Herzog wuerdigt Solidaritaet und Leistungsbereitschaft der Deutschen |
Weimar/Berlin. Die Furcht vor einem neuen Nationalismus in Deutschland hat
sich nach Ansicht von Bundespraesident Roman Herzog fuenf Jahre nach der
Einheit nicht bestaetigt. Weiter sagte Herzog heute in Weimar bei einer
Diskussion unter dem Motto "Die unverkrampfte Nation" die Buerger aus Ost und
West haetten Solidaritaet und Leistungsbereitschaft gezeigt.
In Berlin haben die sechzehn Bundeslaender mit einem bunten Festumzug den
bevorstehenden Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Rund 100.000 Zuschauer
kamen nach Schaetzungen der Polizei zu der Veranstaltung. |
Bombenalarm im Bonner Regierungsviertel |
Im Bonner Regierungsviertel ist am Morgen Bombenalarm ausgeloest worden.
Die Polizei fand dort in der Heuss-Allee einen verdaechtigen Koffer
unbekannten Inhalts. Das Regierungsviertel wurde weitraeumig abgesperrt. |
Privatbesuch des britischen Premiers beim Kanzler |
Speyer. Der britische Premierminister Major ist zu einem privaten Besuch bei
Bundeskanzler Kohl in der Pfalz eingetroffen. Beide Regierungschefs besuchten
zunaechst den Dom in Speyer. Danach ging es nach Deidesheim weiter, ehe das
Treffen im Privathaus Kohls in Ludwigshafen-Oggersheim fortgesetzt wurde.
Major flog am Abend wieder nach London zurueck. |
BDI-Praesident fordert mehr oeffentliche Auftraege fuer Ostdeutschland |
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat die alten Bundeslaender
aufgefordert, mehr Auftraege an die Firmen ostdeutscher Laender zu vergeben.
Trotz Zusagen haetten die westdeutschen Laender mit Ausnahme von Hamburg und
Hessen im oeffentlichen Beschaffungswesen die Praeferenz fuer Ostdeutschland
nicht realisiert, kritisierte BDI-Praesident Henkel in einem Interview der
Nachrichtenagentur ddp/adn in Koeln. Wie man mit praktizierter Solidaritaet
dem Osten helfen koenne habe die deutsche Wirtschaft mit ihrer
Einkaufsoffensive Ost gezeigt. Darin haben sich bisher 86 westdeutsche
Unternehmen verpflichtet, Auftraege verstaerkt an die neuen Laender zu
vergeben. |
Einschnitte bei den Leistungen fuer Arbeitslose gefordert |
Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung hat erneut Einschnitte bei den Leistungen
fuer Arbeitslose verlangt. Ihr Vorsitzender Bregger bezeichnete die Trennung
zwischen Arbeitswilligen und Arbeitsunwilligen als zentrale Aufgabe der
Sozialpolitik in den naechsten Jahren. Die Drueckeberger muessten
aufgestoebert werden, um die Leistungen auf die wirklich Beduerftigen zu
konzentrieren, sagte Dregger der in Berlin erscheinenden Zeitung "BZ am
Sonntag". Erwerbslose sollten auch zu unterqualifizierten, befristeten und
schlecht bezahlten Taetigkeiten gezwungen werden koennen. Zur Begruendung
seiner Forderungen verwies der CDU-Politiker unter anderem darauf, dass
alleine im vergangenen Jahr mehr als 400.000 neue Arbeitsgenehmigungen fuer
Beschaeftigte aus Nicht-EU-Staaten ausgestellt worden seien. |
Strategiekongress der Gruenen |
Der Strategiekongress von Buendnis 90 / Die Gruenen in Bonn beschaeftigte sich
heute vor allem mit der kuenftigen Linie der Partei in der Aussen- und
Sicherheitspolitik.
Der Fraktionssprecher von Buendnis 90 / Die Gruenen, Fischer, hat seine
Partei aufgefordert, militaerische Einsaetze in Bosnien zu unterstuetzen.
