GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 24.12.1996



* Weihnachtsansprache des Bundespraesidenten
* Kinkel warnt vor Eskalation in Belgrad
* UNHCR wuerdigt Einsatz Deutschlands bei Aufnahme von Bosnienfluechtlingen
* Schorlemmer mahnt gesamtdeutsche Solidaritaet an
* Behindertenbeauftragter ruft zu mehr Engagement auf
* "Flugaffaere": Suessmuth erhaelt Unterstuetzung durch die SPD
* 16jaehriger gesteht Brandstiftung in Kieler Wohnhaus
* DGB-Vize gegen neuerliche Kanzlerrunde
* Einzelhandel: Versicherungspflicht fuer 590 DM-Jobs katastrophal
* Weihnachtspredigt des EKD-Praesidenten
* Wortlaut der Weihnachtsansprache des Bundespraesidenten
* obwohl wir inzwischen alle wissen, dass der Staat an die Grenzen seiner



Weihnachtsansprache des Bundespraesidenten

Bonn. Bundespraesident Herzog hat in seiner Weihnachtsansprache zu mehr Mitmenschlichkeit im Alltag aufgerufen. Diese Haltung koenne auch durch den besten Sozialstaat nicht ersetzt werden, sagte Herzog. Eine wirklich humane Gesellschaft zeichne sich besonders durch Toleranz aus. Dies bedeute, das Anderssein von Menschen nicht als Belastung, sondern auch als Chance der Bereicherung zu sehen. Zugleich warnte er vor einer Ausgrenzung der Arbeitslosen und vor diskriminierender Haltung gegenueber Kranken und Behinderten. Stattdessen sei gelebte Nachbarschaft vonnoeten, in der jeder einzelne bereit sein sollte, in sozialer Verantwortung mehr zu tun als staatliche Regeln verlangten. Die Weihnachtsansprache im Wortlaut ist als letzte Nachricht angefuegt.


Kinkel warnt vor Eskalation in Belgrad

Bonn/Belgrad. Bundesaussenminister Kinkel hat angesichts der Grossdemonstrationen in der serbischen Hauptstadt Belgrad vor einer Eskalation der Gewalt gewarnt. Kinkel sagte, die innenpolitische Krise koenne nur durch demokratischen Dialog und nicht durch Konfrontation geloest werden. In Belgrad hatten sich Anhaenger von Praesident Milosevic und der Opposition zu Demonstrationen versammelt. Dabei war es zu blutigen Strassenschlachten gekommen.


UNHCR wuerdigt Einsatz Deutschlands bei Aufnahme von Bosnienfluechtlingen

Bonn. Das Fluechtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat den humanitaeren Einsatz Deutschlands bei der Aufnahme von 320.000 Bosnienfluechtlingen gewuerdigt. Die Bonner Vertreterin des UNHCR Cumin (sp?) aeusserte zugleich die Hoffnung, dass die Heimkehr dieser Menschen auch durch Humanitaet gepraegt sein werde. Allerdings duerfe humanitaere Hilfe nicht als Ersatz fuer politische Loesungen missverstanden werden. Ausserdem beklagte Frau Cumin eine immer groesser werdende Schutzluecke fuer Auslaender in Deutschland fuer Asylbewerber, die in ihrer Heimat von nichtstaatlicher Seite verfolgt wuerden.


Schorlemmer mahnt gesamtdeutsche Solidaritaet an

Eine gesamtdeutsche Solidaritaet fuer sozial benachteiligte Buerger in Ost und West hat der fruehere DDR-Buergerrechtler Pfarrer Schorlemmer angemahnt. Die Tatsache, dass die einen immer reicher und die anderen immer aermer wuerden, sei inzwischen ein gemeinsames Problem aller Deutschen, sagte Schorlemmer. Hier sei dringend ein Umdenken erforderlich, da sonst eine Spaltung der Gesamtgesellschaft drohe. Die stellvertretende Vorsitzende der Armutskonferenz in Deutschland Bien warf Politikern aller Parteien Versagen bei der Bekaemfung der Armut vor. Seit langem wuerden die Menschen gefoerdert, die Geld haetten, und nicht die, die dringend Hilfe benoetigten, so Frau Bien. Sie widersprach zugleich der Auffassung der Bundesregierung, mit Sozialhilfe werde die Armut bekaempft. Sozialhilfeempfaenger seien bereits arm, betonte Bien.


Behindertenbeauftragter ruft zu mehr Engagement auf

Bonn. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Regenspurger hat zu mehr Engagement fuer Behinderte aufgerufen. Der CSU-Politiker sagte, zu Weihnachten solle man ueberlegen, was man fuer Behinderte tun koenne. Ausserdem muesse man jenen danken, die sich freiwillig, beruflich oder als Zivildienstleistende fuer Behinderte einsetzten. Besonders sei dabei der Einsatz der Zivildienstleistenden zu wuerdigen, sagte Regenspurger. Forderungen, das System von Wehrpflicht und Zivildienst zu zerschlagen, seien schon aus diesem Grunde hoechst problematisch und unserioes.


