbomben und weisser Leuchtkaskaden,
sogenannter Christbaeume, die, gut gezielt, die Stadt und das Elbtal
ausleuchten. Drei Minuten spaeter warnt der Drahtfunkt die Bevoelkerung. Um
22:13 fallen die ersten Bomben.

  Zwischen den Abendstunden des 13. Februar und den Mittagsstunden des 14.
Februar werfen bei drei Angriffen westalliierte Bomberflotten etwa 4000 Tonnen
Spreng- und Brandbomben ueber der mit Fluechtlingen ueberfuellten Stadt ab.
Vermutlich 35.000, mit Gewissheit aber mehr als 25.000 Menschen werden von
den Bomben zerfetzt, ersticken in den Kellern oder kommen in den gigantischen
Feuerstuermen um. Die Flaeche der Verwuestung ist ungefaehr 15 Quadratkilometer
gross. Der gewaltigste Brandbombenangriff auf dem europaeischen
Kriegsschauplatz hat stattgefunden.

  Die Zeitdifferenz zwischen den beiden Grossangriffen in der Nacht vom 13.
zum 14. Februar ist vom britischen Bomberkommando genau berechnet worden.
Denn in den drei Differenzstunden sollen sich die Flaechenbraende zum
flaechendeckenden Feuersturm entwickeln; der zweite Angriff soll die
Loescharbeiten stoppen.

  So wie es die Luftstrategen ausgetueftelt haben, so geschieht es. Die unter
dem Bombenhagel und den Braenden zusammenbrechenden Strassenzuege versperren
die Fluchtwege ins Freie und ueberantworten viele dem Feuertod. Es erhebt
sich ein rasender Sturm, dessen Sog die Menschen in die Flammen reisst.
Tausende von Brandbomben verspruehen im grossen Garten zwischen den dorthin
Gefluechteten.

  Tausende von Schutzsuchenden in voellig intakten Schutzrauemen werden durch
Heissluft, die aus Mauerdurchbruechen eindringt, toedlich verbrueht. In
anderen, vom Einsturz bedrohten Kellern bricht Panik aus. Ausbrechende
verknaeueln sich an den Ausgaengen. Phosphor fliesst in die Keller.

  Anfang Februar leben in Dresden 950.000 Menschen, rund 200.000 davon sind
Fluechtlinge aus dem Osten, knapp 50.000 setzten sich aus Lazarettpatienten,
Kriegsgefangenen sowie deutschen Reserveeinheiten und nichtdeutschen
Hilfswilligen zusammen. In dieser infernalischen Nacht und bei den folgenden
Tagesangriffen der Amerikaner werden 75.000 der etwa 220.000 Wohnungen im
Stadtgebiet voellig zerstoert. Ausserdem wird hervorragendes Kulturgut dem
Erdboden gleichgemacht oder schwer beschaedigt, so die Frauenkirche, das
Schloss, die Semperoper, der Zwinger und die Hofkirche. Nicht zerstoert werden
militaerische Anlagen.

  Dresden brennt eine Woche lang. Tagelang wird es nach diesem 14. Februar
nicht mehr hell. Eine gelbbraune Rauchdecke verdunkelt den Himmel. In diesen
Stunden, in denen die ungezaehlten Verletzten und Obdachlosen an das Ende
aller Tage glauben - in diesen Stunden werden 6865 Bombenopfer auf dem
Altmarkt verbrannt. Der Ausbruch von Seuchen wird befuerchtet. Eine Bestattung
aller Toten in Massengraebern ist wegen der Grundwassergefaehrdung nicht
moeglich.

  Selbst 50 Jahre nach diesem Grauen bleibt die Frage nach dem Warum. Die
Initiative fuer den Angriff auf Dresden, das gilt heute als gesichert, geht
vom britischen Premier Churchill aus. Seine Motive sind im wesentlichen
politischer Natur. Im Februar will er sich mit Roosevelt und Stalin auf
Jalta treffen. Die Westmaechte haben keine eindrucksvollen Bodengewinne
vorzuweisen. Der sowjetische Diktator dagegen hat Mitte Januar eine gewaltige
und erfolgreiche Offensive gegen das deutsche Ostheer gestartet.

  Die Zerstoerung Dresdens, meint Churchill, wuerde die westlichen
Kriegsanstrengungen nachhaltig verdeutlichen. Die Angriffe wuerden riesige
Verwirrung stiften und die Verlegung deutscher Truppen an die Ostfront
behindern. Dagegen ist die Fuehrung des britischen Bomber Command von dem
Angriffsplan auf Dresden nicht begeistert. Der Umfang der Luftverteidigung
der Stadt ist weitgehend unbekannt, und nicht einmal eine Standard-Zielkarte
ist fuer dieses Gebiet vorhanden.

  Das Unbehagen der Flieger vor dem Grosseinsatz kurz vor dem absehbaren
Kriegsende soll schon Wochen spaeter eine kompetente Bestaetigung erfahren.
Am 6. Maerz bereits muss sich der Premierminister im britischen Unterhaus
kritische Bemerkungen zu Dresden und den Flaechenbombardements anhoeren.
Am 28. Maerz gibt Churchill dem Chef der gesamten britischen Bomberverbaende,
Sir Charles Portal, seinen revidierten Standpunkt bekannt: "Ich habe den
Eindruck, dass es an der Zeit ist, die Frage der Bombenangriffe auf deutsche
Staedte mit dem alleinigen Zeil, den Terror zu steigern, zu ueberdenken. Es
wird sonst ein voellig ruiniertes Land in unsere Hand fallen."

  Der Hinweis auf die "Terrorangriffe", also die Distanzierung der politischen
Fuehrung von ihren eigenen Auftraegen, empoert die Maenner der Royal Air Force,
zumal schon aehnliche Absetzbewegungen aus den USA zu vernehmen sind. Als die
britische Regierung ihre Soldaten am Ende des Krieges mit Ehrungen ueberhaeuft,
wird das Bomber Command uebergangen.

  Der Tod von Dresden hat die Menschen nicht ruhen lassen. Noch immer gibt es
Streit um Zahlen und Fakten. Nach dem Krieg geraten diese vor allem in die
Strudel des Kalten Krieges zwischen Ost und West. 135.000 Tote - diese Zahl
war auf jeden Fall zu hoch gegriffen. 35.000 Tote oder 25.000 Tote und 10.000
Vermisste: Sie alle sind letztlich Opfer des "Hoellenfeuers aus Menschenhand".
Diese Worte hat der Dresdner Dichter Max Zimmering in den Gedenkstein auf
dem Heidefriedhof einmeisseln lassen. Sie erinnern auch daran, dass zuerst
Hitler das Hoellenfeuer zu anderen Voelkern gebracht hatte, ehe diese es
unter den Deutschen auflodern liessen.



Quellen

SDR3    10:00 Uhr MEZ
DLF    11:00 Uhr MEZ    15:00 Uhr MEZ
S4    12:00 Uhr MEZ
SWF1    17:00 Uhr MEZ
Suedwest Presse, Sa,    11.02.1995