Ansonsten wuerden die Gruenen weder Mehrheiten noch einen Regierungspartner
finden, betonte Fischer heute in Bonn.
Der fruehere Vorstandssprecher Vollmer verlangte hingegen, am Grundsatz der
Ablehnung vom Militaereinsaetzen festzuhalten. Fischer bekannte sich in
seiner Grundsatzrede klar zur Weiterentwicklung der Europaeischen Union.
Dabei muesse Russland in einen gemeinsamen Sicherheitsvertrag eingeschlossen
werden, um einen neuen Ost-West-Konflikt zu verhindern. |
Verheugen sieht sich als Opfer |
Bonn. Der zurueckgetretene SPD-Bundesgeschaeftsfuehrer Guenther Verheugen
sieht sich als Opfer einer Kampagne seiner Partei. Der "Bild am Sonntag"
sagte er, seit Wochen laufe in den eigenen Reihen der Partei eine, so
woertlich, "hinterhaeltige anonyme Kampagne" gegen ihn, die er nicht habe
beherrschen koennen. Damit rueckte er von der offiziellen Darstellung ab,
dass das Amt wegen Doppelbelastung nicht zu bewaeltigen gewesen sei. |
Gauck kritisiert Straffreiheit ehemaliger DDR-Juristen |
Der Bundesbeauftragte fuer die Stasi-Unterlagen, Gauck, hat kritisiert, dass
ehemalige DDR-Juristen straffrei ausgegangen sind, die wegen Rechtsbeugung
angeklagt wurden. Manche Gerichte haetten mitunter eine allzu schnelle
Bereitschaft, einstige politische Verbrechen und unmoralische Handlungen fuer
juristisch nicht fassbar zu halten, sagte Gauck im Deutschlandfunk. Dabei
gebe es eine gewisse Naehe zu den Argumenten derer, die damals als Richter
und Staatsanwaelte wirkten und oft eine Distanz zu der Lebenssicht der Opfer
des Regimes. Gauck betonte, fuenf Jahre nach der Einheit sei es nicht an der
Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Vielmehr muesse die kontroverse Debatte
ueber die DDR-Vergangenheit weitergefuehrt werden. Deren Aufarbeitung werde
aber scheitern, wenn sich nur auf das Thema "Stasi" konzentriert werde. |
Steuerzahlern drohen ueber 13 Milliarden DM Verluste |
Den deutschen Steuerzahlern drohen angeblich Verluste von ueber 13 Milliarden
DM, weil zahllose Verfahren gegen Vereinigungskriminelle in den Schubladen
schmoren. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Beucherl gab gegenueber der "Bild am
Sonntag" als Grund dafuer den Personalmangel bei der Berliner
Staatsanwaltschaft an. Die Vorermittlungen seien in ueber 7.000 Faellen
abgeschlossen. Die Staatsanwaelte koennten aber keine Verfahren eroeffnen,
weil ihnen die Leute fehlten. Viele Faelle verjaehren bald. |
Volksentscheid in Bayern zum Buergerbegehren |
Muenchen. In Bayern waren heute die Wahlberechtigten aufgerufen, per
Volksentscheid auf kommunaler Ebene mehr politische Mitspracherechte zu
erreichen. Die Buerger konnten zwischen dem Gesetzentwurf der Buergeraktion
"Mehr Demokratie in Bayern" und dem Gegenvorschlag der CSU waehlen. Fuer
die Regierungspartei soll der Buergerentscheid nur dann Erfolg haben, wenn 25
Prozent der Wahlberechtigten in der Kommune zustimmen. Die Buergeraktion will
mit einfacher Mehrheit entscheiden lassen.