"Flugaffaere": Suessmuth erhaelt Unterstuetzung durch die SPD

Bonn. In der Affaere um angebliche Privatreisen mit Bundeswehrmaschinen hat Bundestagspraesidentin Suessmuth, CDU, weitere Unterstuetzung seitens der SPD bekommen. Der Bundestagsabgeordnete Duwe sprach heute von einer Kampagne und "fatalen Angriffen". Im ueberlasteten Terminplan vieler Politiker wuerden auch an Wochenenden Amtsgeschaefte und Privatleben zeitlich eng verknuepft, meinte Duwe. Die Repraesentanten des Parlaments muessten vor Verunglimpfungen geschuetzt werden. Duwe kritisierte, dass sich andere Nutzer der Bundeswehrbereitschaft kaum schuetzend vor Suessmuth gestellt haetten. Frau Suessmuth selbst bekraeftigte unterdessen ihre Haltung, sie habe sich in der Angelegenheit nichts vorzuwerfen. Sie koenne ueber jeden ihrer Reisetermine Rechenschaft ablegen, betonte sie in einem Zeitungsinterview.


16jaehriger gesteht Brandstiftung in Kieler Wohnhaus

Kiel. Ein 16jaehriger Junge hat nach Angaben der Polizei gestanden, in einem Kieler Wohnhaus Feuer gelegt zu haben. Bei dem Brand wurden 16 Menschen verletzt, vier Kinder und zwei Erwachsene davon schwer. Die Polizei teilte mit, der Jugendliche habe offenbar aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt. In dem Haus leben deutsche und auslaendische Familien.


DGB-Vize gegen neuerliche Kanzlerrunde

Duesseldorf. Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Engelen-Keefer ist gegen neue Kanzlergespraeche zur Bekaempfung der Arbeitslosigkeit. Bei den Gewerkschaften gebe es derzeit keine Bereitschaft zu neuen Kanzlerrunden. Im Deutschlandfunk sagte sie, die Voraussetzung fuer weitere Beratungen mit Arbeitgebern, Politikern und Vertretern der Wirtschaft seien derzeit nicht gegeben. Der Praesident des Deutschen Industrie- und Handelstages Stihl hatte gestern eine Neuauflage der Kanzlerrunden vorgeschlagen. Engelen-Keefer fuegte hinzu, es gebe viele Dinge, die von den Tarifpartnern ohne Kanzlerrunde geregelt werden koennten und sollten, beispielsweise der Abbau von Ueberstunden und die Einrichtung von mehr Ausbildungsplaetzen.


Einzelhandel: Versicherungspflicht fuer 590 DM-Jobs katastrophal

Die Einfuehrung einer Sozialversicherungspflicht auch fuer sogenannte 590 DM- Jobs waere nach Einschaetzung des deutschen Einzelhandels eine Katastrophe fuer die Branche. Die derzeit gefuehrte Diskussion sei hoechst unerfreulich, sagte der Hauptgeschaeftsfuehrer des Einzelhandelsverbandes Wenzel heute frueh im Deutschlandfunk. Er wies zugleich darauf hin, dass eine solche Regelung auch fuer die Beschaeftigten keine Vorteile bringe. Eine grosse Zahl von Mehreinstellungen als Folge der laengeren Ladenoeffnungszeiten im Einzelhandel hat es nach Wenzels Worten nicht gegeben.


Weihnachtspredigt des EKD-Praesidenten

Karlsruhe. Die Hektik bei den Weihnachtsvorbereitungen und das Gedraenge in den Kaufhaeusern widersprechen nach Ansicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) Engelhardt nicht dem Sinn des Christfestes. In seiner Predigt zum Heiligen Abend in der Stadtkirche von Karlsruhe-Durlach erklaerte der badische Landesbischof, was so schnell als Weihnachtskitsch blossgestellt werde, sei Ausdruck einer Sehnsucht nach einer harmonischen Welt. Keiner solle sich einreden lassen, dass Weihnachten nur derjenige feiern koenne, der eine gesammelte Stimmung mitbringen koenne.


Wortlaut der Weihnachtsansprache des Bundespraesidenten

Ich freue mich, Sie alle aus dem Schloss Bellevue in Berlin zu Weihnachten zu gruessen. Meine Frau und ich werden die Festtage hier ganz allein verbringen und freuen uns auf die Ruhe und Gemeinsamkeit dieser Tage.

Vielleicht empfinden Sie es ja aehnlich: Im Trubel des Alltags haben wir fast keine Zeit mehr, uns umeinander zu kuemmern und fuereinander da zu sein. Menschliches Miteinander ist ein Gut, das nicht wenigen von uns mehr fehlt als vieles andere, was uns das Jahr ueber so wichtig erscheint.

