GERMAN NEWS
DEUTSCHE AUSGABE
Di, 09.05.1995



* Gedenken an das Kriegsende in Russland
* Diskussion um angeblichen Ueberschuss der Pflegeversicherung
* Plutoniumschmuggel: Stellvertretender russischer Atomminister verstrickt ?
* Einigung ueber Auftrag fuer Plutonium-Untersuchungsausschuss
* Borchert fuer Information ueber Gentechnik
* Ermittlungsverfahren gegen Bundesinnenminister Kanther
* Scharping kuendigt Initiative zur Sozialhilfereform an
* Ehemaliger Suedmilch-Manager wird nicht ausgeliefert
* ARD will rund um die Uhr senden
* Fringer neuer Trainer beim VfB Stuttgart
* Kommentar: Muenchner Kaeseschachtel-Affaere (Sueddeutsche Zeitung)
* Kommentar: Die Gesichter der Brandstifter
* Boerse: Fester



Gedenken an das Kriegsende in Russland

Moskau. In Anwesenheit vieler auslaendischer Gaeste hat Russland heute dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht. Auch Bundeskanzler Kohl und Aussenminister zaehlten zu den Gaesten. Sie nahmen allerdings wie andere westliche Politiker auch aus Protest gegen den Tschetschenien-Krieg nicht an der Truppenparade teil. Kohl und Kinkel trafen am Nachmittag in Moskau ein. Sie legten am Grabmal des Unbekannten Soldaten an der Kremlmauer einen Kranz nieder. Anschliessend fuhren sie zu einem Friedhof am Moskauer Stadtrand, wo deutsche Kriegsgefangene beigesetzt sind. Auch dort legten sie einen Kranz nieder. Am Nachmittag wurde Kohl von Praesident Jelzin im Kreml empfangen. Kohl forderte von Jelzin eine rasche Beendigung des Tschetschenien-Krieges. Feierlicher Abschluss der Gedenkveranstaltungen war am Abend ein Staatsempfang im Kreml. Jelzin beschwor die Vision eines geeinten demokratischen Europas. Bundeskanzler Kohl bekannte sich auf dem Festakt zur Kriegsschuld Deutschlands.


Diskussion um angeblichen Ueberschuss der Pflegeversicherung

Bonn. Die Pflegeversicherung wird nach Aussage des Staatssekretaers im Bundesarbeitsministerium Jung in diesem Jahr voraussichtlich einen Ueberschuss von etwa 5 Mrd. DM erwirtschaften. Jung sagte in einem Zeitungsinterview, der Grund liege im Verhalten der Pflegebeduerftigen. Rund 80 % haetten sich das niedrigere Pflegegeld direkt auszahlen lassen und auf die teureren Sachleistungen verzichtet. Auch fuer 1996 rechnet Jung noch mit einem Ueberschuss in Milliardenhoehe. Unterdessen hat ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums die Angaben Jungs dementiert. Die genannte Summe habe sich dadurch in den Kassen angehaeuft, dass zwar schon ab Januar Betraege erhoben, Leistungen aber erst seit April gewaehrt wurden. Dieses Grundkapital diene als Reserve, da immer noch unklar sei, wieviel die Pflegebeduerftigen tatsaechlich in Anspruch naehmen. Das Pflegegeld liegt zwischen 400,- DM und 1.300,- DM, fuer Sachleistungen muessen die Kassen bis 2.800,- DM, in Einzelfaellen bis 3.700,- DM zahlen.


Plutoniumschmuggel: Stellvertretender russischer Atomminister verstrickt ?

Hamburg/Muenchen. Nach einem Vorabbericht des Hamburger Magazins "STERN" ist moeglicherweise der stellvertretende russische Atomminister Sidorenkow in den Plutoniumschmuggel verwickelt, der im August 1994 aufgedeckt wurde. Das Blatt berichtet, ein V-Mann habe dem Bundeskriminalamt mitgeteilt, das Sidorenkow, der in dem fraglichen Flugzeug sass, die Verhandlungen der Plutonium-Dealer ueberwachen wollte. Ausserdem habe Sidorenkow fuer den Abtransport des Geldes sorgen sollen. Die Muenchener Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben keine Hinweise darauf, dass Sidorenkow in den Schmuggel verstrickt ist. Oberstaatsanwalt Emmrich bestaetigte zwar, dass der Minister im vergangenen Jahr in demselben Flugzeug sass, in dem einer der Atomschmuggler das Plutonium nach Muenchen gebracht hatte. Er betonte aber zugleich, es gebe keine Anhaltspunkte fuer eine Verbindung von Sidorenkow zu den Atomhaendlern.


