GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 29.08.1995



* Zwei Tote bei Brand eines Ladens in Ulm
* Warnstreiks und Verhandlungen bei VW
* Deutsch-italienische Konsultationen in Italien
* Weitere Leiche in Gelsenkirchen geborgen
* Groesster Teil der Beute aus dem Tunnelraub vermutlich im Libanon
* Prozess gegen RAF-Mitglied Sieglinde Hofmann
* Dreieinhalb Jahre Haft fuer Neonazi Althans
* Michael Ende ist tot
* Wieder Rueckrufaktion bei Opel
* Kommentar: Die FDP lauscht der Basis
* Boerse: Lustlos und leichter



Zwei Tote bei Brand eines Ladens in Ulm

Ulm. Beim einem Brand in einem 17stoeckigen Hochhaus in Ulm sind in der vergangenen Nacht zwei Menschen ums Leben gekommen. Vier Personen wurden verletzt. Die zwei Toten, afrikanische Asylbewerber, erstickten in einem blockierten Fahrstuhl. Das Feuer war gegen 2:30 Uhr in einem tuerkischen Geschaeft im Erdgeschoss des Hochhauses ausgebrochen und hatte sich auch auf die benachbarten Geschaefte ausgedehnt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. Es seien Hinweise auf einen Brandbeschleuniger gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft erklaerte, es bestehe ein Verdacht dass die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK fuer den Brand verantwortlich sei. Es wuerden aber auch Alternativen geprueft, etwa, ob die Tat einen privaten Hintergrund haben koennte.


Warnstreiks und Verhandlungen bei VW

Hannover. Zum Beginn der vierten Verhandlungsrunde bei VW haben rund 15.000 Mitarbeiter des Unternehmens in Hannover fuer ihre Forderungen demonstriert. Am Morgen hatten mehrere Tausend Beschaeftigte voruebergehend die Arbeit niedergelegt. Allein in Braunschweig traten 5.500 Arbeiter fuer eine Stunde in den Warnstreik. Die Friedenspflicht fuer die Gewerkschaft war in der Nacht abgelaufen. Die VW-Verhandlungsdelegation erklaerte, es gebe Spielraum fuer Kompromisse. Die IG Metall bestaetigte in einer Sitzungspause, dass VW Verhandlungsbereitschaft signalisiert habe. Die Gewerkschaft verlangt eine langfristige Beschaeftigungsgarantie und sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt. VW fordert 3,2 Stunden Mehrarbeit ohne Lohnausgleich und den Wegfall der Zuschlaege fuer Samstagsarbeit und bietet im Gegenzug eine zweijaehrige Beschaeftigungsgarantie. VW will noch in diesem Jahr 6.000 Arbeitsplaetze abbauen. Die Tarifgespraeche fuer die knapp 100.000 Beschaeftigten waren letzte Woche ergebnislos vertagt worden.


Deutsch-italienische Konsultationen in Italien

Bonn/Rom. Bundeskanzler Kohl ist am Vormittag zu den deutsch-italienischen Konsultationen abgereist. Das Gespraech mit Ministerpraesident Dini fand in Stresa (sp?) am Lago Maggiore statt. Im Mittelpunkt stehen die Lage im ehemaligen Jugoslawien und die bevorstehende Regierungskonferenz zum Ausbau der Europaeischen Union. Kohl und Dini verurteilten den gestrigen Granatenangriff auf Sarajevo als Akt der Barbarei. Zum Abschluss der Gespraeche riefen beide zugleich dazu auf, die Anstrengungen fuer eine politische Loesung des Balkan-Konflikts fortzusetzen. Bei den Konsultationen ging es auch um die italienische Ratspraesidentschaft im naechsten Jahr. Dini kuendigte an, er wolle noch vor Ende des Jahres mit den europaeischen Partnern Verhandlungen ueber eine Rueckkehr der Lira ins Europaeische Waehrungssystem aufnehmen. Kohl sagte seine Unterstuetzung zu. Parallel zu den Regierungschefs trafen sich auch die Aussenminister der beiden Staaten, Kinkel und Agnelli. Gemeinsam besuchten sie am Vormittag zunaechst die deutschen Tornado-Besatzungen im norditalienischen Piacenza, die zur Unterstuetzung der Schnellen Eingreiftruppe in Bosnien bereitstehen.


Weitere Leiche in Gelsenkirchen geborgen

Gelsenkirchen. Einen Tag nach der Explosion in einem Wohnhaus in Gelsenkirchen haben Rettungsmannschaften am Mittag die Leiche einer 38jaehrigen Frau aus den Truemmern geborgen. Die Inderin ist das fuenfte Opfer des Ungluecks, bei dem gestern auch drei ihrer Kinder und ein 60jaehriger Arbeiter getoetet wurden.