Viele, die Einsamkeit, Not und Interesselosigkeit in unserer Gesellschaft beklagen, verlassen sich allzuleicht auf die Perfektion staatlicher Betreuung


obwohl wir inzwischen alle wissen, dass der Staat an die Grenzen seiner

Moeglichkeiten stoesst. Wie auch immer: Mitmenschlichkeit in der Gesellschaft erreicht auch der beste Sozialstaat nicht. Dazu bedarf es jedes einzelnen Menschen.

Eine wirklich menschliche Gesellschaft, das ist fuer mich unter anderem: eine tolerante Gesellschaft, in der das Anderssein eines Menschen nicht als Belastung, sondern als Bereicherung empfunden wird; eine Gesellschaft, in der der Nachbar nicht sein Ansehen verliert, wenn er arbeitslos wird; in der Kinder mehr zaehlen als materielle Werte; in der niemand ausgegrenzt wird, nur weil er krank oder behindert ist.

Das Gefuehl, mit anderen zusammen zu sein und gebraucht zu werden, bedeutet vielen Menschen mehr als Geld. Wenn jemand nur fuer sich den groessten Vorteil herausholen will, zahlen am Ende alle drauf. Wir brauchen also eine Offensive der gelebten Nachbarschaft, der Freundlichkeit, der taeglichen Hilfe. Jeder sollte bereit sein, hier etwas mehr zu tun, als wozu ihn das Gesetz verpflichtet. Vergessen wir auch nicht die stillen Helden unserer Gesellschaft, zum Beispiel die Krankenschwester oder den Arzt, die immer wieder ein persoenliches Wort fuer ihre Patienten finden; die Muetter und Vaeter, die ihre eigenen Beduerfnisse hinter denen ihrer Kinder zuruecktreten lassen, und das auf lange Zeit; die vielen Menschen, die in Kirchen, Vereinen und Initiativgruppen ehrenamtlich fuer andere da sind.

Und ich denke auch an Unternehmer, die trotz schwieriger Lage Ausbildungsplaetze schaffen oder auf Entlassungen verzichten. Natuerlich ist nicht jeder dazu imstande, und mancher wird auch sagen: Unter den harten Sachzwaengen des Wettbewerbs kann eine mitmenschliche Gesellschaft nicht funktionieren. Wenn man aber die Folgekosten miteinbezieht, ist eine menschliche Gesellschaft auf lange Sicht wahrscheinlich sogar wirtschaftlicher.

Meine Frau und ich waren 1996 wieder in vielen Laendern der Welt und wir werden die Weihnachtstage auch dazu nutzen, die gewonnenen Eindruecke zu verarbeiten. Das wissen wir schon jetzt: Wir Deutsche duerfen nicht die Augen davor verschliessen, was um uns herum geschieht. Die Welt befindet sich nicht nur in einem gewaltigen Umbruch, in vielen Laendern herrscht sogar eine unglaubliche Aufbruchstimmung. Wir werden uns anstrengen muessen, wenn wir mit dieser Dynamik mithalten wollen.

Wir haben aber auch wieder viel Not und Elend gesehen, und da richten sich an uns Deutsche hohe Erwartungen. Wir haben unsere eigenen Probleme, aber wir duerfen diese Erwartungen nicht enttaeuschen. Denn in der Welt, in der wir und unsere Kinder leben werden, ist das allerwichtigste gute Nachbarschaft, und im Zeitalter der Globalisierung hat dieser Begriff keine geographische Grenze mehr.

Das Bild Deutschlands im Ausland ist heute viel besser, als viele von uns immer noch glauben. Man wartet zwar nicht auf unseren erhobenen Zeigefinger, aber man wartet auch nicht nur auf unsere finanzielle Hilfe. Ich will es ganz einfach sagen: Man wartet auf unsere Freundschaft, auf unseren Rat und in gewissem Sinne sogar auf unser Vorbild. Denn man erkennt unsere Schwierigkeiten, aber man will auch davon lernen, wie wir damit fertig werden. Mehr als wir selbst glauben die anderen, dass wir Deutsche es schon schaffen werden.

Zum Abschluss moechte ich Ihnen aber auch sagen: Politik und Arbeit sind nicht alles im Leben. Meine Frau und ich freuen uns jetzt auf einige Tage des Abstands. Wir werden lesen, Musik hoeren und miteinander spazieren gehen. Ich hoffe, dass Sie es aehnlich machen koennen. Hinter uns allen liegt ein arbeitsreiches Jahr. Geniessen Sie die freie Zeit und nutzen Sie die Dunkelheit dieser Tage, wieder einmal zu sich selbst zu finden. Ich wuensche Ihnen ein frohes und glueckliches Weihnachtsfest.


Quellen

DLF    12:00 MEZ    18:00 MEZ
SDR3    08:00 MEZ    14:00 MEZ    16:00 MEZ    20:00 MEZ