Einigung ueber Auftrag fuer Plutonium-Untersuchungsausschuss

Bonn. Die Parteien im Bundestag haben sich auf einen gemeinsamen Auftrag fuer den Untersuchungsauschuss geeinigt, der den Plutonium-Schmuggel vom August 1994 aufklaeren soll. Der Ausschuss soll die Umstaende des Transportes klaeren. Ausserdem wollen die Abgeordneten wissen, wann und wie Behoerden von dem illegalen Transport wussten oder daran beteiligt waren. Der Ausschuss wird am Donnerstag eingesetzt.


Borchert fuer Information ueber Gentechnik

Bonn. Bundeslandwirtschaftsminister Borchert hat sich fuer eine umfassende Information ueber Chancen und Risiken der Gentechnik ausgesprochen. Borchert sagte, die Verbraucher haetten ein Recht darauf zu wissen, was mit dieser neuen Technik auf sie zukomme. Nach dem CDU-Poltitiker forderte auch die SPD eine umfassende Kennzeichnungspflicht fuer gentechnisch veraenderte Lebensmittel. Dagegen war eine Expertengruppe der EU zu dem Schluss gekommen, ein Hinweis sei nur bei grundlegenden Veraenderungen des Produkts noetig.


Ermittlungsverfahren gegen Bundesinnenminister Kanther

Berlin. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Bundesinnenminister Kanther eingeleitet. Kanther steht in dem Verdacht, gegen das Stasi-Unterlagengesetz verstossen zu haben. Das Verfahren geht auf eine Anzeige des Alterspraesidenten des Bundestages Heym zurueck. Geklaert werden soll, wer Stasi-Unterlagen ueber den PDS-Abgeordneten kurz vor dessen Rede zur Eroeffnung des Bundestages im November 1994 veroeffentlicht hat. Nach Auffassung Heyms ist dafuer der Bundesinnenminister verantwortlich.


Scharping kuendigt Initiative zur Sozialhilfereform an

Bonn. Der SPD-Vorsitzende Scharping hat Initiativen seiner Partei zur Reform der Sozialhilfe angekuendigt. Scharping sagte, innerhalb von zehn Tagen solle ein SPD-Modell zur Sozialhilfe vorliegen. Er halte es fuer vernuenftig, den Sozialhilfeempfaengern neue Anreize zur Erwerbstaetigkeit zu verschaffen. So koenne der Freibetrag fuer eigene Einkuenfte erhoeht werden. Ueberlegungen der Bundesregierung, Sozialkuerzungen vorzuschreiben, wenn ein Sozialhilfeempfaenger eine zumutbare Arbeit ablehnt, erteilte Scharping eine Absage. Dies sei den oertlichen Sozialhilfetraegern bereits jetzt moeglich.


Ehemaliger Suedmilch-Manager wird nicht ausgeliefert

Asuncion. Der ehemalige Vorstandschef des Suedmilch-Konzerns Weber wird nicht von Paraguay nach Deutschland ausgeliefert. Ein Gericht in Asuncion wies das Stuttgarter Auslieferungsersuchen wegen formeller Fehler zurueck und ordnete zugleich die Freilassung Webers an. Ein wesentlicher Punkt zugunsten Webers war dessen im August 1993 erworbene Staatsbuergerschaft von Paraguay. Weber war am 10. Maerz festgenommen worden. Ihm werden im Zusammenhang mit dem Konkurs der Suedmilch-Tochter Sachsenmilch Bilanzfaelschung, Untreue und Subventionsbetrug vorgeworfen.


ARD will rund um die Uhr senden

Baden-Baden. Die ARD will kuenftig rund um die Uhr senden. Die Intendanten der oeffentlich-rechtlichen Runfunkanstalten beschlossen, dass das Erste Fernsehprogramm sobald wie moeglich auf die ganze Nacht ausgeweitet werden soll. Geplant sei ein kostenfreies Wiederholungsprogramm aus Magazinen, Serien und Filmen. Auch Nachrichtensendungen seinen moeglich. Darueber hinaus kuendigten die Intendanten an, dass das Kinderprogramm am Wochenende vom kommenden Jahr an bereits um 06:00 Uhr morgens beginnen soll.


Fringer neuer Trainer beim VfB Stuttgart

Stuttgart. Neuer Trainer des Fussball-Bundesligisten VfB Stuttgart wird zum Saisonwechsel der Oesterreicher Rolf Fringer. Fringer trainiert seit drei Jahren den Schweizer A-Nationalligisten FC Aarau.