Die Buergeraktion "Mehr Demokratie in Bayern" hat den Volksentscheid
gewonnen. Das vorlaeufige amtliche Endergebnis lautet: 57.8 Prozent der
Waehler stimmten fuer kommunale Mitspracherechte, der Gegenvorschlag der CSU
erhielt nur 38.7 Prozent der Waehlerstimmen. Damit tritt das Gesetz mit den
weitestgehenden Mitbestimmungsrechten in Deutschland zum 1. November in
Kraft. |
Neues Abtreibungsrecht in Kraft |
Bonn. In Deutschland gilt von heute an das neue Abtreibungsrecht. Ein
Schwangerschaftsabbruch bleibt danach in den ersten zwoelf Wochen straffrei,
wenn sich die Frau mindestens drei Tage vor dem Eingriff einer Beratung
unterzogen hat und dies durch eine Bescheinigung nachweist. Fuer die Beratung
gibt es genaue Regeln, die nach jahrelangen Diskussionen im Sommer vom
Parlament gebilligt wurden. Kritiker bemaengeln, dass die Beratung zwar zum
Schutz des ungeborenen Lebens und zur Fortsetzung der Schwangerschaft
ermutigen, aber zugleich auch ergebnisoffen gefuehrt werden soll. Ausserdem
kann die Frau auch anonym bleiben und auch nicht gezwungen werden, ihre
Gruende fuer die Abtreibung offen zu legen. Nach dem Gespraech muss eine
Beratungsbescheinigung ausgestellt werden. |
RAF-Nachfolgeorganisation erhaelt Informationen aus dem Bundestag |
Bonn. Die RAF-Nachfolgeorganisation "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) hat
vertrauliche Informationen des Bundestages erhalten. Laut "Bild am Sonntag"
ergab dies eine Analyse des Bekennerschreibens nach dem Anschlag auf das Haus
des CDU-Politikers Breuer. Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses
Penner erklaerte, das Zitieren aus Protokollen des Verteidigungsausschusses
weise darauf hin, dass es im Bundestag moeglicherweise einen Spitzel gebe. |
Mayer-Vorfelder kritisiert Graf-Anwaelte |
Stuttgart. Der baden-wuerttembergische Finanzminister Mayer-Vorfelder hat den
Anwaelten von Peter Graf vorgeworfen, eine Fuelle von unwahren Behauptungen
und Verdaechtigungen zu verbreiten. Mayer-Vorfelder sagte gestern im ZDF, die
gerichtlich untersagte Aufhebung des Steuergeheimnisses verbiete es ihm
jedoch, die Behauptungen richtigzustellen. Mayer-Vorfelder raeumte ein, dass
es Absprachen zwischen der Finanzbehoerde und dem Vater der Tennisspielerin
gegeben habe. Diese seien jedoch nichtig, wenn sich hinterher herausstelle,
dass betrogen und gelogen und allem Anschein nach Steuern hinterzogen wurden. |
Lehmann fuer leichtere Einbuergerung von Auslaendern |
Bonn. Fuer eine leichtere Einbuergerung von Auslaendern hat sich der
Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Lehmann, ausgesprochen.
