GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 28.10.1997



* Herbstgutachten: Erstarkende Konjunktur, aber immer noch mehr Arbeitslose
* SPD-Fraktion fuer doppelte Staatsbuergerschaft
* Union und SPD gegen Missbrauch von 610-Mark-Jobs
* Aussenminister Kinkel stellt sich gegen Rechtschreibreform
* Bundesverwaltungsgericht entscheidet naechste Woche ueber Scientology-Status
* Sieben Prozent weniger Uebernachtungen im deutschen Fremdenverkehr
* Telekom will sich mit niedrigeren Preisen und neuen Diensten profilieren
* Vermutlich Neuauflage des Verfahrens gegen Goennenwein
* Boerse: Starke Kursverluste



Herbstgutachten: Erstarkende Konjunktur, aber immer noch mehr Arbeitslose

Bonn. Die Konjunktur in Deutschland wird sich voraussichtlich in diesem und im kommenden Jahr weiter erholen, aber noch nicht zu einer Trendwende auf dem Arbeitsmarkt fuehren. Zu diesem Schluss kommen die sechs fuehrenden Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten, das heute vorgestellt wurde. Danach wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 2,4 Prozent und im naechsten Jahr um 2,8 Prozent zulegen. Dennoch wird die Zahl der Arbeitslosen der Prognose zufolge weiter steigen. Fuer das kommende Jahr rechnen die Forscher mit einem Anstieg auf durchschnittlich 4,42 Millionen. Auch der Nettolohnzuwachs bleibe 1998 hinter der Wachstumsrate zurueck. Die staatliche Finanzpolitik wurde als "wenig berechenbar" kritisiert. Bereits vorab wurde bekannt, dass die Institute von Steuermindereinnahmen in Hoehe von ueber 16 Mrd. DM gegenueber der Steuerschaetzung von Mai ausgehen. Die Kriterien fuer einen Beitritt zur Europaeischen Waehrungsunion wird die Bundesrepublik nach Einschaetzung der Experten in diesem Jahr erfuellen. Koalition wie Opposition sahen sich durch das Herbstgutachten gleichermassen bestaetigt. Die Regierung sieht in dem Gutachten den Beweis dafuer, dass sich der Aufschwung fortsetzen werde. Nach den Worten von Finanzminister Waigel belege das Gutachten, dass die Opposition mit ihrer Blockadepolitik bei der Steuerreform eine grosse Chance zur Bekaempfung der Arbeitslosigkeit vertan habe. Dagegen forderte die Opposition erneut eine Umkehr in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik der Regierung. Die Bundesregierung und fuenf der sechs Institute forderten in dem Gutachten weiter Lohnzurueckhaltung, SPD und eines der Institute plaedierten dagegen fuer staerkere Lohnsteigerungen.


SPD-Fraktion fuer doppelte Staatsbuergerschaft

Bonn. Die SPD-Fraktion hat sich bereiterklaert, fuer einen moeglichen Gruppenantrag der Auslaenderbeauftragten zur doppelten Staatsbuergerschaft zu stimmen. Fraktionschef Scharping sagte, wenn die Auslaenderbeauftragte Schmalz-Jacobsen, FDP, einen akzeptablen Reformvorschlag mache, solle die SPD keine Prestigeueberlegungen anstellen. Gleichzeitig aeusserte sich Scharping skeptisch, dass die FDP trotz ihrer Drohungen an die Union in der Frage der Staatsangehoerigkeit tatsaechlich mit der Opposition stimmen wuerde. Die fruehere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hatte zuvor eine Einigung der Koalition fuer unwahrscheinlich gehalten und rechnet deshalb mit einem Gruppenantrag im Bundestag. In den vergangenen Tagen hatten sich Bundeskanzler Kohl, Innenminister Kanther und verschiedene CSU-Politiker gegen eine doppelte Staatsbuergerschaft ausgesprochen.


Union und SPD gegen Missbrauch von 610-Mark-Jobs

Bonn. Fuehrende Politiker aus Union und SPD haben sich dagegen ausgesprochen, Vollarbeitsplaetze in 610-Mark-Jobs umzuwandeln. Die Bundesminister Bluem und Waigel sowie der niedersaechsische Ministerpraesident Schroeder kritisierten ein derartiges Vorgehen als Missbrauch, befuerworteten aber auch weiterhin Spielraeume fuer geringfuegige Beschaeftigungen. Ein Sprecher der niedersaechsischen Regierung kuendigte eine Bundesratsinitiative zur Begrenzung der 610-Mark-Jobs an. SPD-Fraktionschef Scharping unterstrich die Kompromissbereitschaft seiner Partei, wenn die Union an einer Begrenzung interessiert sei. FDP-Chef Gerhardt erklaerte inzwischen erneut, die Liberalen wollten an sozialversicherungsfreien Jobs festhalten.


Aussenminister Kinkel stellt sich gegen Rechtschreibreform

Bonn. Bundesaussenminister Kinkel hat sich als erstes Mitglied der Bundesregierung fuer den Ausstieg aus der Rechtschreibreform ausgesprochen. Der Minister bezeichnete die Reform in ihrer vorliegenden Ausfuehrung als unsinnig. In einer solchen Frage duerfe nicht ueber die Koepfe der Menschen hinweg entschieden werden. Auch Bundesbildungsminister Ruettgers erklaerte, es sei ein Kardinalfehler gewesen, die Reform hinter verschlossenen Tueren zu verabreden. Das Bundeskanzleramt forderte von den Laendern, sich in strittigen Einzelfragen schnellstmoeglich zu verstaendigen. Erst dann koennten Gespraeche mit dem Kanzleramt ueber das weitere Vorgehen stattfinden.