Kommentar: Muenchner Kaeseschachtel-Affaere (Sueddeutsche Zeitung)

Kommentar der Sueddeutschen Zeitung Muenchen vom 09.05.1995 zum Ruecktritt des Muenchner CSU-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, Bletschacher. Bletschacher hatte seine kraenkelnde Kaeseschachtel-Fabrik aus den Spendengeldern eines Vereines mit 4,8 Mio. DM zinslosen Darlehen unterstuetzt: Bei allem bajuwarischen Komoedienstadl-Charme, den eine Affaere entwickelt, in der ein CSU-Fraktionschef fuer Suedtirol bestimmte Spendengelder als Finanzspritze in seine marode Kaeseschachtelfabrik steckt: Zu bedauern gibt es, abgesehen von der menschlichen Tragoedie, beim Sturz des Vorsitzenden der Muenchner CSU-Stadtratsfraktion, Gerhard Bletschacher, ueberhaupt nichts. Wer jahrelang im Alleingang Spendengelder von insgesamt 4,8 Mio. Mark fuer einen von ihm gefuehrten gemeinnuetzigen Verein als "zinslose Darlehen" in sein Privtunternehmen transferiert, sich also auf Kosten der Spender einen jaehrlichen Zinsvorteil von mehreren hunderttausend Mark verschafft, ist in herausgehobener politischer Stellung untragbar und hat zu gehen. Fas schon ruehrend wirkt da die CSU-Gegenrechnung, Bletschacher habe schliesslich seinerseits seinem Verein "Stille Hilfe fuer Suedtirol" durch ehrenamtliche Arbeit ueber Jahrzehnte hinweg Millionen erspart. Haette eine der Muenchner Selbsthilfeinitiativen, die die CSU so gerne aufs Korn nimmt, auch nur im Ansatz vergleichbare Mauscheleien geliefert, waere Bletschacher der erste gewesen, der nach dem Staatsanwalt gerufen haette. A propos Staatsanwalt: Den zu behelligen mit der Suche nach dem vermutlich parteiinternen "Verraeter", der Bletschachers Transaktionen der Presse zugepielt hat, wurde von der Muenchner CSU bereits angekeundigt - ganz nach dem Vorbild der Kanzleiaffaere des Muenchner CSU-Chefs Gauweiler vom vergangenen Jahr. Wenn die Union gut beraten sit, dann zieht sie ihre Anzeige sofort zurueck. Die CSU macht den Staatsanwaelten der bayerischen Landeshauptstadt auch so genug Arbeit.


Kommentar: Die Gesichter der Brandstifter

Kommentar der Sueddeutschen Zeitung Muenchen vom 09.05.1995 zu dem erneuten Brandanschlag auf die Luebecker Synagoge: Die Flammen in der Synagoge von Luebeck haben gezeigt, wovon wir nicht befreit sind: nicht vom Antisemitismus, nicht von der rechtsextremen Gewalt, nicht von der aggressiven Dummheit. Dies ist keine neue Erkenntnis nach einer jahrelangen Serie von Anschlaegen auf Asylbewerberheime, auf KZ- Gedenkstaetten und auf juedische Friedhoefe. Der Ungeist ist naemlich, wie Der Schriftsteller Ralph Giordano dies formuliert, nur militaerisch geschlagen, nicht ideologisch. Dieser Ungeist hat viele Gesichter: das des NPD-Funktionaers, der ein Auslaenderheim in Brand setzt; das von rechtsextremen Parteifunktionaeren, die in ihren Zeitungen Brandreden publizieren. Dies sind die Gesichter, die man vor Augen hat. Doch dann sieht man Brandstifter wie die, die vor 14 Monaten die Luebecker Synagoge angezuendet, haben, die Synagoge also, die jetzt schon wieder gebrannt hat: keine politisch ueberzeugten Jung-Nazis, sondern rechte Mitlaeufer, halbe Kinder. Sind deren Anschlaege weniger gefaehrlich, sind sie unpolitisch, weil die Taeter keiner rechtsextremen Organisation zuzurechnen sind? Mitnichten. Gerade soche Anschlaege zeigen, wie "normal" fremdenfeindliche und antisemitische Verbrechen geworden sind. Vor zwanzig Jahren wurde auf die Mauer ein Hakenkreuz gemalt. Heute wird das Haus angezuendet - Moelln, Solingen, Luebeck. Der Brandanschlag vom 7. Mail 1995 hat symbolische Kraft: Er lehrt, dass nach den Gedenktagen nicht Schluss sein darf mit dem Gedenken und dem Erinnern. Es stellt sich aber auch die Frage, woran es liegt, dass viele Menschen dessen so ueberdruessig sind. Solange dies so ist, wird kein gesellschaftliches und politisches Klima entstehen, in dem Antisemitismus und rechtsradikale Gewalt verdorren.


Boerse: Fester

Die deutschen Boersen schlossen heute nach wechselhaftem Verlauf fester.

DAX      2.040    ( + 15)
Umlaufr. 6,57 %   ( - 0,01)
1 US-$   1,3719 DM



Quellen

SDR3    07:00 MESZ    12:00 MESZ    20:00 MESZ
B5    08:45 MESZ    14:15 MESZ    17:45 MESZ
Kommentare: Sueddeutsche Zeitung Muenchen vom 09.05.1995