Groesster Teil der Beute aus dem Tunnelraub vermutlich im Libanon

Berlin. Einer der Chefs der Berliner Tunnelgangster hat sich vermutlich mit dem groessten Teil der Millionenbeute in den Libanon abgesetzt. Es handelt sich um den Libanesen Ali Ibrahim. Nach Erkenntnissen der Berliner Justiz haelt er sich in Beirut auf und traegt eine Diamantkette, die aus der Beute stammt. Weil es zwischen Deutschland und dem Libanon kein Rechtshilfe- und kein Auslieferungsabkommen gibt, koennen deutsche Kriminalbeamte Ibrahim in Beirut nicht verhaften. Bislang sitzen sechs Verdaechtige in Haft. Sie sollen Ende Juni in einer Bank in Berlin-Zehlendorf Geiseln genommen haben und dann mit einer zweistelligen Millionenbeute durch einen Tunnel entkommen sein.


Prozess gegen RAF-Mitglied Sieglinde Hofmann

Stuttgart. Das RAF-Mitglied Sieglinde Hofmann muss sich seit heute erneut vor Gericht verantworten. Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart begann der Prozess, in dem der 50jaehrigen fuenffacher Mord und achtfacher Mordversuch vorgeworfen wird. Hofmann soll unter anderem an der Entfuehrung und Ermordung von Arbeitgeberpraesident Schleyer im Herbst 1977 beteiligt gewesen sein. Das zweite Verfahren war erst nach einer rechtlichen Klaerung in Frankreich moeglich geworden. Nach ihrer Festnahme 1980 in Paris durfte sie nur wegen der Entfuehrung des Bankiers Ponto angeklagt werden. Deswegen wurde sie 1982 zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt. Drei Tage vor Ablauf der Strafe im vergangenen Mai wurde Hofmann erneut in Untersuchungshaft genommen.


Dreieinhalb Jahre Haft fuer Neonazi Althans

Berlin. Der Neonazi Bela Ewald Althans ist vom Berliner Landgericht zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Vorsitzende Richter sagte, der 29jaehrige Althans habe sich in dem Film "Beruf: Neonazi" der Verunglimpfung des Staates und des Andenkenens Verstorbener schuldig gemacht. Ausserdem habe er Volksverhetzung betrieben. Althans hatte in dem Film unter anderem den Massenmord an den Juden im Dritten Reich geleugnet.


Michael Ende ist tot

Stuttgart. Der Schriftsteller Michael Ende ist im Alter von 65 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Ende war unter anderem durch die Kinderbuecher "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivfuehrer" sowie "Die unendliche Geschichte" bekanntgeworden. Fuer "Momo" hatte er den Deutschen Jugendbuchpreis erhalten. Endes Buecher wurden in mehr als 30 Sprachen uebersetzt und hatten zuletzt eine Gesamtauflage von mehr als 16 Millionen Exemplaren. "Momo" und "Die unendliche Geschichte" wurden auch verfilmt.


Wieder Rueckrufaktion bei Opel

Ruesselsheim. Zum dritten Mal in diesem Jahr muss Opel eine Rueckrufaktion starten. Betroffen ist der 1,7l-Turbodiesel, gebaut zwischen September 1994 und April 1995. Es bestehe durch eine defekte Befestigung Kurzschlussgefahr in einem Motorkabelsatz. Bei der europaweiten Rueckrufaktion muessen in Deutschland rund 15.000 Fahrzeuge kontrolliert werden. (Anmerkung: In einer anderen Meldung war von 1,7l-Diesel-Astras die Rede. Ob nun mit oder ohne Turbolader, war nicht ausfindig zu machen)