Bundesverwaltungsgericht entscheidet naechste Woche ueber Scientology-Status

Berlin. Das Bundesverwaltungsgericht wird in der kommenden Woche entscheiden, ob Scientology-Vereinen wegen profitablen Geschaeften ihr Vereinsstatus aberkannt werden kann. In Berlin begann heute die Revisionsverhandlung um eine Entscheidung des Landes Baden-Wuerttemberg. Es hatte vor neun Jahren einen Ableger der Organisation als Wirtschaftsunternehmen eingestuft und damit die Rechtsfaehigkeit als Verein aberkannt. In einer Vorinstanz hatte Scientology gewonnen. In der fuenfstuendigen Verhandlung ging es heute unter anderem um die Frage, welchen Status Scientology hat. Im Vorfeld der Verhandlung hatten gestern in Berlin rund 2.000 Mitglieder von Scientology wegen angeblicher Diskriminierung in Deutschland protestiert.


Sieben Prozent weniger Uebernachtungen im deutschen Fremdenverkehr

Saarbruecken. Im deutschen Fremdenverkehr ist die Zahl der Uebernachtungen weiter zurueckgegangen. Nach Angaben des Deutschen Fremdenverkehrsverbandes verbuchte das Gewerbe im ersten Halbjahr dieses Jahres fast sieben Prozent weniger Uebernachtungen als im gleichen Vorjahreszeitraum. In Sanatorien und Kurkliniken sank die Zahl sogar um fast 30 Prozent. Von den Umsatzeinbussen am staerksten betroffen seien unter anderem Baden-Wuerttemberg und Bayern. Grund fuer den Rueckgang bei Kuraufenthalten ist den Angaben zufolge die strenge Haltung der Krankenkassen.


Telekom will sich mit niedrigeren Preisen und neuen Diensten profilieren

Muenchen. Die deutsche Telekom will mit niedrigeren Preisen und neuen Dienstleistungen auf den liberalisierten Markt ab 1998 reagieren. Auf der Fachmesse "Systems 97" kuendigte Telekom-Vorstandsmitglied May noch differenziertere Preise je nach Kundengruppe und Nutzung an. Dabei sind Preissenkungen fuer Geschaeftskunden von etwa 4,5 Prozent im Gespraech. Ausserdem will die Telekom Netze und Dienste ausbauen. May nannte Geruechte, wonach Grosskunden der Telekom zu Konkurrenten uebergelaufen seien, unrichtig.


Vermutlich Neuauflage des Verfahrens gegen Goennenwein

Stuttgart/Karlsruhe. Das Verfahren gegen den frueheren Generalintendanten der Wuerttembergischen Staatstheater Goennenwein muss moeglicherweise neu aufgerollt werden. Vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe lehnte die Staatsanwaltschaft einen Antrag des Senatsvorsitzenden auf Einstellung des Verfahrens ab. Der BGH wird das Urteil in einer Woche verkuenden. Der Vorsitzende des Ersten Strafsenats hatte am Morgen den Vorschlag, das Verfahren einzustellen, mit der geringen Schuld des Angeklagten begruendet. Goennenwein war im vergangenen Dezember vom Stuttgarter Landgericht wegen Haushaltsuntreue verwarnt und zur Zahlung von 50.000 DM verurteilt worden. Ihm war vorgeworfen worden, seinen Haushalt um Millionenbetraege ueberzogen zu haben. Gegen das Urteil hatten sowohl Goennenwein als auch die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Dem Verfahren kommt Praezedenzfallcharakter zu, da es die Frage klaeren soll, ob Haushaltsueberschreitungen persoenliche Haftung nach sich ziehen koennen. Der Bund der Steuerzahler hat fuer den Fall einer Bestaetigung des Urteils weitere Anzeigen wegen Haushaltsuntreue angekuendigt.


Boerse: Starke Kursverluste

Frankfurt. Der Boersencrash in den USA und Fernost hat am deutschen
Aktienmarkt zum staerksten Kurssturz seit 1991 gefuehrt. Der Deutsche
Aktienindex DAX brach um ueber acht Prozent ein. Zu den groessten
Verlierern des Tages zaehlten Siemens, Metro, BMW, Daimler, Hoechst und
VW. Die Volkswagen AG verschob wegen der Kursstuerze ihre fuer Donnerstag
geplante Kapitalerhoehung auf unbestimmte Zeit. Panikreaktionen gab es
aber nicht. Experten raten den Anlegern zum Abwarten. Bundesfinanzminister
Waigel erklaerte auf einer Veranstaltung in Bonn, die Ursachen fuer die
Turbulenzen laegen vor allem in Asien. Die fundamentalen Wirtschaftsdaten
in Deutschland und Europa seien weiterhin sehr guenstig, die Zinsen auf
niedrigem Niveau, es gebe keine Inflationstendenzen.

Einige Kurse:
US-Dollar       (1 US_$)     1,7325
Kanada          (1 $)        1,2260
England         (1 Pfund)    2,8937
Irland          (1 Pfund)    2,5895
Schweiz         (100 sfr)  122,400
Frankreich      (100 FF)    29,842
Italien         (1000 Lit)   1,0183
Oesterreich     (100 oeS)   14,207
Spanien         (100 Ptas)   1,1835
Japan           (100 Yen)    1,4328
Schweden        (100 skr)   23,005

Einige Indizes:
DAX:                3567,22     ( aktuell )
                    3879.12     ( Vortagswert )
Dowjones-Index:     7276,57     ( Stand 17:00 MEZ )
                    7161,15     ( Schlussstand Vortag )
Nikkei-Index:      16312,69

(Alle Angaben ohne Gewaehr)



Quellen

SDR1    14:00 MEZ
SDR3    08:00 MEZ    16:00 MEZ    18:00 MEZ
B5    09:15 MEZ    18:15 MEZ