Gegenueber dem Suedwestfunk sagte Lehmann, von den sieben Millionen
Auslaendern in Deutschland lebten 28 Prozent schon laenger als 20 Jahre in
Deutschland. Lehmann sagte, ohne eine Einbuergerung blieben diese Menschen
Auslaender, obwohl sie gesellschaftlich zu uns gehoeren. |
Appell des Ratsvorsitzenden der EKD an die Vertriebenenverbaende |
Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Engelhardt, hat
an die Vertriebenenverbaende appelliert, die bestehenden Grenzen in Europa als
politische Realitaet anzuerkennen. Es gebe keine Neugestaltung der
politischen Zukunft, wenn man auf alten Besitzstaenden verharre, sagte der
badische Landesbischof heute im Suedwestfunk anlaesslich der
Veroeffentlichung der EKD-Ost-Denkschrift vor 30 Jahren. Er fuegte hinzu,
einseitige Forderungen nach finanzieller Wiedergutmachung loesten bei den
oestlichen Nachbarn des wiedervereinigten Deutschlands Angst und Misstrauen
aus. |
Erntedankfest |
Muenchen. Mit zahlreichen Hoffesten und Dankgottesdiensten wurde heute in
Bayern das Erntedankfest begangen. In einer gemeinsamen Erklaerung betonten
der bayerische Bauernverband und die beiden grossen christlichen Kirchen, in
Deutschland duerfe man sich niemals mit dem Hunger in der Welt abfinden. Im
eigenen Land muesse das Ziel die Erhaltung einer hohen Bodenfruchtbarkeit
sein, die Pflege der Kulturlandschaft und die Erzielung ertragreicher Ernten
ohne Raubbau an der Natur. Weiter heisst es in dem Papier, wie in keinem
anderen Wirtschaftsbereich sei es das Ziel, die Produktionsgrundlagen an die
naechste Generation in bestem Zustand weiterzugeben. |
Feuerwehr verhindert Katastrophe in Aschaffenburg |
Aschaffenburg. Nur durch das rasche Eingreifen der freiwilligen Feuerwehr
konnte in der vergangenen Nacht eine Katastrophe im Hafengelaende der
Mainstadt verhindert werden. Nach Polizeiangaben war im Buerogebaeude einer
Aschaffenburger Gashandelsfirma vorsaetzlich Feuer gelegt worden, das auf nur
15 Meter entfernte, grosse Gastanks ueberzugreifen drohte. Nach ersten
Ermittlungen hatte vermutlich ein Einbrecher versucht, seine Spuren in dem
Buerogebaeude durch den Brand zu beseitigen. Dort hatte der Unbekannte
mehrere Geldkassetten aufgebrochen. Die Hoehe seiner Beute steht noch nicht
fest, der entstandene Sachschaden wurde mit rund 100.000 DM angegeben. |
Krimireifer Ueberfall auf Spielothek |
Einen krimireifen Ueberfall auf eine Spielothek gab es heute Nacht kurz vor
ein Uhr in Fuessen. Zwei bewaffnete Maenner drangen in das Lokal ein und
zwangen die Besitzer, den Tresor zu oeffnen. Die beiden Taeter hatten sich
eine Strumpfmaske ueber das Gesicht gezogen, in die Sehschlitze geschnitten
waren. Als der Geschaeftsfuehrer der Spielothek und sein Angestellter den
Tresor geoeffnet hatten fesselten die beiden Raeuber sie. Dann mussten sie
mit ansehen, wie die beiden Eindringlinge die Automaten gewaltsam aufbrachen,
rund 12.000 DM erbeuteten und anschliessende fluechteten. Nach etwa einer
halben Stunde war es einem der Ueberfallenen gelungen, sich zu befreien und
die Polizei zu rufen. Ganz offensichtlich hatte zuvor ein Komplize der
Raeuber die Raeumlichkeiten ausspioniert. Es handelt sich dabei um eine
Person mit dunklen Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren.
Die Taeter sind noch immer auf der Flucht. |
Fussballbundesliga |
Dortmund - Bayern Muenchen 3:1 Moenchengladbach - Frankfurt 4:1 |
Formel I: Grosser Preis von Europa |
Zum ersten Mal seit 10 Jahren fand heute wieder ein Formel I Rennen auf dem
Nuerburgring statt. Michael Schumacher gewann das Rennen vor Jean Alesi und
David Coulthard. In der Wertung der Weltmeisterschaft fuehrt Schumacher jetzt
mit 82 Punkten vor Damon Hill (55) und David Coulthard (43). Um seinen
Weltmeisterschaftstitel zu verteidigen muss Michael Schumacher jetzt aus den
letzten drei Rennen noch vier Punkte holen. |
Ein Staat - zwei Nationen? (Sueddeutsche Zeitung) |
(von Dieter Schroeder)
Lange hiess es: Zwei Staaten - eine Nation. Das war zu den Zeiten, als es
zwei Deutschlands gab. Fuenf Jahre nach der Vereinigung koennte es heissen:
Ein Staat - zwei Nationen. Jedenfalls koennte man zu diesem Eindruck kommen,
wenn man sich durch die Berge von Buechern, Artikeln und Umfragen ackert, die
mehr oder weniger larmoyant und monoman nur ein Ziel haben - die
Befindlichkeit der Deutschen, noch immer saeuberlich in Ost und West
getrennt, herauszufinden.