Kommentar: Die FDP lauscht der Basis

Leitartikel der Sueddeutschen Zeitung Muenchen vom 29.08.1995 von Udo Bergdoll: Merkwuerdig: Die FDP, eine Partei, die sich als Streiterin fuer die repraesentative Demokratie versteht und den Volksentscheid in der Verfassung abgelehnt hat, fluechtet sich in einer eher zweitrangigen Frage der Politik in ein seltsames Experiment mit direkter Demokratie. Die Basis, nicht die gewaehlten Repraesentanten auf unterer Ebene, alle Mitglieder im Lande sollen der Fuehrung und dem Parteitag die Entscheidung abnehmen, ob die Liberalen in der Koalition mit der Union den sogenannten grossen Lauschangriff weiter verhindern oder den Widerstand gegen elektronisches Abhoeren in Wohnungen aufgeben. Der Wunsch nach solcher innerparteilicher Volksabstimmung ist nicht als Volksbegehren "unten" gewachsen, sondern von "oben" ins Spiel gebracht worden. Wolfgang Gerhardt, als Parteivorsitzender noch nicht fest im Sattel, will auf diese Weise einem Dilemma entkommen: die Bundestagsfraktion plaediert mehrheitlich fuer den Rueckzug aus der Veto-Haltung, aber die Parteitage wollen kein Terrain freigeben, das fuer sie zum Kernbestand buergerrechtlicher Tradition gehoert. Den Kraftakt, seine Partei auf eine Position ohne gravierende Widersprueche zu verpflichten, traut er sich nicht zu. Also soll das sowieso schon verunsicherte Parteivolk bestimmen und die Verantwortung auf die Schultern nehmen. Das zeugt nicht von Fuehrungsstaerke, es schiebt die Verantwortung anderen zu. Die FDP geht damit ein Stueck weiter als die SPD mit der Urwahl des Parteivorsitzenden oder die CDU mit der Ueberlegung, Bundestagskandidaten von der Basis aufstellen zu lassen. Ob Entscheidungen, die von der Ebene der gewaehlten Repraesentanten weggenommen werden, richtiger im Sinne der Aktzeptanz sein koennen, wird zu Recht bezweifelt. Skepsis ueberweigt, wenn die Fuehrung einer Partei in den Verdacht geraet, sich davor druecken zu wollen, das Steuer - man kann ja scheitern - allein in der Hand zu behalten und das mit einer Verbeugung vor dem Zeitgeist als Belebung der innerparteilichen Demokratie etikettiert. Beim Mitgliederentscheid der FDP, mit Hilfe einiger Landesverbaende eingefaedelt, geht es wohl eher um ein Alibi fuer die Fuehrung als um Respekt vor der Basis. Ob der Volksentscheid den Zusammenhang der Liberalen foerdern kann, muss auch bezweifelt werden. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Geht Gerhardts Kalkuel auf, faellt die Entscheidung so, dass elektronisches Abhoeren in Wohnungen erlaubt sein soll, verschafft sich die Fuehrung Spielraum im Umgang mit der Union. Dann koennte der Rueckzug vielleicht mit Gelaendegewinn in der Frage der doppelten Staatsbuergerschaft verhandelt werden. Doch die FDP haette ihre Justizministerin desavouiert, die sich noch mit Haut und Haaren wehrt. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mag dem Koalitionspartner ein Dorn im Auge sein und deshalb das Geschaeft der Fraktionsfuehrung erschweren. Unbestreitbar aber ist, dass sie das verbliebene Profil der FDP mitpraegt, ob es ihr nun aus eigener Kraft zuwaechst oder als Ergebnis der Angriffe der Gegner. Man stelle sich vor, die FDP waere ihrem Aussenminister Genscher beim Streit um Kurzstreckenreketen in den Ruecken gefallen. Nun soll die Justizministerin nicht mit dem alten Fuchs verglichen werden, auch ist die Frage, um die es geht, weit weniger wichtig. Doch was hat die FDP davon, wenn sie ihre Justizministerin in den Ruecktritt treibt? Was gilt deren Wort noch, wenn die Basis es unter Anleitung des Vorsitzenden in den Wind schlaegt? Und wie stellen sich die Liberalen dar, wenn sie den Lauschangriff ermoeglichen, Burkhard Hirsch aber, nicht irgendwer, auch Vizepraesident des Bundestages, zum Gang nach Karlsruhe auffordert, was zu tun er schon angekuendigt hat? Gerhardt sagt, er werde jedes Ergebnis repektieren. Doch seine Autoritaet wuerde Schaden nehmen, sollte er sich mit seinem ersten Schachzug auf der Bundesbuehne selber matt setzen. Die engere Fuehrung rechnet zwar fest damit, dass die Basis in ihrem Sinne pragmatisch entscheidet, zumal Gegner und Befuerworter darin uebereinstimmen, dass erstens nicht der Kern des Rechtsstaates auf dem Spiel steht und zweitens das Abhoeren von Kriminellen in Wohnungen nicht die Wunderwaffe im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen ist. Doch was soll werden, kaeme die Basis zu dem Ergebnis, es handele sich um das "falsche Signal" im Ueberlebenskampf, wuerde sich die Position durchsetzen, das Abhoeren mit Wanzen bedeute einen nicht hinzunehmenden Enbruch in die private Sphaere? Die Mitglieder der FDP, die sich daran beteiligen sollen, die verknotete Diskussion um den Lauschangriff aufzuloesen, haben eben nicht nur die kriminaltechnische Frage zu beurteilen. Sie sollen auch ueber den Parteifrieden, den Koalitionsfrieden und ueber die Zukunft einiger Spitzenpolitiker entscheiden. Es geht auch um die Suche nach Formen direkter Demokratie, nach neuer Legitimation. Beteiligen sich weniger als 25 Prozent der Mitglieder, ist nach den Statuten das Experiment gescheitert. Aber auch eine Zufallsentscheidung, knapp von etwas mehr als einem Viertel der Mitglieder getroffen, wuerde Gerhardt nicht aus seinem Dilemma retten koennen. Immerhin ist man nicht auf die Idee gekommen, zur innerparteilichen Belebung ein Meinungsforschungsinstitut mit einer repraesentativen Umfrage unter den Mitgliedern zu beauftragen und das Ergebnis als kuenftigen Kurs festzuschreiben.


Boerse: Lustlos und leichter

An den deutschen Boersen verlief das Geschaeft heute lustlos.
DAX      2.232  (- 9)
Umlaufr. 6,30 % (+ 0,02)
1 US-$   1,4683 DM (Fixing Frankfurt)



Quellen

SWF3    08:00 MESZ    11:00 MESZ    19:00 MESZ
SDR3    17:00 MESZ    21:00 MESZ
B5    10:15 MESZ    14:45 MESZ