Dabei geht es nicht um die Gesundheit der Deutschen, wie vielleicht ein Englaender meinen wuerde, dem man das unuebersetzbare deutsche Wort "Befindlichkeit" zu verdeutlichen versuchte, sondern um ein Sammelsurium zugegebenermassen lebenswichtiger Sachen - um die Seelen- und Bewusstseinslage, um die Angleichung der Lebensverhaeltnisse, um Geld und Wachstum, um die Zugehoerigkeit zu einem Grossen und Ganzen und darum, wie man dies benennen soll, also zum Beispiel Vaterland, Nation, Heimat, Geltungsbereich der Deutschen Mark oder um die Frage, ob man immer noch Ossi oder Wessi ist. Dazu gehoert auch die Suche nach den bluehenden Landschaften, die der Bundeskanzler bekanntlich zum 3. Oktober 1995 versprochen hat. Es gibt kaum noch ein Dorf oder einen Landstrich in den fuenf neuen Bundeslaendern, wo fleissige Wort- oder Bildreporter nicht nachgeschaut haben, ob da was blueht. Viel Bluehendes haben sie nicht gefunden, aber immerhin scheint die Lage nicht ganz hoffnungslos zu sein, und in weiteren zehn Jahren koennte des Kanzlers Prophezeiung sogar in Erfuellung gegangen sein. Aber was ist mit dem Volk? Da gibt es ernste Bedenken. Die Ostdeutschen, so lernen wir, sind nach vierzigjaehriger Trennung eben doch anders als wir. Sie haben einen anderen Begriff von Politik und Recht, sie haben ein staerkeres Gefuehl fuer menschliche Gemeinschaft und soziale Sicherheit, sie haben eine andere Vorstellung von der Rolle der Frau, sie wollten zwar Freiheit, aber nicht unsere Art der Demokratie und faenden im nachhinein die DDR eigentlich gar nicht so schlecht, vor allem wegen der Ausstattung mit Kindergaerten. Schlimmer noch, die Juengeren gingen nicht nur enttaeuscht auf Distanz zum alten Stasi-Staat, sondern auch zu einer Gesellschaft, in der der schnoede Mammon regiert. "Du musst ein Schwein sein in dieser Welt", singt die erfolgreichste Pop-Gruppe der "Ex-DDR". Gehoeren die Ossis zu einer anderen Nation? Hat Willy Brandt sich geirrt? Kann nicht zusammenwachsen, was nicht zusammengehoert? MANGEL AN GEMEINSAMKEIT - Nicht einmal Gregor Gysi und die PDS wuerden dies behaupten. Fuer alle Beispiele des Andersseins, besonders fleissig aufgelistet von Leuten, denen die Vereinigung ohnehin nicht gepasst hat, gibt es auch Gegenbeispiele. Und neben Trennendem gibt es auch Gemeinsames. Die groesste Gemeinsamkeit der Deutschen ist es, dass sie nicht allzuviel Gemeinsames haben. Andrzej Szcypiorski, der polnische Schriftsteller hat schon auf dem Hoehepunkt der Wende-Euphorie bezweifelt, ob die Vereinigung die "geistige Einheit aller Deutschen" bedeutet. Von einer Gemeinsamkeit des nationalen Charakters und Denken koenne kaum die Rede sein, weil es keine Gemeinsamkeit des deutschen Schicksals gegeben habe. Dieser Mangel an Gemeinsamkeit erklaert, warum die Deutschen seit dem Ende des Roemischen Reiches deutscher Nation stets fragen, was ihr Vaterland sei, und warum sie mit beinahe schizoider Veranlagung zu wissen begehren, wer sie seien und was sie von anderen unterscheide. Eben diese ewigen Fragen, koennte man sagen. Heute taucht die Frage im modernen Gewand als Frage nach der nationalen Identitaet und nach der Lernfaehigkeit der Deutschen auf. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte ist sie heute aber klar beantwortet. Mit der Vereinigung hat die "verspaetete Nation" nun geographisch eine endgueltige From. Jeder Versuch, an den gegenwaertigen Grenzen zu ruetteln, haette die naechste Katastrophe zur Folge. Und ebenfalls zum ersten Mal haben die Deutschen eine Chance, ein gemeinsames Schicksal zu entwickeln. Es ist die auch letzte Chance. Die Frage, ob sie zur Strafe fuer Auschwitz ewig geteilt bleiben muessten, ist muessig. Nach dem Zerfall des kummunistischen Imperiums haetten sie die Vereinigung nicht verhindern koennen, selbst wenn sie es gewollt haetten. Die Frage ist vielmehr, was sie aus Auschwitz gelernt haetten. KEIN KLARER SCHLUSSSTRICH - Bis jetzt ist die Antwort fuer Wessis und Ossis trotz Solingen, Moelln und Hoyerswerda ueberwiegend positiv. Die grosse Mehrheit stellt den demokratischen Staat nicht in Frage, und trotz unterschiedlicher Einstellungen und Prioritaeten wuenschen sich die Ostdeutschen die DDR-Diktatur nicht zurueck. Dass kein klarer Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen werden kann, ist nicht allein die Schuld der ehemaligen DDR-Buerger. Es war ein oberstes Bundesgericht, das juengst festgestellt hatte, DDR-Richter duerften fuer Unrechtssprueche nicht zur Verantwortung gezogen werden, weil das Unrecht in der DDR eben Gesetz gewesen sei. Dass die Stasi-Akten zur Unterhaltungsware fuer gewisse Medien verkommen sind, ist ebenfalls nicht Schuld der Ostdeutschen. Es waren die Wortfuehrer der Wende, die sie aufheben und oeffentlich zugaenglich machen wollten, um das Funktionieren des DDR-Unterdrueckungsapparates enthuellen und um die Taeter zur Rechenschaft ziehen zu koennen. Die Diskussion ueber Taeter und Opfer hat sich aber sehr bald verheddert, weil die Taeter nicht Taeter und viele Opfer auch nicht mehr Opfer sein wollten. Das Recht taugt nur bedingt zur Austreibung eines kriminellen politischen Systems, und die Moral ist eine Frage des Anstands. Diese Erfahrung muss nicht nur der strenge Aktenverwalter Gauck machen, sondern auch das Haeuflein der Buergerrechtler, die ihren Peinigern nicht vergeben wollen, bloss weil, wie viele Ossis meinen, in der alten und neuen Bundesrepublik ja auch nicht alles in Ordnung war und sei. Und seitdem man weiss, dass es ja doch nur wieder die Kleinen trifft, hat die Frage nach der Stasi-Mitarbeit an Brisanz verloren. Markus Wolf wird von einem westdeutschen Gericht Straffreiheit bescheinigt, weil er ein ehrenwerter Spionagechef gewesen sei; Manfred Stolpe bleibt Ministerpraesident und Gregor Gysi im Bundestag. "Man muss ein Schwein sein in dieser Welt", singen die "Prinzen". Aber sie singen auch: "ich waer' so gerne Millionaer" und sind es vielleicht schon. Das ist ein gesamtdeutscher Wunsch, hier entsteht Gemeinsamkeit und hier liegen die Ostdeutschen wegen ihres Nachholbedarfes sogar vorn. Sie beurteilen ihre Verhaeltnisse besser als zur Zeit der Wende, waehrend die Westdeutschen zoegern, wahrscheinlich weil sie an den Solidaritaetszuschlag denken.
Was bedeutet das alles fuenf Jahre danach? Dass Deutschland nicht verloren
ist. Bleibt noch die Sache mit der Nation. Ist es eine, sind es zwei, und
braucht man ueberhaupt eine? Darueber gibt es zur Zeit eine Debatte unter dem
Motto "Rueckkehr zur Normalitaet". Das Beste daran ist, dass sie fast unter
Ausschluss der Oeffentlichkeit stattfindet. Ein Zeichen, dass wir schon
ziemlich normal sind und wissen, wo Bartel den Most holt. Der Bedarf an Blut
und Eisen und patriotischen Gesaengen ist erfuellt. |
Das Streiflicht (Sueddeutsche Zeitung) |
Das Schoenste an Bayern? Ach, wer das alles aufzaehlen koennte: die Berge,
die Schloesser, der Schnupftabak, die Wieskirche. Wer wollte da beckmessern,
wer gewichten? Das Schoenste, das steht ja auch in vielen Buechern, ist seit
jeher diese wundersame Verschmelzung, die Tatsache, dass hierzulande auch die
groessten Gegensaetze einander nicht abstossen, sondern zusammengehoeren,
irgendwie: Leib und Seele, Pfarrer und Pfarrerskoechin, die
demonstrationsmaessige Rettung des Abendlandes und der anschliessende Besuch
auf dem Oktoberfest. Der Bayer ruht in sich, ist ohne Zweifel gluecklich, vor
allem ueber sich selbst.
Man koennte es auch etwas weniger launig formulieren: Dem heutigen Bayern
ist alles Folklore und nichts wichtig. Wenn hierzulande fuer ein neues
Weissbier geworben wird, dann malen die sogenannten Kreativen ein grosses
buntes Plakat, auf dem Menschen zu sehen sind, die zu einem Kirchlein
wallfahren, worueber dann steht, das sei der Himmel der Bayern, das
Weissbier natuerlich. Und wenn der bayrische Ministerpraesident auf seinem
Parteitag erklaert, warum wir uns das Kreuz nicht nehmen lassen, dann sagt
er, das gehoere zu Bayern wie die Alpen, der Chiemsee und die Weisswuerste. |
Nein, das war jetzt ungerecht: Die Weisswuerste hat Stoiber nicht erwaehnt, |
sie haetten aber unbedingt dazugehoert, schon wenn man bedenkt, dass die
vorletzte grosse Demonstration, bei welcher der Ministerpraesident
gesprochen hat, vor ebenfalls Zehntausenden von Begeisterten, jene zur
Rettung der Biergaerten gewesen ist, die wir uns ebenfalls nicht nehmen
lassen. So weit wird Karlsruhe aber auch nicht gehen wollen, so tollkuehn ist
es nicht.
Auf diesem Umweg sind wir nun endlich beim bayrischen Innenmininster
Beckstein gelandet, auch einem der grossen Bewahrer und Fortentwickler der
bayerischen Tradition. Einerseits erfordert diese Tradition ja hartes
Hinlangen, wie wir spaetestens seit dem Tag wissen, an dem M. Streibl die
Weltpresse im hiesigen Brauchtum unterrichtet hat. Anderseits, bei uns passt
eben alles zusammen, steckt in jedem harten bayerischen Manne immer wieder
auch ein Kern, der bei Bedarf weich wird. Aus diesem Grunde hat Guenther
Beckstein angeordnet, dass die beiden Kinder des Kurden Simsek, drei und vier
Jahre alt, bis auf weiteres doch nicht in Abschiebehaft muessen, obwohl das
nur recht und billig waere und er es sich jederzeit wieder vorbehalten muss.
Vielleicht denkt er ja, dass manches dann doch nur schwer zusammengeht, zu
manchen Zeiten: Oktoberfest und Kruzifixe und Kleinkinder in Abschiebehaft.
An diesem Feingefuehl, auch eine unserer besten Eigenschaften, sollen sich
die anderen ruhig ein Beispiel nehmen: Schoen waere in diesem Zusammenhang
ein Brief des bayrischen Innenministeriums an die tuerkische Geheimpolizei
mit der Bitte, dieses Jahr an Weihnachten nicht zu foltern. |
Quellen |
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